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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
funden haben, sich vor der Welt die Mine eines Xenocra-
tes zu geben? -- Das auch nicht! wenigstens sagen unsre
Nachrichten nichts davon. Ohne also den Leser mit ver-
geblichen Muthmassungen aufzuhalten, wollen wir ge-
stehen, daß die Ursache dieser Kaltsinnigkeit unsers Hel-
den, etwas so natürliches und einfältiges war, daß,
so bald wir es entdekt haben werden, Schah Baham
selbst sich einbilden würde, er habe wo nicht eben das,
doch ungefehr so etwas erwartet.

Der Kaufmann, mit welchem Agathon nach Sy-
racus gekommen war, war einer von denjenigen, wel-
chen er ehmals zu Athen das Bildniß seiner Psyche zu
dem Ende gegeben hatte, damit sie mit desto besserm
Erfolg aller Orten möchte aufgesucht werden können.
Gleichwol erinnerte er sich dieses Umstands nicht eher,
bis er einsmals bey einem Besuch, den er ihm machte,
dieses Bildnis von ungefehr in dem Cabinet seines Freun-
des ansichtig wurde. Dasjenige was Agathon in die-
sem Augenblik empfand, war wenig von dem unter-
schieden, was er empfunden hätte, wenn es Psyche
selbst gewesen wäre. Die Jdeen seiner ersten Liebe
wurden dadurch wieder so lebhaft, daß er, so schwach
auch seine Hofnung war, das Urbild jemals wieder zu
sehen, sich aufs Neue in dem Entschluß bestätigte, ih-
rem Andenken getreu zu bleiben. Die Damen von Sy-
racus hatten also würklich eine Nebenbuhlerin, ob sie
gleich nicht errathen konnten, daß diese zärtlichen Seuf-
zer, welche jede unter ihnen seinem Herzen abzugewinnen

wünschte,

Agathon.
funden haben, ſich vor der Welt die Mine eines Xenocra-
tes zu geben? ‒‒ Das auch nicht! wenigſtens ſagen unſre
Nachrichten nichts davon. Ohne alſo den Leſer mit ver-
geblichen Muthmaſſungen aufzuhalten, wollen wir ge-
ſtehen, daß die Urſache dieſer Kaltſinnigkeit unſers Hel-
den, etwas ſo natuͤrliches und einfaͤltiges war, daß,
ſo bald wir es entdekt haben werden, Schah Baham
ſelbſt ſich einbilden wuͤrde, er habe wo nicht eben das,
doch ungefehr ſo etwas erwartet.

Der Kaufmann, mit welchem Agathon nach Sy-
racus gekommen war, war einer von denjenigen, wel-
chen er ehmals zu Athen das Bildniß ſeiner Pſyche zu
dem Ende gegeben hatte, damit ſie mit deſto beſſerm
Erfolg aller Orten moͤchte aufgeſucht werden koͤnnen.
Gleichwol erinnerte er ſich dieſes Umſtands nicht eher,
bis er einsmals bey einem Beſuch, den er ihm machte,
dieſes Bildnis von ungefehr in dem Cabinet ſeines Freun-
des anſichtig wurde. Dasjenige was Agathon in die-
ſem Augenblik empfand, war wenig von dem unter-
ſchieden, was er empfunden haͤtte, wenn es Pſyche
ſelbſt geweſen waͤre. Die Jdeen ſeiner erſten Liebe
wurden dadurch wieder ſo lebhaft, daß er, ſo ſchwach
auch ſeine Hofnung war, das Urbild jemals wieder zu
ſehen, ſich aufs Neue in dem Entſchluß beſtaͤtigte, ih-
rem Andenken getreu zu bleiben. Die Damen von Sy-
racus hatten alſo wuͤrklich eine Nebenbuhlerin, ob ſie
gleich nicht errathen konnten, daß dieſe zaͤrtlichen Seuf-
zer, welche jede unter ihnen ſeinem Herzen abzugewinnen

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[220/0222] Agathon. funden haben, ſich vor der Welt die Mine eines Xenocra- tes zu geben? ‒‒ Das auch nicht! wenigſtens ſagen unſre Nachrichten nichts davon. Ohne alſo den Leſer mit ver- geblichen Muthmaſſungen aufzuhalten, wollen wir ge- ſtehen, daß die Urſache dieſer Kaltſinnigkeit unſers Hel- den, etwas ſo natuͤrliches und einfaͤltiges war, daß, ſo bald wir es entdekt haben werden, Schah Baham ſelbſt ſich einbilden wuͤrde, er habe wo nicht eben das, doch ungefehr ſo etwas erwartet. Der Kaufmann, mit welchem Agathon nach Sy- racus gekommen war, war einer von denjenigen, wel- chen er ehmals zu Athen das Bildniß ſeiner Pſyche zu dem Ende gegeben hatte, damit ſie mit deſto beſſerm Erfolg aller Orten moͤchte aufgeſucht werden koͤnnen. Gleichwol erinnerte er ſich dieſes Umſtands nicht eher, bis er einsmals bey einem Beſuch, den er ihm machte, dieſes Bildnis von ungefehr in dem Cabinet ſeines Freun- des anſichtig wurde. Dasjenige was Agathon in die- ſem Augenblik empfand, war wenig von dem unter- ſchieden, was er empfunden haͤtte, wenn es Pſyche ſelbſt geweſen waͤre. Die Jdeen ſeiner erſten Liebe wurden dadurch wieder ſo lebhaft, daß er, ſo ſchwach auch ſeine Hofnung war, das Urbild jemals wieder zu ſehen, ſich aufs Neue in dem Entſchluß beſtaͤtigte, ih- rem Andenken getreu zu bleiben. Die Damen von Sy- racus hatten alſo wuͤrklich eine Nebenbuhlerin, ob ſie gleich nicht errathen konnten, daß dieſe zaͤrtlichen Seuf- zer, welche jede unter ihnen ſeinem Herzen abzugewinnen wuͤnſchte,

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/222>, abgerufen am 24.11.2024.