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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
die er zu fassen habe, nachdenken zu können. Unter
allen Bildern, welche der Traum in seinem Gemüthe
zurükgelassen hatte, rührte ihn keines lebhafter als die
Vorstellung der Psyche, wie sie mit ernstem Gesicht
auf den Tempel und die Hayne von Delphi wieß --
die geheiligten Oerter, wo sie einander zuerst gesehen,
wo sie so oft sich eine ewige Liebe geschworen, wo sie
so rein, so tugendhaft sich geliebt hatten,

wie sich im hohen Olymp die Unverkörperten lieben.

Diese Bilder hatten etwas so rührendes, und der
Schmerz, womit sie ihn durchdrangen, wurde durch
die lebhaftesten Erinnerungen seiner ehmaligen Glükse-
ligkeit so sanft gemildert, daß er eine Art von Wollust
darinn empfand, sich der zärtlichen Wehmuth zu über-
lassen, wovon seine Seele dabey eingenommen wurde.
Er verglich seinen izigen Zustand mit jener seligen
Stille des Herzens, mit jener immer lächelnden Hei-
terkeit der Seele, mit jenen sanften und unschuldsvol-
len Freuden, zu welchen, seiner Einbildung nach, un-
sterbliche Zuschauer ihren Beyfall gegeben hatten:
Und indem er unvermerkt, anstatt die Vergleichung
unpartheyisch fortzusezen, sich dem schleichenden Lauf
seiner erregten Einbildungskraft überließ; däuchte ihn
nicht anders, als ob seine Seele nach jener elysischen
Ruhe, wie nach ihrem angebohrnen Elemente, sich
zurüksehne. Wenn es auch Schwärmereyen waren,
rief er seufzend aus, wenn es auch blosse Träume wa-
ren, in die mein halbabgeschiedner, halbvergötterter

Geist

Agathon.
die er zu faſſen habe, nachdenken zu koͤnnen. Unter
allen Bildern, welche der Traum in ſeinem Gemuͤthe
zuruͤkgelaſſen hatte, ruͤhrte ihn keines lebhafter als die
Vorſtellung der Pſyche, wie ſie mit ernſtem Geſicht
auf den Tempel und die Hayne von Delphi wieß —
die geheiligten Oerter, wo ſie einander zuerſt geſehen,
wo ſie ſo oft ſich eine ewige Liebe geſchworen, wo ſie
ſo rein, ſo tugendhaft ſich geliebt hatten,

wie ſich im hohen Olymp die Unverkoͤrperten lieben.

Dieſe Bilder hatten etwas ſo ruͤhrendes, und der
Schmerz, womit ſie ihn durchdrangen, wurde durch
die lebhafteſten Erinnerungen ſeiner ehmaligen Gluͤkſe-
ligkeit ſo ſanft gemildert, daß er eine Art von Wolluſt
darinn empfand, ſich der zaͤrtlichen Wehmuth zu uͤber-
laſſen, wovon ſeine Seele dabey eingenommen wurde.
Er verglich ſeinen izigen Zuſtand mit jener ſeligen
Stille des Herzens, mit jener immer laͤchelnden Hei-
terkeit der Seele, mit jenen ſanften und unſchuldsvol-
len Freuden, zu welchen, ſeiner Einbildung nach, un-
ſterbliche Zuſchauer ihren Beyfall gegeben hatten:
Und indem er unvermerkt, anſtatt die Vergleichung
unpartheyiſch fortzuſezen, ſich dem ſchleichenden Lauf
ſeiner erregten Einbildungskraft uͤberließ; daͤuchte ihn
nicht anders, als ob ſeine Seele nach jener elyſiſchen
Ruhe, wie nach ihrem angebohrnen Elemente, ſich
zuruͤkſehne. Wenn es auch Schwaͤrmereyen waren,
rief er ſeufzend aus, wenn es auch bloſſe Traͤume wa-
ren, in die mein halbabgeſchiedner, halbvergoͤtterter

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[246/0268] Agathon. die er zu faſſen habe, nachdenken zu koͤnnen. Unter allen Bildern, welche der Traum in ſeinem Gemuͤthe zuruͤkgelaſſen hatte, ruͤhrte ihn keines lebhafter als die Vorſtellung der Pſyche, wie ſie mit ernſtem Geſicht auf den Tempel und die Hayne von Delphi wieß — die geheiligten Oerter, wo ſie einander zuerſt geſehen, wo ſie ſo oft ſich eine ewige Liebe geſchworen, wo ſie ſo rein, ſo tugendhaft ſich geliebt hatten, wie ſich im hohen Olymp die Unverkoͤrperten lieben. Dieſe Bilder hatten etwas ſo ruͤhrendes, und der Schmerz, womit ſie ihn durchdrangen, wurde durch die lebhafteſten Erinnerungen ſeiner ehmaligen Gluͤkſe- ligkeit ſo ſanft gemildert, daß er eine Art von Wolluſt darinn empfand, ſich der zaͤrtlichen Wehmuth zu uͤber- laſſen, wovon ſeine Seele dabey eingenommen wurde. Er verglich ſeinen izigen Zuſtand mit jener ſeligen Stille des Herzens, mit jener immer laͤchelnden Hei- terkeit der Seele, mit jenen ſanften und unſchuldsvol- len Freuden, zu welchen, ſeiner Einbildung nach, un- ſterbliche Zuſchauer ihren Beyfall gegeben hatten: Und indem er unvermerkt, anſtatt die Vergleichung unpartheyiſch fortzuſezen, ſich dem ſchleichenden Lauf ſeiner erregten Einbildungskraft uͤberließ; daͤuchte ihn nicht anders, als ob ſeine Seele nach jener elyſiſchen Ruhe, wie nach ihrem angebohrnen Elemente, ſich zuruͤkſehne. Wenn es auch Schwaͤrmereyen waren, rief er ſeufzend aus, wenn es auch bloſſe Traͤume wa- ren, in die mein halbabgeſchiedner, halbvergoͤtterter Geiſt

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/268>, abgerufen am 24.11.2024.