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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Zehentes Buch, drittes Capitel.
wozu sie durch ihre eigene Rechtfertigung gezwungen
war, umständlich entdekte, daß der Haß Agathons gegen
sie allein daher entsprungen sey, weil sie nicht für gut
befunden habe, seine Liebe genehm zu halten. Dieses
war nun freylich nicht nach der Schärfe wahr. Aber
da sie nun einmal dahin gebracht war, sich selbst ver-
theidigen zu müssen; so war natürlich, daß sie es lie-
ber auf Unkosten einer Person, die ihr verhaßt war,
als auf ihre eigene that. So viel ist gewiß, daß sie
ihre Absicht dadurch mehr als zu gut erreichte. Dionys
gerieth in einen so heftigen Anfall von Eifersucht über
seinen unwürdigen Liebling -- dieser Mann, der dtr Liebe
eines Dionys unwürdig war, war Agathon! -- daß
Cleonissa, (welche besorgte, daß ein plözlicher Aus-
bruch zu mißbeliebigen Erläuterungen Anlaß geben
könnte) alle ihre Gewalt über ihn anwenden mußte,
ihn zurükzuhalten. Sie bewies ihm die Nothwendig-
keit, einen Mann, der zu allem Unglük der Abgott der
Nation wäre, vorsichtig zu behandeln. Dionys fühlte
die Stärke dieses Beweises, und hassete den Agathon
nur um so viel herzlicher. Die Princessinnen mischten
sich auch in die Sache, und legten unserm Helden sehr
übel aus, daß er, anstatt den Prinzen von Ausschweif-
fungen abzuhalten, eine Creatur wie Bacchidion mit so
vielem Eifer in seinen Schuz genommen hatte. Man
scheuete sich nicht, diesem Eifer so gar einen geheimen
Beweggrund zu leyhen; und Philistus brachte unter der
Hand verschiedene Zeugen auf, welche in dem Cabinet
des Prinzen verschiedene Umstände aussagten, die ein

zwey-
[Agath. II. Th.] Q

Zehentes Buch, drittes Capitel.
wozu ſie durch ihre eigene Rechtfertigung gezwungen
war, umſtaͤndlich entdekte, daß der Haß Agathons gegen
ſie allein daher entſprungen ſey, weil ſie nicht fuͤr gut
befunden habe, ſeine Liebe genehm zu halten. Dieſes
war nun freylich nicht nach der Schaͤrfe wahr. Aber
da ſie nun einmal dahin gebracht war, ſich ſelbſt ver-
theidigen zu muͤſſen; ſo war natuͤrlich, daß ſie es lie-
ber auf Unkoſten einer Perſon, die ihr verhaßt war,
als auf ihre eigene that. So viel iſt gewiß, daß ſie
ihre Abſicht dadurch mehr als zu gut erreichte. Dionys
gerieth in einen ſo heftigen Anfall von Eiferſucht uͤber
ſeinen unwuͤrdigen Liebling ‒‒ dieſer Mann, der dtr Liebe
eines Dionys unwuͤrdig war, war Agathon! ‒‒ daß
Cleoniſſa, (welche beſorgte, daß ein ploͤzlicher Aus-
bruch zu mißbeliebigen Erlaͤuterungen Anlaß geben
koͤnnte) alle ihre Gewalt uͤber ihn anwenden mußte,
ihn zuruͤkzuhalten. Sie bewies ihm die Nothwendig-
keit, einen Mann, der zu allem Ungluͤk der Abgott der
Nation waͤre, vorſichtig zu behandeln. Dionys fuͤhlte
die Staͤrke dieſes Beweiſes, und haſſete den Agathon
nur um ſo viel herzlicher. Die Princeſſinnen miſchten
ſich auch in die Sache, und legten unſerm Helden ſehr
uͤbel aus, daß er, anſtatt den Prinzen von Ausſchweif-
fungen abzuhalten, eine Creatur wie Bacchidion mit ſo
vielem Eifer in ſeinen Schuz genommen hatte. Man
ſcheuete ſich nicht, dieſem Eifer ſo gar einen geheimen
Beweggrund zu leyhen; und Philiſtus brachte unter der
Hand verſchiedene Zeugen auf, welche in dem Cabinet
des Prinzen verſchiedene Umſtaͤnde auſſagten, die ein

zwey-
[Agath. II. Th.] Q
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[241/0243] Zehentes Buch, drittes Capitel. wozu ſie durch ihre eigene Rechtfertigung gezwungen war, umſtaͤndlich entdekte, daß der Haß Agathons gegen ſie allein daher entſprungen ſey, weil ſie nicht fuͤr gut befunden habe, ſeine Liebe genehm zu halten. Dieſes war nun freylich nicht nach der Schaͤrfe wahr. Aber da ſie nun einmal dahin gebracht war, ſich ſelbſt ver- theidigen zu muͤſſen; ſo war natuͤrlich, daß ſie es lie- ber auf Unkoſten einer Perſon, die ihr verhaßt war, als auf ihre eigene that. So viel iſt gewiß, daß ſie ihre Abſicht dadurch mehr als zu gut erreichte. Dionys gerieth in einen ſo heftigen Anfall von Eiferſucht uͤber ſeinen unwuͤrdigen Liebling ‒‒ dieſer Mann, der dtr Liebe eines Dionys unwuͤrdig war, war Agathon! ‒‒ daß Cleoniſſa, (welche beſorgte, daß ein ploͤzlicher Aus- bruch zu mißbeliebigen Erlaͤuterungen Anlaß geben koͤnnte) alle ihre Gewalt uͤber ihn anwenden mußte, ihn zuruͤkzuhalten. Sie bewies ihm die Nothwendig- keit, einen Mann, der zu allem Ungluͤk der Abgott der Nation waͤre, vorſichtig zu behandeln. Dionys fuͤhlte die Staͤrke dieſes Beweiſes, und haſſete den Agathon nur um ſo viel herzlicher. Die Princeſſinnen miſchten ſich auch in die Sache, und legten unſerm Helden ſehr uͤbel aus, daß er, anſtatt den Prinzen von Ausſchweif- fungen abzuhalten, eine Creatur wie Bacchidion mit ſo vielem Eifer in ſeinen Schuz genommen hatte. Man ſcheuete ſich nicht, dieſem Eifer ſo gar einen geheimen Beweggrund zu leyhen; und Philiſtus brachte unter der Hand verſchiedene Zeugen auf, welche in dem Cabinet des Prinzen verſchiedene Umſtaͤnde auſſagten, die ein zwey- [Agath. II. Th.] Q

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/243>, abgerufen am 24.11.2024.