Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Achtes Buch, zweytes Capitel. einem mildern, und (lasset uns die Wahrheit sagen)in einem wahrern Licht als die Welt; welche auf der einen Seite von allen den kleinen Umständen, die uns rechtfertigen oder wenigstens unsre Schuld vermindern könnten, nicht unterrichtet, und auf der andern Seite boßhaft genug ist, um ihres grössern Vergnügens wil- len das Gemählde unsrer Thorheiten mit tausend Zügen zu überladen, um welche es zwar weniger wahr aber desto comischer wird. Unglüklicher Weise für sie erfor- derte die Absicht des Hippias, daß er diese schalkhafte Kunst, eine Begebenheit ins Häßliche zu mahlen, so weit treiben mußte, als es die Geseze der Wahrscheinlichkeit nur immer erlauben konnten. Unser Held glich während dieser Entdekungen mehr der B 3
Achtes Buch, zweytes Capitel. einem mildern, und (laſſet uns die Wahrheit ſagen)in einem wahrern Licht als die Welt; welche auf der einen Seite von allen den kleinen Umſtaͤnden, die uns rechtfertigen oder wenigſtens unſre Schuld vermindern koͤnnten, nicht unterrichtet, und auf der andern Seite boßhaft genug iſt, um ihres groͤſſern Vergnuͤgens wil- len das Gemaͤhlde unſrer Thorheiten mit tauſend Zuͤgen zu uͤberladen, um welche es zwar weniger wahr aber deſto comiſcher wird. Ungluͤklicher Weiſe fuͤr ſie erfor- derte die Abſicht des Hippias, daß er dieſe ſchalkhafte Kunſt, eine Begebenheit ins Haͤßliche zu mahlen, ſo weit treiben mußte, als es die Geſeze der Wahrſcheinlichkeit nur immer erlauben konnten. Unſer Held glich waͤhrend dieſer Entdekungen mehr der B 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0023" n="21"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Achtes Buch, zweytes Capitel.</hi></fw><lb/> einem mildern, und (laſſet uns die Wahrheit ſagen)<lb/> in einem wahrern Licht als die Welt; welche auf der<lb/> einen Seite von allen den kleinen Umſtaͤnden, die uns<lb/> rechtfertigen oder wenigſtens unſre Schuld vermindern<lb/> koͤnnten, nicht unterrichtet, und auf der andern Seite<lb/> boßhaft genug iſt, um ihres groͤſſern Vergnuͤgens wil-<lb/> len das Gemaͤhlde unſrer Thorheiten mit tauſend Zuͤgen<lb/> zu uͤberladen, um welche es zwar weniger wahr aber<lb/> deſto comiſcher wird. Ungluͤklicher Weiſe fuͤr ſie erfor-<lb/> derte die Abſicht des Hippias, daß er dieſe ſchalkhafte<lb/> Kunſt, eine Begebenheit ins Haͤßliche zu mahlen, ſo weit<lb/> treiben mußte, als es die Geſeze der Wahrſcheinlichkeit<lb/> nur immer erlauben konnten.</p><lb/> <p>Unſer Held glich waͤhrend dieſer Entdekungen mehr<lb/> einer Bild-Saͤule oder einem Todten als ſich ſelbſt.<lb/> Kalte Schauer und fliegende Glut fuhren wechſelsweiſe<lb/> durch ſeine Adern. Seine von den widerwaͤrtigſten Lei-<lb/> denſchaften auf einmal beſtuͤrmte Bruſt athmete ſo lang-<lb/> ſam, daß er in Ohnmacht gefallen waͤre, wenn nicht<lb/> Eine davon ploͤzlich die Oberhand behalten, und durch<lb/> den heftigſten Ausbruch dem gepreßten Herzen Luft ge-<lb/> macht haͤtte. Das Licht, worinn ihm Hippias ſeine Goͤt-<lb/> tin zeigte, machte mit demjenigen, worinn er ſie zu<lb/> ſehen gewohnt war, einen ſo beleidigenden Contraſt;<lb/> der Gedanke, ſich ſo ſehr betrogen zu haben, war ſo un-<lb/> ertraͤglich, daß es ihm unmoͤglich fallen mußte, dem<lb/> Sophiſten Glauben beyzumeſſen. Der ganze Sturm,<lb/> <fw place="bottom" type="sig">B 3</fw><fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [21/0023]
Achtes Buch, zweytes Capitel.
einem mildern, und (laſſet uns die Wahrheit ſagen)
in einem wahrern Licht als die Welt; welche auf der
einen Seite von allen den kleinen Umſtaͤnden, die uns
rechtfertigen oder wenigſtens unſre Schuld vermindern
koͤnnten, nicht unterrichtet, und auf der andern Seite
boßhaft genug iſt, um ihres groͤſſern Vergnuͤgens wil-
len das Gemaͤhlde unſrer Thorheiten mit tauſend Zuͤgen
zu uͤberladen, um welche es zwar weniger wahr aber
deſto comiſcher wird. Ungluͤklicher Weiſe fuͤr ſie erfor-
derte die Abſicht des Hippias, daß er dieſe ſchalkhafte
Kunſt, eine Begebenheit ins Haͤßliche zu mahlen, ſo weit
treiben mußte, als es die Geſeze der Wahrſcheinlichkeit
nur immer erlauben konnten.
Unſer Held glich waͤhrend dieſer Entdekungen mehr
einer Bild-Saͤule oder einem Todten als ſich ſelbſt.
Kalte Schauer und fliegende Glut fuhren wechſelsweiſe
durch ſeine Adern. Seine von den widerwaͤrtigſten Lei-
denſchaften auf einmal beſtuͤrmte Bruſt athmete ſo lang-
ſam, daß er in Ohnmacht gefallen waͤre, wenn nicht
Eine davon ploͤzlich die Oberhand behalten, und durch
den heftigſten Ausbruch dem gepreßten Herzen Luft ge-
macht haͤtte. Das Licht, worinn ihm Hippias ſeine Goͤt-
tin zeigte, machte mit demjenigen, worinn er ſie zu
ſehen gewohnt war, einen ſo beleidigenden Contraſt;
der Gedanke, ſich ſo ſehr betrogen zu haben, war ſo un-
ertraͤglich, daß es ihm unmoͤglich fallen mußte, dem
Sophiſten Glauben beyzumeſſen. Der ganze Sturm,
der
B 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |