Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Zehentes Buch, zweytes Capitel.
tragens gegen die Manns-Personen und die strengen
Maximen, wornach sie andre von ihrem Geschlecht
beurtheilte, zu beweisen schienen. Genug daß die
Princessinnen, und was noch mehr ist, ihr Gemahl,
vollkommen davon überzeugt waren, und daß sich noch
keiner von den Höflingen unterstanden hatte, eine so
ehrwürdige Tugend auf die Probe zu sezen. Während
der Zeit, da Plato in so grossem Ansehen bey Diony-
sen stuhnd, war Cleonissa eine von den eyfrigsten Ver-
ehrerinnen dieses Weisen, und diejenige, welche den er-
habenen Jargon seiner Philosophie am geläuffigsten reden
lernte. Es mag nun aus Begierde sich durch ihren
Geist eben so sehr als durch ihre Figur über die übri-
gen ihres Geschlechts zu erheben, (eine ziemlich gewöhn-
liche Schwachheit der eigentlich so genannten Schönen,)
oder aus irgend einem reinern Beweggrunde geschehen
seyn; so ist gewiß, daß sie alle Gelegenheiten den gött-
lichen Plato zu hören mit solcher Begierlichkeit suchte,
eine so ausnehmende Hochachtung für seine Person, ei-
nen so unbedingten Glauben an seine Begriffe von Schön-
heit und Liebe, und alle übrige Theile seines Systems
zeigte, und mit einem Wort, in kurzer Zeit, an Leib
und Seele einer Platonischen Jdee so ähnlich sah:
Daß dieser weise Mann, stolz auf eine solche Schülerin,
durch den besondern Vorzug, den er ihr gab, die all-
gemeine Meynung von ihrer Weisheit unendlich er-
höhte. Es ist wahr, es wäre nur auf ihn angekom-
men, bey gewissen Gelegenheiten gewisse Beobachtungen
in ihren schönen Augen zu machen, welche ihn ohne

eine

Zehentes Buch, zweytes Capitel.
tragens gegen die Manns-Perſonen und die ſtrengen
Maximen, wornach ſie andre von ihrem Geſchlecht
beurtheilte, zu beweiſen ſchienen. Genug daß die
Princeſſinnen, und was noch mehr iſt, ihr Gemahl,
vollkommen davon uͤberzeugt waren, und daß ſich noch
keiner von den Hoͤflingen unterſtanden hatte, eine ſo
ehrwuͤrdige Tugend auf die Probe zu ſezen. Waͤhrend
der Zeit, da Plato in ſo groſſem Anſehen bey Diony-
ſen ſtuhnd, war Cleoniſſa eine von den eyfrigſten Ver-
ehrerinnen dieſes Weiſen, und diejenige, welche den er-
habenen Jargon ſeiner Philoſophie am gelaͤuffigſten reden
lernte. Es mag nun aus Begierde ſich durch ihren
Geiſt eben ſo ſehr als durch ihre Figur uͤber die uͤbri-
gen ihres Geſchlechts zu erheben, (eine ziemlich gewoͤhn-
liche Schwachheit der eigentlich ſo genannten Schoͤnen,)
oder aus irgend einem reinern Beweggrunde geſchehen
ſeyn; ſo iſt gewiß, daß ſie alle Gelegenheiten den goͤtt-
lichen Plato zu hoͤren mit ſolcher Begierlichkeit ſuchte,
eine ſo ausnehmende Hochachtung fuͤr ſeine Perſon, ei-
nen ſo unbedingten Glauben an ſeine Begriffe von Schoͤn-
heit und Liebe, und alle uͤbrige Theile ſeines Syſtems
zeigte, und mit einem Wort, in kurzer Zeit, an Leib
und Seele einer Platoniſchen Jdee ſo aͤhnlich ſah:
Daß dieſer weiſe Mann, ſtolz auf eine ſolche Schuͤlerin,
durch den beſondern Vorzug, den er ihr gab, die all-
gemeine Meynung von ihrer Weisheit unendlich er-
hoͤhte. Es iſt wahr, es waͤre nur auf ihn angekom-
men, bey gewiſſen Gelegenheiten gewiſſe Beobachtungen
in ihren ſchoͤnen Augen zu machen, welche ihn ohne

