Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Agathon. Meister über seine Leidenschaften, welche von Natur nichtheftig waren; frey von allen Arten der Sorgen, und in den Tumult der Geschäfte selbst niemals verwikelt, war es ihm nicht schwer, sich immer in dieser Heiterkeit des Geistes, und in dieser Ruhe des Gemüthes zu erhalten, welche die Grundzüge von dem Character eines weisen Mannes ausmachen. Er hatte seine schönsten Jahre zu Athen, in dem Umgang mit Socrates und den grösse- sten Männern dieses berühmten Zeitalters zugebracht; die Euripiden und Aristophane, die Phidias und die Polygnote, und die Wahrheit zu sagen, auch die Phry- nen, und Laiden, Damen, an denen die Schönheit die geringste ihrer Reizungen war, hatten seinen Wiz ge- bildet, und jenes zarte Gefühl des Schönen in ihm ent- wikelt, welches ihn die Munterkeit der Grazien mit der Severität der Philosophie auf eben diese unnachahm- liche Art verbinden lehrte, die ihm den Neid aller phi- losophischen Mäntel und Bärte seiner Zeit auf den Hals zog. Nichts übertraf die Annehmlichkeit seines Um- gangs; niemand wußte so gut wie er, die Weisheit un- ter der gefälligen Gestalt des lächelnden Scherzes und der guten Laune in solche Gesellschaften einzuführen, wo sie in ihrer eignen Gestalt nicht willkommen wäre. Er besaß das Geheimniß, den Grossen selbst die unange- nehmste Wahrheiten mit Hülfe eines Einfalls oder einer Wendung erträglich zu machen, und sich an dem lang- weiligen Geschlechte der Narren und Geken, wovon die Höfe der (damaligen) Fürsten wimmelten, durch einen Spott zu rächen, den sie dumm genug waren, mit dankbarem
Agathon. Meiſter uͤber ſeine Leidenſchaften, welche von Natur nichtheftig waren; frey von allen Arten der Sorgen, und in den Tumult der Geſchaͤfte ſelbſt niemals verwikelt, war es ihm nicht ſchwer, ſich immer in dieſer Heiterkeit des Geiſtes, und in dieſer Ruhe des Gemuͤthes zu erhalten, welche die Grundzuͤge von dem Character eines weiſen Mannes ausmachen. Er hatte ſeine ſchoͤnſten Jahre zu Athen, in dem Umgang mit Socrates und den groͤſſe- ſten Maͤnnern dieſes beruͤhmten Zeitalters zugebracht; die Euripiden und Ariſtophane, die Phidias und die Polygnote, und die Wahrheit zu ſagen, auch die Phry- nen, und Laiden, Damen, an denen die Schoͤnheit die geringſte ihrer Reizungen war, hatten ſeinen Wiz ge- bildet, und jenes zarte Gefuͤhl des Schoͤnen in ihm ent- wikelt, welches ihn die Munterkeit der Grazien mit der Severitaͤt der Philoſophie auf eben dieſe unnachahm- liche Art verbinden lehrte, die ihm den Neid aller phi- loſophiſchen Maͤntel und Baͤrte ſeiner Zeit auf den Hals zog. Nichts uͤbertraf die Annehmlichkeit ſeines Um- gangs; niemand wußte ſo gut wie er, die Weisheit un- ter der gefaͤlligen Geſtalt des laͤchelnden Scherzes und der guten Laune in ſolche Geſellſchaften einzufuͤhren, wo ſie in ihrer eignen Geſtalt nicht willkommen waͤre. Er beſaß das Geheimniß, den Groſſen ſelbſt die unange- nehmſte Wahrheiten mit Huͤlfe eines Einfalls oder einer Wendung ertraͤglich zu machen, und ſich an dem lang- weiligen Geſchlechte der Narren und Geken, wovon die Hoͤfe der (damaligen) Fuͤrſten wimmelten, durch einen Spott zu raͤchen, den ſie dumm genug waren, mit dankbarem
