"Seele in Liebesflammen hinwegzuschmelzen. Zittre, "ungewahrsame Schöne! dieser Augenblik soll Amorn "und seine Mutter rächen! Tiefseufzend sollst du auffah- "ren, wie ein junges Reh auffährt, das unter Ro- "sen schlummernd den geflügelten Pfeil des Jägers "fühlt; schmerzenvoll und trostlos sollst du in einsa- "men Haynen irren, und auf öden Felsen sizend den "schleichenden Bach mit deinen Thränen mehren."
So sang er und spannte boßhaft-lächelnd den Bo- gen; schon war der Pfeil angelegt, schon zielte er nach ihrem leichtbedekten Busen: als er plözlich mit einem lauten Schrey zurükfuhr, seinen Pfeil zerbrach, den Bogen von sich warf, und mit zärtlich schüchterner Ge- behrde auf die schöne Danae zuflatterte. O Göttin, vergieb, (sang er, indem er bittend ihre Knie um- faßte) vergieb, vergieb, schöne Mutter, dem Jrtum meiner Augen! wie leicht war es zu irren? Jch sahe dich für Danae an.
Jn dem nehmlichen Augenblik, da er dieses ge- sungen hatte, erschienen die Grazien, die Liebesgötter und die kleinen Faunen wieder, und endigten diese Scene mit Tänzen und Gesängen, zum Preis derje- nigen, welche auf eine so schmeichelhafte Art zur Göt- tin der Schönheit und der Liebe erklärt worden war. Dieses überraschende Compliment, welches damals noch den Reiz der Neuheit hatte, weil es noch nicht an die Daphnen und Chloen so vieler neuern Poeten ver-
schwendet
Agathon.
„Seele in Liebesflammen hinwegzuſchmelzen. Zittre, „ungewahrſame Schoͤne! dieſer Augenblik ſoll Amorn „und ſeine Mutter raͤchen! Tiefſeufzend ſollſt du auffah- „ren, wie ein junges Reh auffaͤhrt, das unter Ro- „ſen ſchlummernd den gefluͤgelten Pfeil des Jaͤgers „fuͤhlt; ſchmerzenvoll und troſtlos ſollſt du in einſa- „men Haynen irren, und auf oͤden Felſen ſizend den „ſchleichenden Bach mit deinen Thraͤnen mehren.„
So ſang er und ſpannte boßhaft-laͤchelnd den Bo- gen; ſchon war der Pfeil angelegt, ſchon zielte er nach ihrem leichtbedekten Buſen: als er ploͤzlich mit einem lauten Schrey zuruͤkfuhr, ſeinen Pfeil zerbrach, den Bogen von ſich warf, und mit zaͤrtlich ſchuͤchterner Ge- behrde auf die ſchoͤne Danae zuflatterte. O Goͤttin, vergieb, (ſang er, indem er bittend ihre Knie um- faßte) vergieb, vergieb, ſchoͤne Mutter, dem Jrtum meiner Augen! wie leicht war es zu irren? Jch ſahe dich fuͤr Danae an.
Jn dem nehmlichen Augenblik, da er dieſes ge- ſungen hatte, erſchienen die Grazien, die Liebesgoͤtter und die kleinen Faunen wieder, und endigten dieſe Scene mit Taͤnzen und Geſaͤngen, zum Preis derje- nigen, welche auf eine ſo ſchmeichelhafte Art zur Goͤt- tin der Schoͤnheit und der Liebe erklaͤrt worden war. Dieſes uͤberraſchende Compliment, welches damals noch den Reiz der Neuheit hatte, weil es noch nicht an die Daphnen und Chloen ſo vieler neuern Poeten ver-
ſchwendet
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Agathon.
„Seele in Liebesflammen hinwegzuſchmelzen. Zittre,
„ungewahrſame Schoͤne! dieſer Augenblik ſoll Amorn
„und ſeine Mutter raͤchen! Tiefſeufzend ſollſt du auffah-
„ren, wie ein junges Reh auffaͤhrt, das unter Ro-
„ſen ſchlummernd den gefluͤgelten Pfeil des Jaͤgers
„fuͤhlt; ſchmerzenvoll und troſtlos ſollſt du in einſa-
„men Haynen irren, und auf oͤden Felſen ſizend den
„ſchleichenden Bach mit deinen Thraͤnen mehren.„
So ſang er und ſpannte boßhaft-laͤchelnd den Bo-
gen; ſchon war der Pfeil angelegt, ſchon zielte er nach
ihrem leichtbedekten Buſen: als er ploͤzlich mit einem
lauten Schrey zuruͤkfuhr, ſeinen Pfeil zerbrach, den
Bogen von ſich warf, und mit zaͤrtlich ſchuͤchterner Ge-
behrde auf die ſchoͤne Danae zuflatterte. O Goͤttin,
vergieb, (ſang er, indem er bittend ihre Knie um-
faßte) vergieb, vergieb, ſchoͤne Mutter, dem Jrtum
meiner Augen! wie leicht war es zu irren? Jch ſahe
dich fuͤr Danae an.
Jn dem nehmlichen Augenblik, da er dieſes ge-
ſungen hatte, erſchienen die Grazien, die Liebesgoͤtter
und die kleinen Faunen wieder, und endigten dieſe
Scene mit Taͤnzen und Geſaͤngen, zum Preis derje-
nigen, welche auf eine ſo ſchmeichelhafte Art zur Goͤt-
tin der Schoͤnheit und der Liebe erklaͤrt worden war.
Dieſes uͤberraſchende Compliment, welches damals noch
den Reiz der Neuheit hatte, weil es noch nicht an die
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/254>, abgerufen am 26.06.2024.
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