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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Achtes Buch, sechstes Capitel.
zauberische Licht, welches seine Einbildungs-Kraft ge-
wohnt war, über alles, was mit seinen Jdeen überein-
stimmte, auszubreiten; war nicht diese unvermerkte Un-
terschiebung des Jdealen an die Stelle des Würklichen,
die wahre Ursache, warum Danae einen so ausserordent-
lichen Eindruk auf sein Herz machte? War es nicht diese
begeisterte Liebe zum Schönen, unter deren schimmern-
den Flügeln verborgen, die Leidenschaft mit sanftschleichen-
den Progressen sich endlich durch seine ganze Seele aus-
breitete? War es nicht die lange Gewohnheit sich mit
süssen Empfindungen zu nähren, was sie unvermerkt er-
weichte, um desto schneller an einer so schönen Flamme
dahinzuschmelzen? Mußte nicht der Hang zu phanta-
sierten Entzükungen, so geistig auch immer ihre Gegen-
stände seyn mochten, endlich nach denenjenigen lüstern
machen, vor welchen ihm ein unbekanntes, verworre-
nes, aber desto lebhafteres innerliches Gefühl den würk-
lichen Genuß dieser vollkommensten Wonne versprach,
wovon bisher nur vorüberblizende Ahnungen seine Ein-
bildung berührt, und durch diese leichte Berührung schon
ausser sich selbst gesezt hatten? Hier erinnerte sich Aga-
thon der Einwürfe, welche ihm Hippias gegen diesen
Enthusiasmus, und diejenige Art von Philosophie, die
ihn hervorbringt und unterhält, gemacht hatte; und be-
fand sie izt mit seiner Erfahrung so übereinstimmend,
als sie ihm damals falsch und ungereimt vorgekommen
waren. Er fand sich desto geneigter, die Meynung des
Sophisten, von dem Ursprung und der wahren Beschaffen-

heit

Achtes Buch, ſechstes Capitel.
zauberiſche Licht, welches ſeine Einbildungs-Kraft ge-
wohnt war, uͤber alles, was mit ſeinen Jdeen uͤberein-
ſtimmte, auszubreiten; war nicht dieſe unvermerkte Un-
terſchiebung des Jdealen an die Stelle des Wuͤrklichen,
die wahre Urſache, warum Danae einen ſo auſſerordent-
lichen Eindruk auf ſein Herz machte? War es nicht dieſe
begeiſterte Liebe zum Schoͤnen, unter deren ſchimmern-
den Fluͤgeln verborgen, die Leidenſchaft mit ſanftſchleichen-
den Progreſſen ſich endlich durch ſeine ganze Seele aus-
breitete? War es nicht die lange Gewohnheit ſich mit
ſuͤſſen Empfindungen zu naͤhren, was ſie unvermerkt er-
weichte, um deſto ſchneller an einer ſo ſchoͤnen Flamme
dahinzuſchmelzen? Mußte nicht der Hang zu phanta-
ſierten Entzuͤkungen, ſo geiſtig auch immer ihre Gegen-
ſtaͤnde ſeyn mochten, endlich nach denenjenigen luͤſtern
machen, vor welchen ihm ein unbekanntes, verworre-
nes, aber deſto lebhafteres innerliches Gefuͤhl den wuͤrk-
lichen Genuß dieſer vollkommenſten Wonne verſprach,
wovon bisher nur voruͤberblizende Ahnungen ſeine Ein-
bildung beruͤhrt, und durch dieſe leichte Beruͤhrung ſchon
auſſer ſich ſelbſt geſezt hatten? Hier erinnerte ſich Aga-
thon der Einwuͤrfe, welche ihm Hippias gegen dieſen
Enthuſiasmus, und diejenige Art von Philoſophie, die
ihn hervorbringt und unterhaͤlt, gemacht hatte; und be-
fand ſie izt mit ſeiner Erfahrung ſo uͤbereinſtimmend,
als ſie ihm damals falſch und ungereimt vorgekommen
waren. Er fand ſich deſto geneigter, die Meynung des
Sophiſten, von dem Urſprung und der wahren Beſchaffen-

heit
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[61/0063] Achtes Buch, ſechstes Capitel. zauberiſche Licht, welches ſeine Einbildungs-Kraft ge- wohnt war, uͤber alles, was mit ſeinen Jdeen uͤberein- ſtimmte, auszubreiten; war nicht dieſe unvermerkte Un- terſchiebung des Jdealen an die Stelle des Wuͤrklichen, die wahre Urſache, warum Danae einen ſo auſſerordent- lichen Eindruk auf ſein Herz machte? War es nicht dieſe begeiſterte Liebe zum Schoͤnen, unter deren ſchimmern- den Fluͤgeln verborgen, die Leidenſchaft mit ſanftſchleichen- den Progreſſen ſich endlich durch ſeine ganze Seele aus- breitete? War es nicht die lange Gewohnheit ſich mit ſuͤſſen Empfindungen zu naͤhren, was ſie unvermerkt er- weichte, um deſto ſchneller an einer ſo ſchoͤnen Flamme dahinzuſchmelzen? Mußte nicht der Hang zu phanta- ſierten Entzuͤkungen, ſo geiſtig auch immer ihre Gegen- ſtaͤnde ſeyn mochten, endlich nach denenjenigen luͤſtern machen, vor welchen ihm ein unbekanntes, verworre- nes, aber deſto lebhafteres innerliches Gefuͤhl den wuͤrk- lichen Genuß dieſer vollkommenſten Wonne verſprach, wovon bisher nur voruͤberblizende Ahnungen ſeine Ein- bildung beruͤhrt, und durch dieſe leichte Beruͤhrung ſchon auſſer ſich ſelbſt geſezt hatten? Hier erinnerte ſich Aga- thon der Einwuͤrfe, welche ihm Hippias gegen dieſen Enthuſiasmus, und diejenige Art von Philoſophie, die ihn hervorbringt und unterhaͤlt, gemacht hatte; und be- fand ſie izt mit ſeiner Erfahrung ſo uͤbereinſtimmend, als ſie ihm damals falſch und ungereimt vorgekommen waren. Er fand ſich deſto geneigter, die Meynung des Sophiſten, von dem Urſprung und der wahren Beſchaffen- heit

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/63>, abgerufen am 22.11.2024.