Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.Agathon. che ihn von den gewöhnlichen Menschen unterscheidet.Ausser der besondern Heiligkeit, welche ein uraltes Vor- urtheil und die geglaubte Gegenwart des Pythischen Gottes der ganzen delphischen Landschaft beygelegt hat, war in den Bezirken des Tempels selbst kein Plaz, der nicht von irgend einem ehrwürdigen oder glänzenden Ge- genstand erfüllt, oder durch das Andenken irgend ei- nes Wunders verherrlichet war. Wie nun der Anblik so vieler wundervoller Dinge das erste war, woran meine Augen gewöhnt wurden: So war die Erzäh- lung wunderbarer Begebenheiten die erste mündliche Unterweisung, die ich von meinen Vorgesezten erhielt; eine Art von Unterricht, den ich nöthig hatte, weil es ein Theil meines Berufs seyn sollte, den Fremden, von welchen der Tempel immer angefüllt war, die Gemähl- de, die Schnizwerke und Bilder, und den unsäglichen Reichtum von Geschenken, wovon die Hallen und Ge- wölbe desselben schimmerten, zu erklären. Für ungewohnte Augen ist vielleicht nichts blenden- Puppen
Agathon. che ihn von den gewoͤhnlichen Menſchen unterſcheidet.Auſſer der beſondern Heiligkeit, welche ein uraltes Vor- urtheil und die geglaubte Gegenwart des Pythiſchen Gottes der ganzen delphiſchen Landſchaft beygelegt hat, war in den Bezirken des Tempels ſelbſt kein Plaz, der nicht von irgend einem ehrwuͤrdigen oder glaͤnzenden Ge- genſtand erfuͤllt, oder durch das Andenken irgend ei- nes Wunders verherrlichet war. Wie nun der Anblik ſo vieler wundervoller Dinge das erſte war, woran meine Augen gewoͤhnt wurden: So war die Erzaͤh- lung wunderbarer Begebenheiten die erſte muͤndliche Unterweiſung, die ich von meinen Vorgeſezten erhielt; eine Art von Unterricht, den ich noͤthig hatte, weil es ein Theil meines Berufs ſeyn ſollte, den Fremden, von welchen der Tempel immer angefuͤllt war, die Gemaͤhl- de, die Schnizwerke und Bilder, und den unſaͤglichen Reichtum von Geſchenken, wovon die Hallen und Ge- woͤlbe deſſelben ſchimmerten, zu erklaͤren. Fuͤr ungewohnte Augen iſt vielleicht nichts blenden- Puppen
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Agathon.
che ihn von den gewoͤhnlichen Menſchen unterſcheidet.
Auſſer der beſondern Heiligkeit, welche ein uraltes Vor-
urtheil und die geglaubte Gegenwart des Pythiſchen
Gottes der ganzen delphiſchen Landſchaft beygelegt hat,
war in den Bezirken des Tempels ſelbſt kein Plaz, der
nicht von irgend einem ehrwuͤrdigen oder glaͤnzenden Ge-
genſtand erfuͤllt, oder durch das Andenken irgend ei-
nes Wunders verherrlichet war. Wie nun der Anblik
ſo vieler wundervoller Dinge das erſte war, woran
meine Augen gewoͤhnt wurden: So war die Erzaͤh-
lung wunderbarer Begebenheiten die erſte muͤndliche
Unterweiſung, die ich von meinen Vorgeſezten erhielt;
eine Art von Unterricht, den ich noͤthig hatte, weil es
ein Theil meines Berufs ſeyn ſollte, den Fremden, von
welchen der Tempel immer angefuͤllt war, die Gemaͤhl-
de, die Schnizwerke und Bilder, und den unſaͤglichen
Reichtum von Geſchenken, wovon die Hallen und Ge-
woͤlbe deſſelben ſchimmerten, zu erklaͤren.
Fuͤr ungewohnte Augen iſt vielleicht nichts blenden-
ders als der Anblik eines von ſo vielen Koͤnigen,
Staͤdten und reichen Particularen in ganzen Jahrhun-
derten zuſammengehaͤuften Schazes von Gold, Silber,
Edelſteinen, Perlen, Elfenbein und andern Koſtbar-
keiten: Fuͤr mich, der dieſes Anbliks gewohnt war,
hatte die beſcheidne Bildſaͤule eines Solon mehr Reiz,
als alle dieſe ſchimmernde Tropheen einer aberglaͤubi-
ſchen Andacht, welche ich gar bald mit eben der ver-
achtenden Gleichguͤltigkeit anſahe, womit ein Knabe die
Puppen
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