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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
aller dieser Blendwerke zu zerstreuen. Laß die Tugend
immer eine Schwärmerey seyn, diese Schwärmerey
macht mich glüklich, und würde alle Menschen glüklich,
und den ganzen Erdboden zu einem Himmel machen,
wenn deine Grundsäze, und diejenige, welche sie aus-
üben, nicht, so weit ihr anstekendes Gift dringt,
Elend und Verderbniß ausbreiteten.

Agathon wurde ganz glühend, indem er dieses
sagte; und ein Mahler, um den zürnenden Apollo zu
mahlen, hätte sein Gesicht in diesem Augenblik zum
Urbild nehmen müssen. Allein der weise Hippias er-
wiederte diesen Eifer mit einem Lächeln, welches dem
Momus selbst Ehre gemacht hätte, und sagte ohne
seine Stimme zu verändern: Nunmehr glaube ich
dich zu kennen, Callias, und du wirst von meinen
Verführungen weiter nichts zu besorgen haben. Die
gesunde Vernunft ist nicht für so warme Köpfe ge-
macht, wie der deinige. Wie leicht, wenn du mich zu
verstehen fähig gewesen wärest, hättest du dir den Ein-
wurf selbst beantworten könuen, daß die Grundsäze der
Sophisten und Weltleute verderblich wären, wenn sie
allgemein würden? Die Natur hat schon davor gesorgt,
daß sie nicht allgemein werden, -- doch ich würde mir
selbst lächerlich seyn, wenn ich deine begeisterte Apo-
strophe beantworten, oder dir zeigen wollte, wie sehr
auch der Affect der Tugend das Gesicht verfälschen kann.
Sey tugendhaft, Callias; fahre fort dich um den
Beyfall der Geister, und die Gunst der etherischen

Schö-

Agathon.
aller dieſer Blendwerke zu zerſtreuen. Laß die Tugend
immer eine Schwaͤrmerey ſeyn, dieſe Schwaͤrmerey
macht mich gluͤklich, und wuͤrde alle Menſchen gluͤklich,
und den ganzen Erdboden zu einem Himmel machen,
wenn deine Grundſaͤze, und diejenige, welche ſie aus-
uͤben, nicht, ſo weit ihr anſtekendes Gift dringt,
Elend und Verderbniß ausbreiteten.

Agathon wurde ganz gluͤhend, indem er dieſes
ſagte; und ein Mahler, um den zuͤrnenden Apollo zu
mahlen, haͤtte ſein Geſicht in dieſem Augenblik zum
Urbild nehmen muͤſſen. Allein der weiſe Hippias er-
wiederte dieſen Eifer mit einem Laͤcheln, welches dem
Momus ſelbſt Ehre gemacht haͤtte, und ſagte ohne
ſeine Stimme zu veraͤndern: Nunmehr glaube ich
dich zu kennen, Callias, und du wirſt von meinen
Verfuͤhrungen weiter nichts zu beſorgen haben. Die
geſunde Vernunft iſt nicht fuͤr ſo warme Koͤpfe ge-
macht, wie der deinige. Wie leicht, wenn du mich zu
verſtehen faͤhig geweſen waͤreſt, haͤtteſt du dir den Ein-
wurf ſelbſt beantworten koͤnuen, daß die Grundſaͤze der
Sophiſten und Weltleute verderblich waͤren, wenn ſie
allgemein wuͤrden? Die Natur hat ſchon davor geſorgt,
daß ſie nicht allgemein werden, ‒‒ doch ich wuͤrde mir
ſelbſt laͤcherlich ſeyn, wenn ich deine begeiſterte Apo-
ſtrophe beantworten, oder dir zeigen wollte, wie ſehr
auch der Affect der Tugend das Geſicht verfaͤlſchen kann.
Sey tugendhaft, Callias; fahre fort dich um den
Beyfall der Geiſter, und die Gunſt der etheriſchen

Schoͤ-
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[130/0152] Agathon. aller dieſer Blendwerke zu zerſtreuen. Laß die Tugend immer eine Schwaͤrmerey ſeyn, dieſe Schwaͤrmerey macht mich gluͤklich, und wuͤrde alle Menſchen gluͤklich, und den ganzen Erdboden zu einem Himmel machen, wenn deine Grundſaͤze, und diejenige, welche ſie aus- uͤben, nicht, ſo weit ihr anſtekendes Gift dringt, Elend und Verderbniß ausbreiteten. Agathon wurde ganz gluͤhend, indem er dieſes ſagte; und ein Mahler, um den zuͤrnenden Apollo zu mahlen, haͤtte ſein Geſicht in dieſem Augenblik zum Urbild nehmen muͤſſen. Allein der weiſe Hippias er- wiederte dieſen Eifer mit einem Laͤcheln, welches dem Momus ſelbſt Ehre gemacht haͤtte, und ſagte ohne ſeine Stimme zu veraͤndern: Nunmehr glaube ich dich zu kennen, Callias, und du wirſt von meinen Verfuͤhrungen weiter nichts zu beſorgen haben. Die geſunde Vernunft iſt nicht fuͤr ſo warme Koͤpfe ge- macht, wie der deinige. Wie leicht, wenn du mich zu verſtehen faͤhig geweſen waͤreſt, haͤtteſt du dir den Ein- wurf ſelbſt beantworten koͤnuen, daß die Grundſaͤze der Sophiſten und Weltleute verderblich waͤren, wenn ſie allgemein wuͤrden? Die Natur hat ſchon davor geſorgt, daß ſie nicht allgemein werden, ‒‒ doch ich wuͤrde mir ſelbſt laͤcherlich ſeyn, wenn ich deine begeiſterte Apo- ſtrophe beantworten, oder dir zeigen wollte, wie ſehr auch der Affect der Tugend das Geſicht verfaͤlſchen kann. Sey tugendhaft, Callias; fahre fort dich um den Beyfall der Geiſter, und die Gunſt der etheriſchen Schoͤ-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/152>, abgerufen am 24.11.2024.