Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite


Agathon.
Siebentes Buch.


Erstes Capitel.
Die erste Jugend des Agathons.

Jch war schon achtzehn Jahre alt, eh ich denjenigen
kannte, dem ich mein Daseyn zu danken habe. Von
der ersien Kindheit an, in den Hallen des delphischen
Tempels erzogen, war ich gewöhnt, die Priester des
Apollo mit diesen kindlichen Empfindungen anzusehen,
welche das erste Alter über alle, die für unsre Erhal-
tung Sorge tragen, zu ergiessen pflegt. Jch war noch
ein kleiner Knabe, als ich schon mit dem geheiligten
Gewand, welches die jungen Diener des Gottes von
den Sclaven der Priester unterschied, bekleidet, nnd
zum Dienst des Tempels, wozu ich gewiedmet war, zu-
bereitet wurde.

Wer Delphi gesehen hat, wird sich nicht ver-
wundern, daß ein Knabe von gefühlvoller Art, der
beynahe von der Wiegen an daselbst erzogen worden,
unvermerkt eine Gemüthsbildung bekommen muß, wel-

che
[Agath. I. Th.] R


Agathon.
Siebentes Buch.


Erſtes Capitel.
Die erſte Jugend des Agathons.

Jch war ſchon achtzehn Jahre alt, eh ich denjenigen
kannte, dem ich mein Daſeyn zu danken habe. Von
der erſien Kindheit an, in den Hallen des delphiſchen
Tempels erzogen, war ich gewoͤhnt, die Prieſter des
Apollo mit dieſen kindlichen Empfindungen anzuſehen,
welche das erſte Alter uͤber alle, die fuͤr unſre Erhal-
tung Sorge tragen, zu ergieſſen pflegt. Jch war noch
ein kleiner Knabe, als ich ſchon mit dem geheiligten
Gewand, welches die jungen Diener des Gottes von
den Sclaven der Prieſter unterſchied, bekleidet, nnd
zum Dienſt des Tempels, wozu ich gewiedmet war, zu-
bereitet wurde.

Wer Delphi geſehen hat, wird ſich nicht ver-
wundern, daß ein Knabe von gefuͤhlvoller Art, der
beynahe von der Wiegen an daſelbſt erzogen worden,
unvermerkt eine Gemuͤthsbildung bekommen muß, wel-

che
[Agath. I. Th.] R
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0279" n="257"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Agathon.<lb/>
Siebentes Buch.</hi> </hi> </head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Er&#x017F;tes Capitel.</hi><lb/>
Die er&#x017F;te Jugend des Agathons.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">J</hi>ch war &#x017F;chon achtzehn Jahre alt, eh ich denjenigen<lb/>
kannte, dem ich mein Da&#x017F;eyn zu danken habe. Von<lb/>
der er&#x017F;ien Kindheit an, in den Hallen des delphi&#x017F;chen<lb/>
Tempels erzogen, war ich gewo&#x0364;hnt, die Prie&#x017F;ter des<lb/>
Apollo mit die&#x017F;en kindlichen Empfindungen anzu&#x017F;ehen,<lb/>
welche das er&#x017F;te Alter u&#x0364;ber alle, die fu&#x0364;r un&#x017F;re Erhal-<lb/>
tung Sorge tragen, zu ergie&#x017F;&#x017F;en pflegt. Jch war noch<lb/>
ein kleiner Knabe, als ich &#x017F;chon mit dem geheiligten<lb/>
Gewand, welches die jungen Diener des Gottes von<lb/>
den Sclaven der Prie&#x017F;ter unter&#x017F;chied, bekleidet, nnd<lb/>
zum Dien&#x017F;t des Tempels, wozu ich gewiedmet war, zu-<lb/>
bereitet wurde.</p><lb/>
            <p>Wer Delphi ge&#x017F;ehen hat, wird &#x017F;ich nicht ver-<lb/>
wundern, daß ein Knabe von gefu&#x0364;hlvoller Art, der<lb/>
beynahe von der Wiegen an da&#x017F;elb&#x017F;t erzogen worden,<lb/>
unvermerkt eine Gemu&#x0364;thsbildung bekommen muß, wel-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">[<hi rendition="#fr">Agath.</hi> <hi rendition="#aq">I.</hi> <hi rendition="#fr">Th.</hi>] R</fw><fw place="bottom" type="catch">che</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0279] Agathon. Siebentes Buch. Erſtes Capitel. Die erſte Jugend des Agathons. Jch war ſchon achtzehn Jahre alt, eh ich denjenigen kannte, dem ich mein Daſeyn zu danken habe. Von der erſien Kindheit an, in den Hallen des delphiſchen Tempels erzogen, war ich gewoͤhnt, die Prieſter des Apollo mit dieſen kindlichen Empfindungen anzuſehen, welche das erſte Alter uͤber alle, die fuͤr unſre Erhal- tung Sorge tragen, zu ergieſſen pflegt. Jch war noch ein kleiner Knabe, als ich ſchon mit dem geheiligten Gewand, welches die jungen Diener des Gottes von den Sclaven der Prieſter unterſchied, bekleidet, nnd zum Dienſt des Tempels, wozu ich gewiedmet war, zu- bereitet wurde. Wer Delphi geſehen hat, wird ſich nicht ver- wundern, daß ein Knabe von gefuͤhlvoller Art, der beynahe von der Wiegen an daſelbſt erzogen worden, unvermerkt eine Gemuͤthsbildung bekommen muß, wel- che [Agath. I. Th.] R

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/279
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/279>, abgerufen am 24.11.2024.