Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünftes Buch, sechstes Capitel.
den Wettstreit der Sirenen und der Musen geben, ein
Stük des berühmten Damons, das ich noch aus Aspa-
siens Zeiten übrig habe, und das von den Kennern für
das Meisterstük der Tonkunst erklärt wurde. Die An-
stalten sind schon dazu gemacht, und du allein sollst
der Zuhörer und Richter dieses Wettgesangs seyn. Nie-
mals hatte den Agathon eine Zeit länger gedaucht, als
die wenigen Stunden, die er in Erwartung dieses ver-
sprochenen Vergnügens zubrachte. Danae hatte ihn ver-
lassen, um durch ein erfrischendes Bad ihrer Schönheit
einen neuen Glanz zu geben, indessen daß er die ver-
schwindenden Stralen der untergehenden Sonne einen
nach dem andern zu zählen schien. Endlich kam die
angesezte Stunde. Der schönste Tag hatte der anmu-
thigsten Nacht Plaz gemacht, und eine süsse Dämme-
rung hatte schon die ganze schlummernde Ratur einge-
schleyert; als plözlich ein neuer zauberischer Tag, den
eine unendliche Menge künstlich verstekter Lampen ver-
ursachte, den reizenden Schauplaz sichtbar machte,
welchen die Fee dieses Orts zu diesem Lustspiel hatte
zubereiten lassen. Eine mit Lorberbäumen beschattete
Anhöhe erhob sich aus einem spiegelhellen See, der
mit Marmor gepflastert, und ringsum mit Myrten und
Rosenheken eingefaßt war. Kleine Quellen schlängel-
ten den Lorberhayn herab, und rieselten mit sanftem
Murmeln oder lächelndem Klatschen in den See, an
dessen Ufer hier und da kleine Grotten, mit Corallenmu-
scheln und andern Seegewächsen ausgeschmükt hervor-
ragten, und die Wohnung der Nymphen dieses Wassers

zu

Fuͤnftes Buch, ſechstes Capitel.
den Wettſtreit der Sirenen und der Muſen geben, ein
Stuͤk des beruͤhmten Damons, das ich noch aus Aſpa-
ſiens Zeiten uͤbrig habe, und das von den Kennern fuͤr
das Meiſterſtuͤk der Tonkunſt erklaͤrt wurde. Die An-
ſtalten ſind ſchon dazu gemacht, und du allein ſollſt
der Zuhoͤrer und Richter dieſes Wettgeſangs ſeyn. Nie-
mals hatte den Agathon eine Zeit laͤnger gedaucht, als
die wenigen Stunden, die er in Erwartung dieſes ver-
ſprochenen Vergnuͤgens zubrachte. Danae hatte ihn ver-
laſſen, um durch ein erfriſchendes Bad ihrer Schoͤnheit
einen neuen Glanz zu geben, indeſſen daß er die ver-
ſchwindenden Stralen der untergehenden Sonne einen
nach dem andern zu zaͤhlen ſchien. Endlich kam die
angeſezte Stunde. Der ſchoͤnſte Tag hatte der anmu-
thigſten Nacht Plaz gemacht, und eine ſuͤſſe Daͤmme-
rung hatte ſchon die ganze ſchlummernde Ratur einge-
ſchleyert; als ploͤzlich ein neuer zauberiſcher Tag, den
eine unendliche Menge kuͤnſtlich verſtekter Lampen ver-
urſachte, den reizenden Schauplaz ſichtbar machte,
welchen die Fee dieſes Orts zu dieſem Luſtſpiel hatte
zubereiten laſſen. Eine mit Lorberbaͤumen beſchattete
Anhoͤhe erhob ſich aus einem ſpiegelhellen See, der
mit Marmor gepflaſtert, und ringsum mit Myrten und
Roſenheken eingefaßt war. Kleine Quellen ſchlaͤngel-
ten den Lorberhayn herab, und rieſelten mit ſanftem
Murmeln oder laͤchelndem Klatſchen in den See, an
deſſen Ufer hier und da kleine Grotten, mit Corallenmu-
ſcheln und andern Seegewaͤchſen ausgeſchmuͤkt hervor-
ragten, und die Wohnung der Nymphen dieſes Waſſers

