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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
mal zu wissen, wohin er kam,) sich hieher verirrt
hatte. Denn anstatt mich ihren Zorn empfinden zu
lassen, begünstigte sie mich vielmehr mit einer Erschei-
nung, welche mir angenehmer war, als wenn sie selbst,
mich zu ihrem Endymion zu machen, zu mir herab-
gestiegen wäre. Weil ich in eben dem Augenblik, da
ich diese Erscheinung hatte, den Ort, wo ich mich be-
fand, für denjenigen erkannte, der mir öfters, um
ihn desto gewisser vermeiden zu können, beschrieben
worden war; so war würklich mein erster Gedanke, daß
es die Göttin sey, welche, von der Jagd ermüdet, un-
ter ihren Nymphen schlummere. Von einem heiligen
Schauer erschüttert, wollte ich schon den Fuß zurük-
ziehn; als ich beym Glanz des seitwerts einfallenden
Mond-Lichts gewahr wurde, daß es meine Unbekannte
war. Jch will es nicht versuchen, zu beschreiben wie
mir in diesem Augenblike zu Muthe war; es war einer
von denen, an welche ich mich nur erinnern darf, um
zu glauben, daß ein Wesen, welches einer solchen
Wonne fähig ist, zu nichts geringers als zu der Wonne
der Götter bestimmt seyn könne. Jzt konnt' ich natür-
licher Weise nicht mehr denken, mich unbemerkt zurük-
zuziehen; meine einzige Sorge war, die liebenswürdige
Einsame zu einer Zeit und an einem Orte, wo sie kei-
nen Zeugen, am allerwenigsten einen männlichen ver-
muthen konnte, durch keine plözliche Ueberraschung zu
erschreken. Die Stellung, worinn sie an eine der mar-
mornen Nymphen angelegt lag, gab zu erkennen, daß
sie staunte; ich betrachtete sie eine geraume Weile, ohne

daß

Agathon.
mal zu wiſſen, wohin er kam,) ſich hieher verirrt
hatte. Denn anſtatt mich ihren Zorn empfinden zu
laſſen, beguͤnſtigte ſie mich vielmehr mit einer Erſchei-
nung, welche mir angenehmer war, als wenn ſie ſelbſt,
mich zu ihrem Endymion zu machen, zu mir herab-
geſtiegen waͤre. Weil ich in eben dem Augenblik, da
ich dieſe Erſcheinung hatte, den Ort, wo ich mich be-
fand, fuͤr denjenigen erkannte, der mir oͤfters, um
ihn deſto gewiſſer vermeiden zu koͤnnen, beſchrieben
worden war; ſo war wuͤrklich mein erſter Gedanke, daß
es die Goͤttin ſey, welche, von der Jagd ermuͤdet, un-
ter ihren Nymphen ſchlummere. Von einem heiligen
Schauer erſchuͤttert, wollte ich ſchon den Fuß zuruͤk-
ziehn; als ich beym Glanz des ſeitwerts einfallenden
Mond-Lichts gewahr wurde, daß es meine Unbekannte
war. Jch will es nicht verſuchen, zu beſchreiben wie
mir in dieſem Augenblike zu Muthe war; es war einer
von denen, an welche ich mich nur erinnern darf, um
zu glauben, daß ein Weſen, welches einer ſolchen
Wonne faͤhig iſt, zu nichts geringers als zu der Wonne
der Goͤtter beſtimmt ſeyn koͤnne. Jzt konnt’ ich natuͤr-
licher Weiſe nicht mehr denken, mich unbemerkt zuruͤk-
zuziehen; meine einzige Sorge war, die liebenswuͤrdige
Einſame zu einer Zeit und an einem Orte, wo ſie kei-
nen Zeugen, am allerwenigſten einen maͤnnlichen ver-
muthen konnte, durch keine ploͤzliche Ueberraſchung zu
erſchreken. Die Stellung, worinn ſie an eine der mar-
mornen Nymphen angelegt lag, gab zu erkennen, daß
ſie ſtaunte; ich betrachtete ſie eine geraume Weile, ohne

daß
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[296/0318] Agathon. mal zu wiſſen, wohin er kam,) ſich hieher verirrt hatte. Denn anſtatt mich ihren Zorn empfinden zu laſſen, beguͤnſtigte ſie mich vielmehr mit einer Erſchei- nung, welche mir angenehmer war, als wenn ſie ſelbſt, mich zu ihrem Endymion zu machen, zu mir herab- geſtiegen waͤre. Weil ich in eben dem Augenblik, da ich dieſe Erſcheinung hatte, den Ort, wo ich mich be- fand, fuͤr denjenigen erkannte, der mir oͤfters, um ihn deſto gewiſſer vermeiden zu koͤnnen, beſchrieben worden war; ſo war wuͤrklich mein erſter Gedanke, daß es die Goͤttin ſey, welche, von der Jagd ermuͤdet, un- ter ihren Nymphen ſchlummere. Von einem heiligen Schauer erſchuͤttert, wollte ich ſchon den Fuß zuruͤk- ziehn; als ich beym Glanz des ſeitwerts einfallenden Mond-Lichts gewahr wurde, daß es meine Unbekannte war. Jch will es nicht verſuchen, zu beſchreiben wie mir in dieſem Augenblike zu Muthe war; es war einer von denen, an welche ich mich nur erinnern darf, um zu glauben, daß ein Weſen, welches einer ſolchen Wonne faͤhig iſt, zu nichts geringers als zu der Wonne der Goͤtter beſtimmt ſeyn koͤnne. Jzt konnt’ ich natuͤr- licher Weiſe nicht mehr denken, mich unbemerkt zuruͤk- zuziehen; meine einzige Sorge war, die liebenswuͤrdige Einſame zu einer Zeit und an einem Orte, wo ſie kei- nen Zeugen, am allerwenigſten einen maͤnnlichen ver- muthen konnte, durch keine ploͤzliche Ueberraſchung zu erſchreken. Die Stellung, worinn ſie an eine der mar- mornen Nymphen angelegt lag, gab zu erkennen, daß ſie ſtaunte; ich betrachtete ſie eine geraume Weile, ohne daß

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/318>, abgerufen am 24.11.2024.