Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Agathon. sich ziehen kan, und es braucht nur einen Dion, dersich zu einer solchen Zeit einem mißvergnügten Pöbel an den Kopf wirft, so habt ihr einen Aufruhr in sei- ner ganzen Grösse. Hier zeigt sich der wahre Nuzen unsrer wizigen Köpfe. Durch ihren Beystand können wir in etlichen Tagen allen diesen Uebeln zuvorkommen. Laßt den Philosophen demonstriren, daß diese Auflage zur Wolfahrt des gemeinen Wesens unentbehrlich ist; laßt den Spaßvogel irgend einen lächerlichen Einfall, irgend eine lustige Hof-Anecdote oder ein boshaftes Mährchen in der Stadt herumtragen, und den Poeten eine neue Comödie und ein paar Gassenlieder machen, um dem Pöbel was zu sehen und zu singen zu geben: So wird alles ruhig bleiben; und indessen daß die politischen Müssiggänger sich darüber zanken werden, ob euer Philosoph recht oder unrecht argumentiert habe, und die kleine ärgerliche Anecdote reichlich ausgeziert und verschönert, den Wiz aller guten Gesellschaften im Athem erhält: Wird der Pöbel ein paar Flüche zwi- schen den Zähnen murmeln, die Grillen zu vertreiben, seinen Gassenhauer anstimmen, und -- bezahlen. Solche Dienste, sind, däucht mich wol werth, etliche Leute zu unterhalten, die ihren ganzen Ehrgeiz darinn sezen, Worte zierlich zusammenzusezen, Sylben zu zählen, Ohren zu kizeln und Lungen zu erschüttern; Leute, denen ihr alle ihre Wünsche erfüllt, wenn ihr ihnen so viel gebt, als sie brauchen, kummerloß durch eine Welt, an die sie wenig Ansprüche machen, hindurchzu- schlentern, und nichts zu thun, als was der Wurm im Kopf,
Agathon. ſich ziehen kan, und es braucht nur einen Dion, derſich zu einer ſolchen Zeit einem mißvergnuͤgten Poͤbel an den Kopf wirft, ſo habt ihr einen Aufruhr in ſei- ner ganzen Groͤſſe. Hier zeigt ſich der wahre Nuzen unſrer wizigen Koͤpfe. Durch ihren Beyſtand koͤnnen wir in etlichen Tagen allen dieſen Uebeln zuvorkommen. Laßt den Philoſophen demonſtriren, daß dieſe Auflage zur Wolfahrt des gemeinen Weſens unentbehrlich iſt; laßt den Spaßvogel irgend einen laͤcherlichen Einfall, irgend eine luſtige Hof-Anecdote oder ein boshaftes Maͤhrchen in der Stadt herumtragen, und den Poeten eine neue Comoͤdie und ein paar Gaſſenlieder machen, um dem Poͤbel was zu ſehen und zu ſingen zu geben: So wird alles ruhig bleiben; und indeſſen daß die politiſchen Muͤſſiggaͤnger ſich daruͤber zanken werden, ob euer Philoſoph recht oder unrecht argumentiert habe, und die kleine aͤrgerliche Anecdote reichlich ausgeziert und verſchoͤnert, den Wiz aller guten Geſellſchaften im Athem erhaͤlt: Wird der Poͤbel ein paar Fluͤche zwi- ſchen den Zaͤhnen murmeln, die Grillen zu vertreiben, ſeinen Gaſſenhauer anſtimmen, und ‒‒ bezahlen. Solche Dienſte, ſind, daͤucht mich wol werth, etliche Leute zu unterhalten, die ihren ganzen Ehrgeiz darinn ſezen, Worte zierlich zuſammenzuſezen, Sylben zu zaͤhlen, Ohren zu kizeln und Lungen zu erſchuͤttern; Leute, denen ihr alle ihre Wuͤnſche erfuͤllt, wenn ihr ihnen ſo viel gebt, als ſie brauchen, kummerloß durch eine Welt, an die ſie wenig Anſpruͤche machen, hindurchzu- ſchlentern, und nichts zu thun, als was der Wurm im Kopf,
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Agathon.
ſich ziehen kan, und es braucht nur einen Dion, der
ſich zu einer ſolchen Zeit einem mißvergnuͤgten Poͤbel
an den Kopf wirft, ſo habt ihr einen Aufruhr in ſei-
ner ganzen Groͤſſe. Hier zeigt ſich der wahre Nuzen
unſrer wizigen Koͤpfe. Durch ihren Beyſtand koͤnnen
wir in etlichen Tagen allen dieſen Uebeln zuvorkommen.
Laßt den Philoſophen demonſtriren, daß dieſe Auflage
zur Wolfahrt des gemeinen Weſens unentbehrlich iſt;
laßt den Spaßvogel irgend einen laͤcherlichen Einfall,
irgend eine luſtige Hof-Anecdote oder ein boshaftes
Maͤhrchen in der Stadt herumtragen, und den Poeten
eine neue Comoͤdie und ein paar Gaſſenlieder machen,
um dem Poͤbel was zu ſehen und zu ſingen zu geben:
So wird alles ruhig bleiben; und indeſſen daß die
politiſchen Muͤſſiggaͤnger ſich daruͤber zanken werden,
ob euer Philoſoph recht oder unrecht argumentiert habe,
und die kleine aͤrgerliche Anecdote reichlich ausgeziert
und verſchoͤnert, den Wiz aller guten Geſellſchaften im
Athem erhaͤlt: Wird der Poͤbel ein paar Fluͤche zwi-
ſchen den Zaͤhnen murmeln, die Grillen zu vertreiben,
ſeinen Gaſſenhauer anſtimmen, und ‒‒ bezahlen. Solche
Dienſte, ſind, daͤucht mich wol werth, etliche Leute zu
unterhalten, die ihren ganzen Ehrgeiz darinn ſezen,
Worte zierlich zuſammenzuſezen, Sylben zu zaͤhlen,
Ohren zu kizeln und Lungen zu erſchuͤttern; Leute,
denen ihr alle ihre Wuͤnſche erfuͤllt, wenn ihr ihnen ſo
viel gebt, als ſie brauchen, kummerloß durch eine
Welt, an die ſie wenig Anſpruͤche machen, hindurchzu-
ſchlentern, und nichts zu thun, als was der Wurm im
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Zitationshilfe: | Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/152>, abgerufen am 16.02.2025. |