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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Achtes Buch, fünftes Capitel.
Das wäre alles gewesen, was er hätte thun können,
wenn er eine geheime Absicht gehabt hätte, da zu blei-
ben. Alles wol überlegt, konnte er also, däucht uns,
nichts mehr thun als was er that. Er hinterließ ein
Briefchen, worinn er ihr sein Vorhaben mit einer Auf-
richtigkeit entdekte, welche zugleich die Rechtfertigung
desselben ausmacht. Er spottete ihrer nicht durch Lie-
bes-Versicherungen, welche der Widerspruch mit seinem
Betragen beleidigend gemacht hätte; hingegen erinnerte
er sich dessen, was sie um ihn verdient hatte zu wol, um
sie durch Vorwürfe zu kränken. Und dennoch entwischte
ihm beym Schluß ein Ausdruk, den er vermuthlich
großmüthig genug gewesen wäre, wieder auszulöschen,
wenn er Zeit gehabt hätte, sich zu bedenken; denn er
endigte sein Briefchen damit, daß er ihr sagte; er hoffe,
die Hälfte der Stärke des Gemüths, womit sie den Ver-
lust eines Alcibiades ertragen, und den Armen eines
Hyacinths sich entrissen habe, werde mehr als hinläng-
lich seyn, ihr seine Entfernung in kurzem gleichgültig
zu machen. Wie leicht, sezte er hinzu, kan Danae
einen Liebhaber missen, da es nur von ihr abhängt,
mit einem einzigen Blike so viele Sclaven zu machen,
als sie haben will! -- das war ein wenig grau-
sam -- Aber die Gemüths-Verfassung, worinn er
sich damals befand, war nicht ruhig genug, um ihn
fühlen zu lassen, wie viel er damit sagte.

Und
D 4

Achtes Buch, fuͤnftes Capitel.
Das waͤre alles geweſen, was er haͤtte thun koͤnnen,
wenn er eine geheime Abſicht gehabt haͤtte, da zu blei-
ben. Alles wol uͤberlegt, konnte er alſo, daͤucht uns,
nichts mehr thun als was er that. Er hinterließ ein
Briefchen, worinn er ihr ſein Vorhaben mit einer Auf-
richtigkeit entdekte, welche zugleich die Rechtfertigung
deſſelben ausmacht. Er ſpottete ihrer nicht durch Lie-
bes-Verſicherungen, welche der Widerſpruch mit ſeinem
Betragen beleidigend gemacht haͤtte; hingegen erinnerte
er ſich deſſen, was ſie um ihn verdient hatte zu wol, um
ſie durch Vorwuͤrfe zu kraͤnken. Und dennoch entwiſchte
ihm beym Schluß ein Ausdruk, den er vermuthlich
großmuͤthig genug geweſen waͤre, wieder auszuloͤſchen,
wenn er Zeit gehabt haͤtte, ſich zu bedenken; denn er
endigte ſein Briefchen damit, daß er ihr ſagte; er hoffe,
die Haͤlfte der Staͤrke des Gemuͤths, womit ſie den Ver-
luſt eines Alcibiades ertragen, und den Armen eines
Hyacinths ſich entriſſen habe, werde mehr als hinlaͤng-
lich ſeyn, ihr ſeine Entfernung in kurzem gleichguͤltig
zu machen. Wie leicht, ſezte er hinzu, kan Danae
einen Liebhaber miſſen, da es nur von ihr abhaͤngt,
mit einem einzigen Blike ſo viele Sclaven zu machen,
als ſie haben will! — das war ein wenig grau-
ſam — Aber die Gemuͤths-Verfaſſung, worinn er
ſich damals befand, war nicht ruhig genug, um ihn
fuͤhlen zu laſſen, wie viel er damit ſagte.

Und
D 4
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[55/0057] Achtes Buch, fuͤnftes Capitel. Das waͤre alles geweſen, was er haͤtte thun koͤnnen, wenn er eine geheime Abſicht gehabt haͤtte, da zu blei- ben. Alles wol uͤberlegt, konnte er alſo, daͤucht uns, nichts mehr thun als was er that. Er hinterließ ein Briefchen, worinn er ihr ſein Vorhaben mit einer Auf- richtigkeit entdekte, welche zugleich die Rechtfertigung deſſelben ausmacht. Er ſpottete ihrer nicht durch Lie- bes-Verſicherungen, welche der Widerſpruch mit ſeinem Betragen beleidigend gemacht haͤtte; hingegen erinnerte er ſich deſſen, was ſie um ihn verdient hatte zu wol, um ſie durch Vorwuͤrfe zu kraͤnken. Und dennoch entwiſchte ihm beym Schluß ein Ausdruk, den er vermuthlich großmuͤthig genug geweſen waͤre, wieder auszuloͤſchen, wenn er Zeit gehabt haͤtte, ſich zu bedenken; denn er endigte ſein Briefchen damit, daß er ihr ſagte; er hoffe, die Haͤlfte der Staͤrke des Gemuͤths, womit ſie den Ver- luſt eines Alcibiades ertragen, und den Armen eines Hyacinths ſich entriſſen habe, werde mehr als hinlaͤng- lich ſeyn, ihr ſeine Entfernung in kurzem gleichguͤltig zu machen. Wie leicht, ſezte er hinzu, kan Danae einen Liebhaber miſſen, da es nur von ihr abhaͤngt, mit einem einzigen Blike ſo viele Sclaven zu machen, als ſie haben will! — das war ein wenig grau- ſam — Aber die Gemuͤths-Verfaſſung, worinn er ſich damals befand, war nicht ruhig genug, um ihn fuͤhlen zu laſſen, wie viel er damit ſagte. Und D 4

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/57>, abgerufen am 22.11.2024.