So wisset dann, schöne Leserinnen, (und hütet euch, stolz auf diesen Sieg eurer Zaubermacht zu seyn,) daß Agathon, nachdem er eine ziemliche Weile in einem Gemüthszustand, dessen Abschilderung den Pinsel eines Thomsons oder Geßners erfoderte, allein zurük- geblieben war, wir wissen nicht ob aus eigner Be- wegung oder durch den geheimen Antrieb irgend eines antiplatonischen Genius den Weg gegen einen Pavillion genommen, der auf der Morgensette des Gartens in einem kleinen Hayn von Citronen-Granaten-und Myr- thenbäumen auf jonischen Säulen von Jaspis ruhte; daß er, weil er ihn erleuchtet gefunden, hinein- gegangen, und nachdem er einen Saal, dessen herr- liche Auszierung ihn nicht einen Augenblik aufhalten konnte, und zwey oder drey kleinere Zimmer durchgeei- let, in einem Cabinet, welches für die Ruhe der Lie- besgöttin bestimmt schien, die schöne Danae auf einem Sofa von nelkenfarbem Atlas schlafend angetroffen; daß er, nachdem er sie eine lange Zeit in unbeweglicher Entzü- kung und mit einer Zärtlichkeit, deren innerliches Ge- fühl alle körperliche Wollust an Süßigkeit übertrift, be- trachtet hatte, endlich
-- -- von der Gewalt der allmächtigen Lie- be bezwungen,
sich nicht länger zu enthalten vermocht, zu ihren Füssen kniend, eine von ihren nachläßig ausgestrekten schönen Händen mit einer Jnbrunst, wovon wenige Liebhaber
sich
Fuͤnftes Buch, achtes Capitel.
So wiſſet dann, ſchoͤne Leſerinnen, (und huͤtet euch, ſtolz auf dieſen Sieg eurer Zaubermacht zu ſeyn,) daß Agathon, nachdem er eine ziemliche Weile in einem Gemuͤthszuſtand, deſſen Abſchilderung den Pinſel eines Thomſons oder Geßners erfoderte, allein zuruͤk- geblieben war, wir wiſſen nicht ob aus eigner Be- wegung oder durch den geheimen Antrieb irgend eines antiplatoniſchen Genius den Weg gegen einen Pavillion genommen, der auf der Morgenſette des Gartens in einem kleinen Hayn von Citronen-Granaten-und Myr- thenbaͤumen auf joniſchen Saͤulen von Jaſpis ruhte; daß er, weil er ihn erleuchtet gefunden, hinein- gegangen, und nachdem er einen Saal, deſſen herr- liche Auszierung ihn nicht einen Augenblik aufhalten konnte, und zwey oder drey kleinere Zimmer durchgeei- let, in einem Cabinet, welches fuͤr die Ruhe der Lie- besgoͤttin beſtimmt ſchien, die ſchoͤne Danae auf einem Sofa von nelkenfarbem Atlas ſchlafend angetroffen; daß er, nachdem er ſie eine lange Zeit in unbeweglicher Entzuͤ- kung und mit einer Zaͤrtlichkeit, deren innerliches Ge- fuͤhl alle koͤrperliche Wolluſt an Suͤßigkeit uͤbertrift, be- trachtet hatte, endlich
— — von der Gewalt der allmaͤchtigen Lie- be bezwungen,
ſich nicht laͤnger zu enthalten vermocht, zu ihren Fuͤſſen kniend, eine von ihren nachlaͤßig ausgeſtrekten ſchoͤnen Haͤnden mit einer Jnbrunſt, wovon wenige Liebhaber
ſich
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[203/0225]
Fuͤnftes Buch, achtes Capitel.
So wiſſet dann, ſchoͤne Leſerinnen, (und huͤtet euch,
ſtolz auf dieſen Sieg eurer Zaubermacht zu ſeyn,)
daß Agathon, nachdem er eine ziemliche Weile in
einem Gemuͤthszuſtand, deſſen Abſchilderung den Pinſel
eines Thomſons oder Geßners erfoderte, allein zuruͤk-
geblieben war, wir wiſſen nicht ob aus eigner Be-
wegung oder durch den geheimen Antrieb irgend eines
antiplatoniſchen Genius den Weg gegen einen Pavillion
genommen, der auf der Morgenſette des Gartens in
einem kleinen Hayn von Citronen-Granaten-und Myr-
thenbaͤumen auf joniſchen Saͤulen von Jaſpis ruhte;
daß er, weil er ihn erleuchtet gefunden, hinein-
gegangen, und nachdem er einen Saal, deſſen herr-
liche Auszierung ihn nicht einen Augenblik aufhalten
konnte, und zwey oder drey kleinere Zimmer durchgeei-
let, in einem Cabinet, welches fuͤr die Ruhe der Lie-
besgoͤttin beſtimmt ſchien, die ſchoͤne Danae auf einem
Sofa von nelkenfarbem Atlas ſchlafend angetroffen; daß
er, nachdem er ſie eine lange Zeit in unbeweglicher Entzuͤ-
kung und mit einer Zaͤrtlichkeit, deren innerliches Ge-
fuͤhl alle koͤrperliche Wolluſt an Suͤßigkeit uͤbertrift, be-
trachtet hatte, endlich
— — von der Gewalt der allmaͤchtigen Lie-
be bezwungen,
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kniend, eine von ihren nachlaͤßig ausgeſtrekten ſchoͤnen
Haͤnden mit einer Jnbrunſt, wovon wenige Liebhaber
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/225>, abgerufen am 21.11.2024.
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