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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Siebentes Buch, viertes Capitel.
andere schliefen, in den angenehmen Haynen, die den
Tempel umgeben, mit meinen Gedanken und dem Bilde
meiner Unbekannten zu durchwachen. Jn einer dieser
Nächte begegnete es, daß ich von ungefehr in eine Ge-
gend des Hayns verirrte, welche das Ansehen einer
Wildniß, aber der anmuthigsten, die man sich nur ein-
bilden kann, hatte. Mitten darinn ließ das Gebüsche,
welches in labyrinthischen Krümmungen mit hohen Cy-
pressen und vielen selbst gewachsenen Lauben abgesezt,
sich um sich selbst herumwand, einen offnen Plaz, der
mit einem halben Circul von wilden Lorbeer-Bäumen,
von denen sich immer eine Reihe über die andere erhub,
eingefaßt, auf der andern Seite aber nur mit niedri-
gem Myrthen-Gesträuch und Rosen-Heken leicht um-
kränzt war. Mitten darinn lagen einige Nymphen von
weissem Marmor, von überhangendem Rosen-Gesträu-
che beschattet, welche auf ihren Urnen zu schlafen schie-
nen, indeß sich aus jeder Urne eine Quelle in ein ge-
raumiges Beken von poliertem schwarzem Granit-Mar-
mor ergoß, worinn die Frauens-Personen, welche un-
ter dem Schuz des delphischen Apollo stuhnden, sich
im Sommer zu baden pflegten. Dieser Ort war (ei-
ner alten Sage nach) der Diana heilig; und kein
männlicher Fuß durfte, bey Strafe, sich den Zorn
dieser unerbittlichen Göttin zu zuziehen, sich unterste-
stehen, ihrem geheiligten Ruhe-Plaz nahe zu kommen.
Vermuthlich machte die Göttin eine Ausnahme zu Gun-
sten eines unschuldigen Schwärmers, der (ohne den
mindesten Vorsaz, ihre Ruhe zu stören, und ohne ein-

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Siebentes Buch, viertes Capitel.
andere ſchliefen, in den angenehmen Haynen, die den
Tempel umgeben, mit meinen Gedanken und dem Bilde
meiner Unbekannten zu durchwachen. Jn einer dieſer
Naͤchte begegnete es, daß ich von ungefehr in eine Ge-
gend des Hayns verirrte, welche das Anſehen einer
Wildniß, aber der anmuthigſten, die man ſich nur ein-
bilden kann, hatte. Mitten darinn ließ das Gebuͤſche,
welches in labyrinthiſchen Kruͤmmungen mit hohen Cy-
preſſen und vielen ſelbſt gewachſenen Lauben abgeſezt,
ſich um ſich ſelbſt herumwand, einen offnen Plaz, der
mit einem halben Circul von wilden Lorbeer-Baͤumen,
von denen ſich immer eine Reihe uͤber die andere erhub,
eingefaßt, auf der andern Seite aber nur mit niedri-
gem Myrthen-Geſtraͤuch und Roſen-Heken leicht um-
kraͤnzt war. Mitten darinn lagen einige Nymphen von
weiſſem Marmor, von uͤberhangendem Roſen-Geſtraͤu-
che beſchattet, welche auf ihren Urnen zu ſchlafen ſchie-
nen, indeß ſich aus jeder Urne eine Quelle in ein ge-
raumiges Beken von poliertem ſchwarzem Granit-Mar-
mor ergoß, worinn die Frauens-Perſonen, welche un-
ter dem Schuz des delphiſchen Apollo ſtuhnden, ſich
im Sommer zu baden pflegten. Dieſer Ort war (ei-
ner alten Sage nach) der Diana heilig; und kein
maͤnnlicher Fuß durfte, bey Strafe, ſich den Zorn
dieſer unerbittlichen Goͤttin zu zuziehen, ſich unterſte-
ſtehen, ihrem geheiligten Ruhe-Plaz nahe zu kommen.
Vermuthlich machte die Goͤttin eine Ausnahme zu Gun-
ſten eines unſchuldigen Schwaͤrmers, der (ohne den
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[295/0317] Siebentes Buch, viertes Capitel. andere ſchliefen, in den angenehmen Haynen, die den Tempel umgeben, mit meinen Gedanken und dem Bilde meiner Unbekannten zu durchwachen. Jn einer dieſer Naͤchte begegnete es, daß ich von ungefehr in eine Ge- gend des Hayns verirrte, welche das Anſehen einer Wildniß, aber der anmuthigſten, die man ſich nur ein- bilden kann, hatte. Mitten darinn ließ das Gebuͤſche, welches in labyrinthiſchen Kruͤmmungen mit hohen Cy- preſſen und vielen ſelbſt gewachſenen Lauben abgeſezt, ſich um ſich ſelbſt herumwand, einen offnen Plaz, der mit einem halben Circul von wilden Lorbeer-Baͤumen, von denen ſich immer eine Reihe uͤber die andere erhub, eingefaßt, auf der andern Seite aber nur mit niedri- gem Myrthen-Geſtraͤuch und Roſen-Heken leicht um- kraͤnzt war. Mitten darinn lagen einige Nymphen von weiſſem Marmor, von uͤberhangendem Roſen-Geſtraͤu- che beſchattet, welche auf ihren Urnen zu ſchlafen ſchie- nen, indeß ſich aus jeder Urne eine Quelle in ein ge- raumiges Beken von poliertem ſchwarzem Granit-Mar- mor ergoß, worinn die Frauens-Perſonen, welche un- ter dem Schuz des delphiſchen Apollo ſtuhnden, ſich im Sommer zu baden pflegten. Dieſer Ort war (ei- ner alten Sage nach) der Diana heilig; und kein maͤnnlicher Fuß durfte, bey Strafe, ſich den Zorn dieſer unerbittlichen Goͤttin zu zuziehen, ſich unterſte- ſtehen, ihrem geheiligten Ruhe-Plaz nahe zu kommen. Vermuthlich machte die Goͤttin eine Ausnahme zu Gun- ſten eines unſchuldigen Schwaͤrmers, der (ohne den mindeſten Vorſaz, ihre Ruhe zu ſtoͤren, und ohne ein- mal T 4

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/317>, abgerufen am 24.11.2024.