zu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0211" n="189"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Fu&#x0364;nftes Buch, &#x017F;echstes Capitel.</hi></fw><lb/>
den Wett&#x017F;treit der Sirenen und der Mu&#x017F;en geben, ein<lb/>
Stu&#x0364;k des beru&#x0364;hmten Damons, das ich noch aus A&#x017F;pa-<lb/>
&#x017F;iens Zeiten u&#x0364;brig habe, und das von den Kennern fu&#x0364;r<lb/>
das Mei&#x017F;ter&#x017F;tu&#x0364;k der Tonkun&#x017F;t erkla&#x0364;rt wurde. Die An-<lb/>
&#x017F;talten &#x017F;ind &#x017F;chon dazu gemacht, und du allein &#x017F;oll&#x017F;t<lb/>
der Zuho&#x0364;rer und Richter die&#x017F;es Wettge&#x017F;angs &#x017F;eyn. Nie-<lb/>
mals hatte den Agathon eine Zeit la&#x0364;nger gedaucht, als<lb/>
die wenigen Stunden, die er in Erwartung die&#x017F;es ver-<lb/>
&#x017F;prochenen Vergnu&#x0364;gens zubrachte. Danae hatte ihn ver-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, um durch ein erfri&#x017F;chendes Bad ihrer Scho&#x0364;nheit<lb/>
einen neuen Glanz zu geben, inde&#x017F;&#x017F;en daß er die ver-<lb/>
&#x017F;chwindenden Stralen der untergehenden Sonne einen<lb/>
nach dem andern zu za&#x0364;hlen &#x017F;chien. Endlich kam die<lb/>
ange&#x017F;ezte Stunde. Der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Tag hatte der anmu-<lb/>
thig&#x017F;ten Nacht Plaz gemacht, und eine &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e Da&#x0364;mme-<lb/>
rung hatte &#x017F;chon die ganze &#x017F;chlummernde Ratur einge-<lb/>
&#x017F;chleyert; als plo&#x0364;zlich ein neuer zauberi&#x017F;cher Tag, den<lb/>
eine unendliche Menge ku&#x0364;n&#x017F;tlich ver&#x017F;tekter Lampen ver-<lb/>
ur&#x017F;achte, den reizenden Schauplaz &#x017F;ichtbar machte,<lb/>
welchen die Fee die&#x017F;es Orts zu die&#x017F;em Lu&#x017F;t&#x017F;piel hatte<lb/>
zubereiten la&#x017F;&#x017F;en. Eine mit Lorberba&#x0364;umen be&#x017F;chattete<lb/>
Anho&#x0364;he erhob &#x017F;ich aus einem &#x017F;piegelhellen See, der<lb/>
mit Marmor gepfla&#x017F;tert, und ringsum mit Myrten und<lb/>
Ro&#x017F;enheken eingefaßt war. Kleine Quellen &#x017F;chla&#x0364;ngel-<lb/>
ten den Lorberhayn herab, und rie&#x017F;elten mit &#x017F;anftem<lb/>
Murmeln oder la&#x0364;chelndem Klat&#x017F;chen in den See, an<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Ufer hier und da kleine Grotten, mit Corallenmu-<lb/>
&#x017F;cheln und andern Seegewa&#x0364;ch&#x017F;en ausge&#x017F;chmu&#x0364;kt hervor-<lb/>
ragten, und die Wohnung der Nymphen die&#x017F;es Wa&#x017F;&#x017F;ers<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0211] Fuͤnftes Buch, ſechstes Capitel. den Wettſtreit der Sirenen und der Muſen geben, ein Stuͤk des beruͤhmten Damons, das ich noch aus Aſpa- ſiens Zeiten uͤbrig habe, und das von den Kennern fuͤr das Meiſterſtuͤk der Tonkunſt erklaͤrt wurde. Die An- ſtalten ſind ſchon dazu gemacht, und du allein ſollſt der Zuhoͤrer und Richter dieſes Wettgeſangs ſeyn. Nie- mals hatte den Agathon eine Zeit laͤnger gedaucht, als die wenigen Stunden, die er in Erwartung dieſes ver- ſprochenen Vergnuͤgens zubrachte. Danae hatte ihn ver- laſſen, um durch ein erfriſchendes Bad ihrer Schoͤnheit einen neuen Glanz zu geben, indeſſen daß er die ver- ſchwindenden Stralen der untergehenden Sonne einen nach dem andern zu zaͤhlen ſchien. Endlich kam die angeſezte Stunde. Der ſchoͤnſte Tag hatte der anmu- thigſten Nacht Plaz gemacht, und eine ſuͤſſe Daͤmme- rung hatte ſchon die ganze ſchlummernde Ratur einge- ſchleyert; als ploͤzlich ein neuer zauberiſcher Tag, den eine unendliche Menge kuͤnſtlich verſtekter Lampen ver- urſachte, den reizenden Schauplaz ſichtbar machte, welchen die Fee dieſes Orts zu dieſem Luſtſpiel hatte zubereiten laſſen. Eine mit Lorberbaͤumen beſchattete Anhoͤhe erhob ſich aus einem ſpiegelhellen See, der mit Marmor gepflaſtert, und ringsum mit Myrten und Roſenheken eingefaßt war. Kleine Quellen ſchlaͤngel- ten den Lorberhayn herab, und rieſelten mit ſanftem Murmeln oder laͤchelndem Klatſchen in den See, an deſſen Ufer hier und da kleine Grotten, mit Corallenmu- ſcheln und andern Seegewaͤchſen ausgeſchmuͤkt hervor- ragten, und die Wohnung der Nymphen dieſes Waſſers zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/211
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/211>, abgerufen am 21.11.2024.