Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Agathon.
rer eignen geistigen Sprache sich einander enthüllten,
und lauter Licht und Wonne um sich her sahen, und
unsterblich zu seyn wünschten, um sich ewig lieben zu
können. Unter diesen Erinnerungen, deren Lebhaftig-
keit alle äußre Empfindungen verdunkelte, beruhigte sich
mein Herz allgemach. Jch, die sich selbst nur für ei-
nen Theil deines Wesens hielt, konnte nicht glauben,
daß wir immer getrennt bleiben würden. Diese Hof-
nung machte nun mein Leben aus, und bemächtigte sich
meiner so sehr, daß ich wieder heiter wurde. Denn
ich zweifelte nicht, ich wußte es, daß du nicht aufhö-
ren könntest, mich zu lieben. Jch überließ dich der
glühenden Leidenschaft einer mächtigen und reizenden
Nebenbulerin, ohne sie einen Augenblik zu fürchten.
Jch wußte, daß wenn sie es auch so weit bringen
könnte, deine Sinnen zu verführen, sie doch unfä-
hig sey, dir eine Liebe einzuflößen wie die unsrige,
und daß du dich bald wieder nach derjenigen sehnen
würdest, die dich allein glüklich machen, weil sie al-
lein dich lieben kann, wie du geliebt zu seyn wün-
schest. Unter tausend solchen Gedanken kam ich end-
lich zu Syracus an. Die vorsichtige Priesterin hat-
te Anstalt gemacht, daß ich nirgend Mittel finden
konnte, dir von meinem Aufenthalt Nachricht zu geben.
Meine neue Gebieterin war von der guten Art von
Geschöpfen, die gemacht sind sich selbst zu gefallen,
und sich alles gefallen zu lassen. Jch wurde zu der
Ehre bestimmt, den Aufpuz ihres schönen Kopfes zu

besor-

Agathon.
rer eignen geiſtigen Sprache ſich einander enthuͤllten,
und lauter Licht und Wonne um ſich her ſahen, und
unſterblich zu ſeyn wuͤnſchten, um ſich ewig lieben zu
koͤnnen. Unter dieſen Erinnerungen, deren Lebhaftig-
keit alle aͤußre Empfindungen verdunkelte, beruhigte ſich
mein Herz allgemach. Jch, die ſich ſelbſt nur fuͤr ei-
nen Theil deines Weſens hielt, konnte nicht glauben,
daß wir immer getrennt bleiben wuͤrden. Dieſe Hof-
nung machte nun mein Leben aus, und bemaͤchtigte ſich
meiner ſo ſehr, daß ich wieder heiter wurde. Denn
ich zweifelte nicht, ich wußte es, daß du nicht aufhoͤ-
ren koͤnnteſt, mich zu lieben. Jch uͤberließ dich der
gluͤhenden Leidenſchaft einer maͤchtigen und reizenden
Nebenbulerin, ohne ſie einen Augenblik zu fuͤrchten.
Jch wußte, daß wenn ſie es auch ſo weit bringen
koͤnnte, deine Sinnen zu verfuͤhren, ſie doch unfaͤ-
hig ſey, dir eine Liebe einzufloͤßen wie die unſrige,
und daß du dich bald wieder nach derjenigen ſehnen
wuͤrdeſt, die dich allein gluͤklich machen, weil ſie al-
lein dich lieben kann, wie du geliebt zu ſeyn wuͤn-
ſcheſt. Unter tauſend ſolchen Gedanken kam ich end-
lich zu Syracus an. Die vorſichtige Prieſterin hat-
te Anſtalt gemacht, daß ich nirgend Mittel finden
konnte, dir von meinem Aufenthalt Nachricht zu geben.
Meine neue Gebieterin war von der guten Art von
Geſchoͤpfen, die gemacht ſind ſich ſelbſt zu gefallen,
und ſich alles gefallen zu laſſen. Jch wurde zu der
Ehre beſtimmt, den Aufpuz ihres ſchoͤnen Kopfes zu

