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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
daß sie wider die Reizung des Vergnügens sollte aushal-
ten können." Deßwegen vermeide ich die Gelegenheiten.
"Du gestehest also, daß Cyane reizend ist?" Sehr rei-
zend. "Und daß ihr Genuß ein Vergnügen wäre?"
Vermuthlich. "Warum quälest du du dich dann, dir
ein Vergnügen zu versagen, das in deiner Gewalt ist"
Weil ich mich dadurch vieler andern Vergnügen berau-
ben würde, die ich höher schäze. "Kann man in dei-
nem Alter so sehr ein Neuling seyn? Was für Ver-
gnügen, die allen übrigen Menschen unbekannt sind,
hat die Natur für dich allein aufbehalten? Wenn du
noch grössere kennest als dieses, -- doch ich merke dich.
Du wirst mir wieder von den Vergnügungen der Geister,
von Nectar und Ambrosia sprechen; aber wir spielen
izt keine Comödie, mein Freund. Die Erscheinung
einer Cyane in einem von den Gebüschen meiner Gär-
ten würde fähig seyn, so gar deinen Geistern Körper
zu geben." Hippias, ich rede wie ich denke. Jch ken-
ne Vergnügen, die ich höher schäze als diejenigen, die
der Mensch mit den Thieren gemein hat. "Zum Exem-
pel?" Das Vergnügen eine gute Handlung zu
thun. "Was nennest du eine gute Handlung?" Eine
Handlung, wodurch ich, mit einiger Anstrengung mei-
ner Kräfte, oder Aufopferung eines Vortheils oder Ver-
gnügens, andrer Bestes befördere. "Du bist also thö-
richt genug zu glauben, daß du andern mehr schuldig
seyest, als dir selbst?" Das nicht; sondern ich finde
für gut, ein geringeres Vergnügen dem grössern aufzu-
opfern, welches ich alsdann geniesse, wenn ich das

Glük

Agathon.
daß ſie wider die Reizung des Vergnuͤgens ſollte aushal-
ten koͤnnen.„ Deßwegen vermeide ich die Gelegenheiten.
„Du geſteheſt alſo, daß Cyane reizend iſt?„ Sehr rei-
zend. „Und daß ihr Genuß ein Vergnuͤgen waͤre?„
Vermuthlich. „Warum quaͤleſt du du dich dann, dir
ein Vergnuͤgen zu verſagen, das in deiner Gewalt iſt„
Weil ich mich dadurch vieler andern Vergnuͤgen berau-
ben wuͤrde, die ich hoͤher ſchaͤze. „Kann man in dei-
nem Alter ſo ſehr ein Neuling ſeyn? Was fuͤr Ver-
gnuͤgen, die allen uͤbrigen Menſchen unbekannt ſind,
hat die Natur fuͤr dich allein aufbehalten? Wenn du
noch groͤſſere kenneſt als dieſes, ‒‒ doch ich merke dich.
Du wirſt mir wieder von den Vergnuͤgungen der Geiſter,
von Nectar und Ambroſia ſprechen; aber wir ſpielen
izt keine Comoͤdie, mein Freund. Die Erſcheinung
einer Cyane in einem von den Gebuͤſchen meiner Gaͤr-
ten wuͤrde faͤhig ſeyn, ſo gar deinen Geiſtern Koͤrper
zu geben.„ Hippias, ich rede wie ich denke. Jch ken-
ne Vergnuͤgen, die ich hoͤher ſchaͤze als diejenigen, die
der Menſch mit den Thieren gemein hat. „Zum Exem-
pel?„ Das Vergnuͤgen eine gute Handlung zu
thun. „Was nenneſt du eine gute Handlung?„ Eine
Handlung, wodurch ich, mit einiger Anſtrengung mei-
ner Kraͤfte, oder Aufopferung eines Vortheils oder Ver-
gnuͤgens, andrer Beſtes befoͤrdere. „Du biſt alſo thoͤ-
richt genug zu glauben, daß du andern mehr ſchuldig
ſeyeſt, als dir ſelbſt?„ Das nicht; ſondern ich finde
fuͤr gut, ein geringeres Vergnuͤgen dem groͤſſern aufzu-
opfern, welches ich alsdann genieſſe, wenn ich das

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[126/0148] Agathon. daß ſie wider die Reizung des Vergnuͤgens ſollte aushal- ten koͤnnen.„ Deßwegen vermeide ich die Gelegenheiten. „Du geſteheſt alſo, daß Cyane reizend iſt?„ Sehr rei- zend. „Und daß ihr Genuß ein Vergnuͤgen waͤre?„ Vermuthlich. „Warum quaͤleſt du du dich dann, dir ein Vergnuͤgen zu verſagen, das in deiner Gewalt iſt„ Weil ich mich dadurch vieler andern Vergnuͤgen berau- ben wuͤrde, die ich hoͤher ſchaͤze. „Kann man in dei- nem Alter ſo ſehr ein Neuling ſeyn? Was fuͤr Ver- gnuͤgen, die allen uͤbrigen Menſchen unbekannt ſind, hat die Natur fuͤr dich allein aufbehalten? Wenn du noch groͤſſere kenneſt als dieſes, ‒‒ doch ich merke dich. Du wirſt mir wieder von den Vergnuͤgungen der Geiſter, von Nectar und Ambroſia ſprechen; aber wir ſpielen izt keine Comoͤdie, mein Freund. Die Erſcheinung einer Cyane in einem von den Gebuͤſchen meiner Gaͤr- ten wuͤrde faͤhig ſeyn, ſo gar deinen Geiſtern Koͤrper zu geben.„ Hippias, ich rede wie ich denke. Jch ken- ne Vergnuͤgen, die ich hoͤher ſchaͤze als diejenigen, die der Menſch mit den Thieren gemein hat. „Zum Exem- pel?„ Das Vergnuͤgen eine gute Handlung zu thun. „Was nenneſt du eine gute Handlung?„ Eine Handlung, wodurch ich, mit einiger Anſtrengung mei- ner Kraͤfte, oder Aufopferung eines Vortheils oder Ver- gnuͤgens, andrer Beſtes befoͤrdere. „Du biſt alſo thoͤ- richt genug zu glauben, daß du andern mehr ſchuldig ſeyeſt, als dir ſelbſt?„ Das nicht; ſondern ich finde fuͤr gut, ein geringeres Vergnuͤgen dem groͤſſern aufzu- opfern, welches ich alsdann genieſſe, wenn ich das Gluͤk

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/148>, abgerufen am 27.11.2024.