eine
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0225" n="223"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zehentes Buch, zweytes Capitel.</hi></fw><lb/>
tragens gegen die Manns-Per&#x017F;onen und die &#x017F;trengen<lb/>
Maximen, wornach &#x017F;ie andre von ihrem Ge&#x017F;chlecht<lb/>
beurtheilte, zu bewei&#x017F;en &#x017F;chienen. Genug daß die<lb/>
Prince&#x017F;&#x017F;innen, und was noch mehr i&#x017F;t, ihr Gemahl,<lb/>
vollkommen davon u&#x0364;berzeugt waren, und daß &#x017F;ich noch<lb/>
keiner von den Ho&#x0364;flingen unter&#x017F;tanden hatte, eine &#x017F;o<lb/>
ehrwu&#x0364;rdige Tugend auf die Probe zu &#x017F;ezen. Wa&#x0364;hrend<lb/>
der Zeit, da Plato in &#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;em An&#x017F;ehen bey Diony-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;tuhnd, war Cleoni&#x017F;&#x017F;a eine von den eyfrig&#x017F;ten Ver-<lb/>
ehrerinnen die&#x017F;es Wei&#x017F;en, und diejenige, welche den er-<lb/>
habenen Jargon &#x017F;einer Philo&#x017F;ophie am gela&#x0364;uffig&#x017F;ten reden<lb/>
lernte. Es mag nun aus Begierde &#x017F;ich durch ihren<lb/>
Gei&#x017F;t eben &#x017F;o &#x017F;ehr als durch ihre Figur u&#x0364;ber die u&#x0364;bri-<lb/>
gen ihres Ge&#x017F;chlechts zu erheben, (eine ziemlich gewo&#x0364;hn-<lb/>
liche Schwachheit der eigentlich &#x017F;o genannten Scho&#x0364;nen,)<lb/>
oder aus irgend einem reinern Beweggrunde ge&#x017F;chehen<lb/>
&#x017F;eyn; &#x017F;o i&#x017F;t gewiß, daß &#x017F;ie alle Gelegenheiten den go&#x0364;tt-<lb/>
lichen Plato zu ho&#x0364;ren mit &#x017F;olcher Begierlichkeit &#x017F;uchte,<lb/>
eine &#x017F;o ausnehmende Hochachtung fu&#x0364;r &#x017F;eine Per&#x017F;on, ei-<lb/>
nen &#x017F;o unbedingten Glauben an &#x017F;eine Begriffe von Scho&#x0364;n-<lb/>
heit und Liebe, und alle u&#x0364;brige Theile &#x017F;eines Sy&#x017F;tems<lb/>
zeigte, und mit einem Wort, in kurzer Zeit, an Leib<lb/>
und Seele einer Platoni&#x017F;chen Jdee &#x017F;o a&#x0364;hnlich &#x017F;ah:<lb/>
Daß die&#x017F;er wei&#x017F;e Mann, &#x017F;tolz auf eine &#x017F;olche Schu&#x0364;lerin,<lb/>
durch den be&#x017F;ondern Vorzug, den er ihr gab, die all-<lb/>
gemeine Meynung von ihrer Weisheit unendlich er-<lb/>
ho&#x0364;hte. Es i&#x017F;t wahr, es wa&#x0364;re nur auf ihn angekom-<lb/>
men, bey gewi&#x017F;&#x017F;en Gelegenheiten gewi&#x017F;&#x017F;e Beobachtungen<lb/>
in ihren &#x017F;cho&#x0364;nen Augen zu machen, welche ihn ohne<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">eine</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0225] Zehentes Buch, zweytes Capitel. tragens gegen die Manns-Perſonen und die ſtrengen Maximen, wornach ſie andre von ihrem Geſchlecht beurtheilte, zu beweiſen ſchienen. Genug daß die Princeſſinnen, und was noch mehr iſt, ihr Gemahl, vollkommen davon uͤberzeugt waren, und daß ſich noch keiner von den Hoͤflingen unterſtanden hatte, eine ſo ehrwuͤrdige Tugend auf die Probe zu ſezen. Waͤhrend der Zeit, da Plato in ſo groſſem Anſehen bey Diony- ſen ſtuhnd, war Cleoniſſa eine von den eyfrigſten Ver- ehrerinnen dieſes Weiſen, und diejenige, welche den er- habenen Jargon ſeiner Philoſophie am gelaͤuffigſten reden lernte. Es mag nun aus Begierde ſich durch ihren Geiſt eben ſo ſehr als durch ihre Figur uͤber die uͤbri- gen ihres Geſchlechts zu erheben, (eine ziemlich gewoͤhn- liche Schwachheit der eigentlich ſo genannten Schoͤnen,) oder aus irgend einem reinern Beweggrunde geſchehen ſeyn; ſo iſt gewiß, daß ſie alle Gelegenheiten den goͤtt- lichen Plato zu hoͤren mit ſolcher Begierlichkeit ſuchte, eine ſo ausnehmende Hochachtung fuͤr ſeine Perſon, ei- nen ſo unbedingten Glauben an ſeine Begriffe von Schoͤn- heit und Liebe, und alle uͤbrige Theile ſeines Syſtems zeigte, und mit einem Wort, in kurzer Zeit, an Leib und Seele einer Platoniſchen Jdee ſo aͤhnlich ſah: Daß dieſer weiſe Mann, ſtolz auf eine ſolche Schuͤlerin, durch den beſondern Vorzug, den er ihr gab, die all- gemeine Meynung von ihrer Weisheit unendlich er- hoͤhte. Es iſt wahr, es waͤre nur auf ihn angekom- men, bey gewiſſen Gelegenheiten gewiſſe Beobachtungen in ihren ſchoͤnen Augen zu machen, welche ihn ohne eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/225
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/225>, abgerufen am 24.11.2024.