beſor-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0040" n="18"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/>
rer eignen gei&#x017F;tigen Sprache &#x017F;ich einander enthu&#x0364;llten,<lb/>
und lauter Licht und Wonne um &#x017F;ich her &#x017F;ahen, und<lb/>
un&#x017F;terblich zu &#x017F;eyn wu&#x0364;n&#x017F;chten, um &#x017F;ich ewig lieben zu<lb/>
ko&#x0364;nnen. Unter die&#x017F;en Erinnerungen, deren Lebhaftig-<lb/>
keit alle a&#x0364;ußre Empfindungen verdunkelte, beruhigte &#x017F;ich<lb/>
mein Herz allgemach. Jch, die &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nur fu&#x0364;r ei-<lb/>
nen Theil deines We&#x017F;ens hielt, konnte nicht glauben,<lb/>
daß wir immer getrennt bleiben wu&#x0364;rden. Die&#x017F;e Hof-<lb/>
nung machte nun mein Leben aus, und bema&#x0364;chtigte &#x017F;ich<lb/>
meiner &#x017F;o &#x017F;ehr, daß ich wieder heiter wurde. Denn<lb/>
ich zweifelte nicht, ich wußte es, daß du nicht aufho&#x0364;-<lb/>
ren ko&#x0364;nnte&#x017F;t, mich zu lieben. Jch u&#x0364;berließ dich der<lb/>
glu&#x0364;henden Leiden&#x017F;chaft einer ma&#x0364;chtigen und reizenden<lb/>
Nebenbulerin, ohne &#x017F;ie einen Augenblik zu fu&#x0364;rchten.<lb/>
Jch wußte, daß wenn &#x017F;ie es auch &#x017F;o weit bringen<lb/>
ko&#x0364;nnte, deine Sinnen zu verfu&#x0364;hren, &#x017F;ie doch unfa&#x0364;-<lb/>
hig &#x017F;ey, dir eine Liebe einzuflo&#x0364;ßen wie die un&#x017F;rige,<lb/>
und daß du dich bald wieder nach derjenigen &#x017F;ehnen<lb/>
wu&#x0364;rde&#x017F;t, die dich allein glu&#x0364;klich machen, weil &#x017F;ie al-<lb/>
lein dich lieben kann, wie du geliebt zu &#x017F;eyn wu&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;che&#x017F;t. Unter tau&#x017F;end &#x017F;olchen Gedanken kam ich end-<lb/>
lich zu Syracus an. Die vor&#x017F;ichtige Prie&#x017F;terin hat-<lb/>
te An&#x017F;talt gemacht, daß ich nirgend Mittel finden<lb/>
konnte, dir von meinem Aufenthalt Nachricht zu geben.<lb/>
Meine neue Gebieterin war von der guten Art von<lb/>
Ge&#x017F;cho&#x0364;pfen, die gemacht &#x017F;ind &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu gefallen,<lb/>
und &#x017F;ich alles gefallen zu la&#x017F;&#x017F;en. Jch wurde zu der<lb/>
Ehre be&#x017F;timmt, den Aufpuz ihres &#x017F;cho&#x0364;nen Kopfes zu<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">be&#x017F;or-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0040] Agathon. rer eignen geiſtigen Sprache ſich einander enthuͤllten, und lauter Licht und Wonne um ſich her ſahen, und unſterblich zu ſeyn wuͤnſchten, um ſich ewig lieben zu koͤnnen. Unter dieſen Erinnerungen, deren Lebhaftig- keit alle aͤußre Empfindungen verdunkelte, beruhigte ſich mein Herz allgemach. Jch, die ſich ſelbſt nur fuͤr ei- nen Theil deines Weſens hielt, konnte nicht glauben, daß wir immer getrennt bleiben wuͤrden. Dieſe Hof- nung machte nun mein Leben aus, und bemaͤchtigte ſich meiner ſo ſehr, daß ich wieder heiter wurde. Denn ich zweifelte nicht, ich wußte es, daß du nicht aufhoͤ- ren koͤnnteſt, mich zu lieben. Jch uͤberließ dich der gluͤhenden Leidenſchaft einer maͤchtigen und reizenden Nebenbulerin, ohne ſie einen Augenblik zu fuͤrchten. Jch wußte, daß wenn ſie es auch ſo weit bringen koͤnnte, deine Sinnen zu verfuͤhren, ſie doch unfaͤ- hig ſey, dir eine Liebe einzufloͤßen wie die unſrige, und daß du dich bald wieder nach derjenigen ſehnen wuͤrdeſt, die dich allein gluͤklich machen, weil ſie al- lein dich lieben kann, wie du geliebt zu ſeyn wuͤn- ſcheſt. Unter tauſend ſolchen Gedanken kam ich end- lich zu Syracus an. Die vorſichtige Prieſterin hat- te Anſtalt gemacht, daß ich nirgend Mittel finden konnte, dir von meinem Aufenthalt Nachricht zu geben. Meine neue Gebieterin war von der guten Art von Geſchoͤpfen, die gemacht ſind ſich ſelbſt zu gefallen, und ſich alles gefallen zu laſſen. Jch wurde zu der Ehre beſtimmt, den Aufpuz ihres ſchoͤnen Kopfes zu beſor-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/40
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/40>, abgerufen am 03.12.2024.