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0168" n="166"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/> Meiſter uͤber ſeine Leidenſchaften, welche von Natur nicht<lb/> heftig waren; frey von allen Arten der Sorgen, und<lb/> in den Tumult der Geſchaͤfte ſelbſt niemals verwikelt, war<lb/> es ihm nicht ſchwer, ſich immer in dieſer Heiterkeit des<lb/> Geiſtes, und in dieſer Ruhe des Gemuͤthes zu erhalten,<lb/> welche die Grundzuͤge von dem Character eines weiſen<lb/> Mannes ausmachen. Er hatte ſeine ſchoͤnſten Jahre zu<lb/> Athen, in dem Umgang mit Socrates und den groͤſſe-<lb/> ſten Maͤnnern dieſes beruͤhmten Zeitalters zugebracht;<lb/> die Euripiden und Ariſtophane, die Phidias und die<lb/> Polygnote, und die Wahrheit zu ſagen, auch die Phry-<lb/> nen, und Laiden, Damen, an denen die Schoͤnheit die<lb/> geringſte ihrer Reizungen war, hatten ſeinen Wiz ge-<lb/> bildet, und jenes zarte Gefuͤhl des Schoͤnen in ihm ent-<lb/> wikelt, welches ihn die Munterkeit der Grazien mit der<lb/> Severitaͤt der Philoſophie auf eben dieſe unnachahm-<lb/> liche Art verbinden lehrte, die ihm den Neid aller phi-<lb/> loſophiſchen Maͤntel und Baͤrte ſeiner Zeit auf den Hals<lb/> zog. Nichts uͤbertraf die Annehmlichkeit ſeines Um-<lb/> gangs; niemand wußte ſo gut wie er, die Weisheit un-<lb/> ter der gefaͤlligen Geſtalt des laͤchelnden Scherzes und<lb/> der guten Laune in ſolche Geſellſchaften einzufuͤhren, wo<lb/> ſie in ihrer eignen Geſtalt nicht willkommen waͤre. Er<lb/> beſaß das Geheimniß, den Groſſen ſelbſt die unange-<lb/> nehmſte Wahrheiten mit Huͤlfe eines Einfalls oder einer<lb/> Wendung ertraͤglich zu machen, und ſich an dem lang-<lb/> weiligen Geſchlechte der Narren und Geken, wovon<lb/> die Hoͤfe der (damaligen) Fuͤrſten wimmelten, durch<lb/> einen Spott zu raͤchen, den ſie dumm genug waren, mit<lb/> <fw place="bottom" type="catch">dankbarem</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [166/0168]
Agathon.
Meiſter uͤber ſeine Leidenſchaften, welche von Natur nicht
heftig waren; frey von allen Arten der Sorgen, und
in den Tumult der Geſchaͤfte ſelbſt niemals verwikelt, war
es ihm nicht ſchwer, ſich immer in dieſer Heiterkeit des
Geiſtes, und in dieſer Ruhe des Gemuͤthes zu erhalten,
welche die Grundzuͤge von dem Character eines weiſen
Mannes ausmachen. Er hatte ſeine ſchoͤnſten Jahre zu
Athen, in dem Umgang mit Socrates und den groͤſſe-
ſten Maͤnnern dieſes beruͤhmten Zeitalters zugebracht;
die Euripiden und Ariſtophane, die Phidias und die
Polygnote, und die Wahrheit zu ſagen, auch die Phry-
nen, und Laiden, Damen, an denen die Schoͤnheit die
geringſte ihrer Reizungen war, hatten ſeinen Wiz ge-
bildet, und jenes zarte Gefuͤhl des Schoͤnen in ihm ent-
wikelt, welches ihn die Munterkeit der Grazien mit der
Severitaͤt der Philoſophie auf eben dieſe unnachahm-
liche Art verbinden lehrte, die ihm den Neid aller phi-
loſophiſchen Maͤntel und Baͤrte ſeiner Zeit auf den Hals
zog. Nichts uͤbertraf die Annehmlichkeit ſeines Um-
gangs; niemand wußte ſo gut wie er, die Weisheit un-
ter der gefaͤlligen Geſtalt des laͤchelnden Scherzes und
der guten Laune in ſolche Geſellſchaften einzufuͤhren, wo
ſie in ihrer eignen Geſtalt nicht willkommen waͤre. Er
beſaß das Geheimniß, den Groſſen ſelbſt die unange-
nehmſte Wahrheiten mit Huͤlfe eines Einfalls oder einer
Wendung ertraͤglich zu machen, und ſich an dem lang-
weiligen Geſchlechte der Narren und Geken, wovon
die Hoͤfe der (damaligen) Fuͤrſten wimmelten, durch
einen Spott zu raͤchen, den ſie dumm genug waren, mit
dankbarem
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |