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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.

Wir können indeß nicht bergen, daß wir aus ver-
schiednen Gründen in Versuchung gerathen sind, der
historischen Wahrheit dieses einzige mal Gewalt anzu-
thun, und unsern Agathon, wenn es auch durch ir-
gend einen Deum ex Machina hätte geschehen müssen,
so unversehrt aus der Gefahr, worinn er sich würk-
lich befindet, herauszuwikeln, als es für die Ehre des
Platonismus, die er bisher so schön behauptet hat,
allerdings zu wünschen gewesen wäre. Allein da wir in
Erwägung zogen, daß diese einzige poetische Freyheit
uns nöthigen würde, in der Folge seiner Begebenhei-
ten so viele andre Verändtrungen vorzunehmen, daß die
Geschichte Agathons würklich die Natur einer Geschichte
verlohren hätte, und zur Legende irgend eines morali-
schen Don Esplandians geworden wäre: So haben
wir uns aufgemuntert, über alle die ekeln Bedenklich-
lichkeiten hinauszugehen, die uns anfänglich stuzen ge-
macht hatten, und uns zu überreden, daß der Nuzen,
den unsre verständigen Leser sogar von den Schwach-
heiten unsers Helden in der Folge zu ziehen Gelegenheit
bekommen könnten, ungleich grösser seyn dürfte, als der
zweydeutige Vortheil, den die Tugend dadurch erhalten
hätte, wenn wir, durch eine unwahrscheinlichere Dich-
tung als man im ganzen Orlando unsers Freunds Ariost
finden wird, die schöne Danae in die Nothwendigkeit
gesezt hätten, in der Stille von ihm zu denken, was
die berühmte Phryne bey einer gewissen Gelegenheit von
dem weisen Xenoerates öffentlich gesagt haben soll.

So
Agathon.

Wir koͤnnen indeß nicht bergen, daß wir aus ver-
ſchiednen Gruͤnden in Verſuchung gerathen ſind, der
hiſtoriſchen Wahrheit dieſes einzige mal Gewalt anzu-
thun, und unſern Agathon, wenn es auch durch ir-
gend einen Deum ex Machina haͤtte geſchehen muͤſſen,
ſo unverſehrt aus der Gefahr, worinn er ſich wuͤrk-
lich befindet, herauszuwikeln, als es fuͤr die Ehre des
Platonismus, die er bisher ſo ſchoͤn behauptet hat,
allerdings zu wuͤnſchen geweſen waͤre. Allein da wir in
Erwaͤgung zogen, daß dieſe einzige poetiſche Freyheit
uns noͤthigen wuͤrde, in der Folge ſeiner Begebenhei-
ten ſo viele andre Veraͤndtrungen vorzunehmen, daß die
Geſchichte Agathons wuͤrklich die Natur einer Geſchichte
verlohren haͤtte, und zur Legende irgend eines morali-
ſchen Don Eſplandians geworden waͤre: So haben
wir uns aufgemuntert, uͤber alle die ekeln Bedenklich-
lichkeiten hinauszugehen, die uns anfaͤnglich ſtuzen ge-
macht hatten, und uns zu uͤberreden, daß der Nuzen,
den unſre verſtaͤndigen Leſer ſogar von den Schwach-
heiten unſers Helden in der Folge zu ziehen Gelegenheit
bekommen koͤnnten, ungleich groͤſſer ſeyn duͤrfte, als der
zweydeutige Vortheil, den die Tugend dadurch erhalten
haͤtte, wenn wir, durch eine unwahrſcheinlichere Dich-
tung als man im ganzen Orlando unſers Freunds Arioſt
finden wird, die ſchoͤne Danae in die Nothwendigkeit
geſezt haͤtten, in der Stille von ihm zu denken, was
die beruͤhmte Phryne bey einer gewiſſen Gelegenheit von
dem weiſen Xenoerates oͤffentlich geſagt haben ſoll.

So
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[202/0224] Agathon. Wir koͤnnen indeß nicht bergen, daß wir aus ver- ſchiednen Gruͤnden in Verſuchung gerathen ſind, der hiſtoriſchen Wahrheit dieſes einzige mal Gewalt anzu- thun, und unſern Agathon, wenn es auch durch ir- gend einen Deum ex Machina haͤtte geſchehen muͤſſen, ſo unverſehrt aus der Gefahr, worinn er ſich wuͤrk- lich befindet, herauszuwikeln, als es fuͤr die Ehre des Platonismus, die er bisher ſo ſchoͤn behauptet hat, allerdings zu wuͤnſchen geweſen waͤre. Allein da wir in Erwaͤgung zogen, daß dieſe einzige poetiſche Freyheit uns noͤthigen wuͤrde, in der Folge ſeiner Begebenhei- ten ſo viele andre Veraͤndtrungen vorzunehmen, daß die Geſchichte Agathons wuͤrklich die Natur einer Geſchichte verlohren haͤtte, und zur Legende irgend eines morali- ſchen Don Eſplandians geworden waͤre: So haben wir uns aufgemuntert, uͤber alle die ekeln Bedenklich- lichkeiten hinauszugehen, die uns anfaͤnglich ſtuzen ge- macht hatten, und uns zu uͤberreden, daß der Nuzen, den unſre verſtaͤndigen Leſer ſogar von den Schwach- heiten unſers Helden in der Folge zu ziehen Gelegenheit bekommen koͤnnten, ungleich groͤſſer ſeyn duͤrfte, als der zweydeutige Vortheil, den die Tugend dadurch erhalten haͤtte, wenn wir, durch eine unwahrſcheinlichere Dich- tung als man im ganzen Orlando unſers Freunds Arioſt finden wird, die ſchoͤne Danae in die Nothwendigkeit geſezt haͤtten, in der Stille von ihm zu denken, was die beruͤhmte Phryne bey einer gewiſſen Gelegenheit von dem weiſen Xenoerates oͤffentlich geſagt haben ſoll. So

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/224>, abgerufen am 21.11.2024.