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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
wieder zu sich selbst zu bringen; endlich erhohlte sich die
schöne Dame wieder, aber nur, um über sich selbst zu
zörnen, daß sie sich so empfindlich fand. Sie machen
einem ja ganz bange, Madam, rief die Sclavin --
wenn sie schon bey seinem blossen Namen in Ohnmacht
fallen, wie wird es ihnen erst werden, wenn sie ihn
selbst sehen? -- Soll ich gehen, und ihn geschwinde her-
aufhohlen? -- Jhn heraufhohlen? versezte die Dame;
nein wahrhaftig; ich will ihn nicht sehen! -- Sie wol-
len ihn nicht sehen, Madam? Was für ein Einfall! Aber
es kan nicht ihr Ernst seyn! O! wenn sie ihn nur se-
hen sollten -- er ist so schön -- so schön als er noch nie
gewesen ist, däucht mich; ich hätte ihn mit den Augen
aufessen mögen; sie müssen ihn sehen, Madam -- das
wäre ja unverantwortlich, wenn sie ihn wieder fortge-
hen lassen wollten, ohne daß er sie gesehen hätte --
wofür hätten sie sich dann -- Schweige, nichts weiter,
rief die Dame; verlaß mich -- aber untersteh dich nicht
wieder in den Saal hinunter zu gehen; wenn er es ist,
so will ich nicht, daß er dich erkennen soll; ich hoffe
doch nicht, daß du mich schon verrathen haben soll-
test? -- Nein, Madam, erwiederte die Vertraute; er
hat mich noch nicht wahrgenommen, denn er schien
ganz in die Betrachtung der Gemählde vertieft, und
mich däuchte, ich hörte ihn ein oder zweymal seufzen;
vermuthlich -- Du bist nicht klug, fiel ihr die Dame
ins Wort; verlaß mich -- ich will ihn nicht sehen,
und er soll nicht wissen, in wessen Hause er ist; wenn
er's erfährt, so hast du eine Freundin verlohren --
die Sclavin entfernte sich also, in Hofnung, daß ihre

Gebie-

Agathon.
wieder zu ſich ſelbſt zu bringen; endlich erhohlte ſich die
ſchoͤne Dame wieder, aber nur, um uͤber ſich ſelbſt zu
zoͤrnen, daß ſie ſich ſo empfindlich fand. Sie machen
einem ja ganz bange, Madam, rief die Sclavin ‒‒
wenn ſie ſchon bey ſeinem bloſſen Namen in Ohnmacht
fallen, wie wird es ihnen erſt werden, wenn ſie ihn
ſelbſt ſehen? ‒‒ Soll ich gehen, und ihn geſchwinde her-
aufhohlen? ‒‒ Jhn heraufhohlen? verſezte die Dame;
nein wahrhaftig; ich will ihn nicht ſehen! ‒‒ Sie wol-
len ihn nicht ſehen, Madam? Was fuͤr ein Einfall! Aber
es kan nicht ihr Ernſt ſeyn! O! wenn ſie ihn nur ſe-
hen ſollten ‒‒ er iſt ſo ſchoͤn ‒‒ ſo ſchoͤn als er noch nie
geweſen iſt, daͤucht mich; ich haͤtte ihn mit den Augen
aufeſſen moͤgen; ſie muͤſſen ihn ſehen, Madam ‒‒ das
waͤre ja unverantwortlich, wenn ſie ihn wieder fortge-
hen laſſen wollten, ohne daß er ſie geſehen haͤtte ‒‒
wofuͤr haͤtten ſie ſich dann ‒‒ Schweige, nichts weiter,
rief die Dame; verlaß mich ‒‒ aber unterſteh dich nicht
wieder in den Saal hinunter zu gehen; wenn er es iſt,
ſo will ich nicht, daß er dich erkennen ſoll; ich hoffe
doch nicht, daß du mich ſchon verrathen haben ſoll-
teſt? ‒‒ Nein, Madam, erwiederte die Vertraute; er
hat mich noch nicht wahrgenommen, denn er ſchien
ganz in die Betrachtung der Gemaͤhlde vertieft, und
mich daͤuchte, ich hoͤrte ihn ein oder zweymal ſeufzen;
vermuthlich ‒‒ Du biſt nicht klug, fiel ihr die Dame
ins Wort; verlaß mich ‒‒ ich will ihn nicht ſehen,
und er ſoll nicht wiſſen, in weſſen Hauſe er iſt; wenn
er’s erfaͤhrt, ſo haſt du eine Freundin verlohren ‒‒
die Sclavin entfernte ſich alſo, in Hofnung, daß ihre

Gebie-
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[336/0338] Agathon. wieder zu ſich ſelbſt zu bringen; endlich erhohlte ſich die ſchoͤne Dame wieder, aber nur, um uͤber ſich ſelbſt zu zoͤrnen, daß ſie ſich ſo empfindlich fand. Sie machen einem ja ganz bange, Madam, rief die Sclavin ‒‒ wenn ſie ſchon bey ſeinem bloſſen Namen in Ohnmacht fallen, wie wird es ihnen erſt werden, wenn ſie ihn ſelbſt ſehen? ‒‒ Soll ich gehen, und ihn geſchwinde her- aufhohlen? ‒‒ Jhn heraufhohlen? verſezte die Dame; nein wahrhaftig; ich will ihn nicht ſehen! ‒‒ Sie wol- len ihn nicht ſehen, Madam? Was fuͤr ein Einfall! Aber es kan nicht ihr Ernſt ſeyn! O! wenn ſie ihn nur ſe- hen ſollten ‒‒ er iſt ſo ſchoͤn ‒‒ ſo ſchoͤn als er noch nie geweſen iſt, daͤucht mich; ich haͤtte ihn mit den Augen aufeſſen moͤgen; ſie muͤſſen ihn ſehen, Madam ‒‒ das waͤre ja unverantwortlich, wenn ſie ihn wieder fortge- hen laſſen wollten, ohne daß er ſie geſehen haͤtte ‒‒ wofuͤr haͤtten ſie ſich dann ‒‒ Schweige, nichts weiter, rief die Dame; verlaß mich ‒‒ aber unterſteh dich nicht wieder in den Saal hinunter zu gehen; wenn er es iſt, ſo will ich nicht, daß er dich erkennen ſoll; ich hoffe doch nicht, daß du mich ſchon verrathen haben ſoll- teſt? ‒‒ Nein, Madam, erwiederte die Vertraute; er hat mich noch nicht wahrgenommen, denn er ſchien ganz in die Betrachtung der Gemaͤhlde vertieft, und mich daͤuchte, ich hoͤrte ihn ein oder zweymal ſeufzen; vermuthlich ‒‒ Du biſt nicht klug, fiel ihr die Dame ins Wort; verlaß mich ‒‒ ich will ihn nicht ſehen, und er ſoll nicht wiſſen, in weſſen Hauſe er iſt; wenn er’s erfaͤhrt, ſo haſt du eine Freundin verlohren ‒‒ die Sclavin entfernte ſich alſo, in Hofnung, daß ihre Gebie-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/338>, abgerufen am 23.11.2024.