Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.Agathon. "Seele in Liebesflammen hinwegzuschmelzen. Zittre,"ungewahrsame Schöne! dieser Augenblik soll Amorn "und seine Mutter rächen! Tiefseufzend sollst du auffah- "ren, wie ein junges Reh auffährt, das unter Ro- "sen schlummernd den geflügelten Pfeil des Jägers "fühlt; schmerzenvoll und trostlos sollst du in einsa- "men Haynen irren, und auf öden Felsen sizend den "schleichenden Bach mit deinen Thränen mehren." So sang er und spannte boßhaft-lächelnd den Bo- Jn dem nehmlichen Augenblik, da er dieses ge- schwendet
Agathon. „Seele in Liebesflammen hinwegzuſchmelzen. Zittre,„ungewahrſame Schoͤne! dieſer Augenblik ſoll Amorn „und ſeine Mutter raͤchen! Tiefſeufzend ſollſt du auffah- „ren, wie ein junges Reh auffaͤhrt, das unter Ro- „ſen ſchlummernd den gefluͤgelten Pfeil des Jaͤgers „fuͤhlt; ſchmerzenvoll und troſtlos ſollſt du in einſa- „men Haynen irren, und auf oͤden Felſen ſizend den „ſchleichenden Bach mit deinen Thraͤnen mehren.„ So ſang er und ſpannte boßhaft-laͤchelnd den Bo- Jn dem nehmlichen Augenblik, da er dieſes ge- ſchwendet
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0254" n="232"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/> „Seele in Liebesflammen hinwegzuſchmelzen. Zittre,<lb/> „ungewahrſame Schoͤne! dieſer Augenblik ſoll Amorn<lb/> „und ſeine Mutter raͤchen! Tiefſeufzend ſollſt du auffah-<lb/> „ren, wie ein junges Reh auffaͤhrt, das unter Ro-<lb/> „ſen ſchlummernd den gefluͤgelten Pfeil des Jaͤgers<lb/> „fuͤhlt; ſchmerzenvoll und troſtlos ſollſt du in einſa-<lb/> „men Haynen irren, und auf oͤden Felſen ſizend den<lb/> „ſchleichenden Bach mit deinen Thraͤnen mehren.„</p><lb/> <p>So ſang er und ſpannte boßhaft-laͤchelnd den Bo-<lb/> gen; ſchon war der Pfeil angelegt, ſchon zielte er nach<lb/> ihrem leichtbedekten Buſen: als er ploͤzlich mit einem<lb/> lauten Schrey zuruͤkfuhr, ſeinen Pfeil zerbrach, den<lb/> Bogen von ſich warf, und mit zaͤrtlich ſchuͤchterner Ge-<lb/> behrde auf die ſchoͤne Danae zuflatterte. O Goͤttin,<lb/> vergieb, (ſang er, indem er bittend ihre Knie um-<lb/> faßte) vergieb, vergieb, ſchoͤne Mutter, dem Jrtum<lb/> meiner Augen! wie leicht war es zu irren? Jch ſahe<lb/> dich fuͤr Danae an.</p><lb/> <p>Jn dem nehmlichen Augenblik, da er dieſes ge-<lb/> ſungen hatte, erſchienen die Grazien, die Liebesgoͤtter<lb/> und die kleinen Faunen wieder, und endigten dieſe<lb/> Scene mit Taͤnzen und Geſaͤngen, zum Preis derje-<lb/> nigen, welche auf eine ſo ſchmeichelhafte Art zur Goͤt-<lb/> tin der Schoͤnheit und der Liebe erklaͤrt worden war.<lb/> Dieſes uͤberraſchende Compliment, welches damals noch<lb/> den Reiz der Neuheit hatte, weil es noch nicht an die<lb/> Daphnen und Chloen ſo vieler neuern Poeten ver-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſchwendet</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [232/0254]
Agathon.
„Seele in Liebesflammen hinwegzuſchmelzen. Zittre,
„ungewahrſame Schoͤne! dieſer Augenblik ſoll Amorn
„und ſeine Mutter raͤchen! Tiefſeufzend ſollſt du auffah-
„ren, wie ein junges Reh auffaͤhrt, das unter Ro-
„ſen ſchlummernd den gefluͤgelten Pfeil des Jaͤgers
„fuͤhlt; ſchmerzenvoll und troſtlos ſollſt du in einſa-
„men Haynen irren, und auf oͤden Felſen ſizend den
„ſchleichenden Bach mit deinen Thraͤnen mehren.„
So ſang er und ſpannte boßhaft-laͤchelnd den Bo-
gen; ſchon war der Pfeil angelegt, ſchon zielte er nach
ihrem leichtbedekten Buſen: als er ploͤzlich mit einem
lauten Schrey zuruͤkfuhr, ſeinen Pfeil zerbrach, den
Bogen von ſich warf, und mit zaͤrtlich ſchuͤchterner Ge-
behrde auf die ſchoͤne Danae zuflatterte. O Goͤttin,
vergieb, (ſang er, indem er bittend ihre Knie um-
faßte) vergieb, vergieb, ſchoͤne Mutter, dem Jrtum
meiner Augen! wie leicht war es zu irren? Jch ſahe
dich fuͤr Danae an.
Jn dem nehmlichen Augenblik, da er dieſes ge-
ſungen hatte, erſchienen die Grazien, die Liebesgoͤtter
und die kleinen Faunen wieder, und endigten dieſe
Scene mit Taͤnzen und Geſaͤngen, zum Preis derje-
nigen, welche auf eine ſo ſchmeichelhafte Art zur Goͤt-
tin der Schoͤnheit und der Liebe erklaͤrt worden war.
Dieſes uͤberraſchende Compliment, welches damals noch
den Reiz der Neuheit hatte, weil es noch nicht an die
Daphnen und Chloen ſo vieler neuern Poeten ver-
ſchwendet
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |