Punct ein süsses Vergessen unsrer selbst und unsrer Pflich- ten ist.
Von dieser Betrachtung, welche unsern Helden die Nothwendigkeit eines behutsamen Mißtrauens in die Stärke guter Grundsäze lehrte; und wie gefährlich es sey, sie für daß Maß unsrer Kräfte zu halten; gieng er zn einer andern über, die ihn von der wenigen Sicher- heit überzeugte, welche sich unsre Seele in diesem Zu- stand eines immerwährenden moralischen Enthusiasmus versprechen kan, wie derjenige, worinn die seinige zu eben der Zeit war, als sie in dem feingewebten Neze der schönen Danae gefangen wurde. Er rief alle Um- stände in sein Gemüthe zurük, welche zusammen gekom- men waren, ihm diese reizungsvolle Schwärmerey so natürlich zu machen; und erinnerte sich der verschied- nen Gefahren, denen er sich dadurch ausgesezt gesehen hatte. Zu Delphi fehlte es wenig, daß sie ihn den Nachstellungen eines verkappten Apollo preiß gegeben hätte -- zu Athen hatte sie ihn seinen arglistigen Feinden würklich in die Hände geliefert. Doch, aus diesen beyden Gefahren hatte er seine Tugend da- von gebracht; ein unschäzbares Kleinod, dessen Besiz ihn gegen den Verlust alles andern, was ein Günstling des Glükes verliehren kan, unempfindlich machte. Aber durch eben diesen Enthusiasmus unterlag sie endlich den Verführungen seines eignen Herzens eben so wol als den Kunstgriffen der schönen Danae. War nicht dieses
zauberische
Agathon.
Punct ein ſuͤſſes Vergeſſen unſrer ſelbſt und unſrer Pflich- ten iſt.
Von dieſer Betrachtung, welche unſern Helden die Nothwendigkeit eines behutſamen Mißtrauens in die Staͤrke guter Grundſaͤze lehrte; und wie gefaͤhrlich es ſey, ſie fuͤr daß Maß unſrer Kraͤfte zu halten; gieng er zn einer andern uͤber, die ihn von der wenigen Sicher- heit uͤberzeugte, welche ſich unſre Seele in dieſem Zu- ſtand eines immerwaͤhrenden moraliſchen Enthuſiasmus verſprechen kan, wie derjenige, worinn die ſeinige zu eben der Zeit war, als ſie in dem feingewebten Neze der ſchoͤnen Danae gefangen wurde. Er rief alle Um- ſtaͤnde in ſein Gemuͤthe zuruͤk, welche zuſammen gekom- men waren, ihm dieſe reizungsvolle Schwaͤrmerey ſo natuͤrlich zu machen; und erinnerte ſich der verſchied- nen Gefahren, denen er ſich dadurch ausgeſezt geſehen hatte. Zu Delphi fehlte es wenig, daß ſie ihn den Nachſtellungen eines verkappten Apollo preiß gegeben haͤtte — zu Athen hatte ſie ihn ſeinen argliſtigen Feinden wuͤrklich in die Haͤnde geliefert. Doch, aus dieſen beyden Gefahren hatte er ſeine Tugend da- von gebracht; ein unſchaͤzbares Kleinod, deſſen Beſiz ihn gegen den Verluſt alles andern, was ein Guͤnſtling des Gluͤkes verliehren kan, unempfindlich machte. Aber durch eben dieſen Enthuſiasmus unterlag ſie endlich den Verfuͤhrungen ſeines eignen Herzens eben ſo wol als den Kunſtgriffen der ſchoͤnen Danae. War nicht dieſes
zauberiſche
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Agathon.
Punct ein ſuͤſſes Vergeſſen unſrer ſelbſt und unſrer Pflich-
ten iſt.
Von dieſer Betrachtung, welche unſern Helden die
Nothwendigkeit eines behutſamen Mißtrauens in die
Staͤrke guter Grundſaͤze lehrte; und wie gefaͤhrlich es
ſey, ſie fuͤr daß Maß unſrer Kraͤfte zu halten; gieng
er zn einer andern uͤber, die ihn von der wenigen Sicher-
heit uͤberzeugte, welche ſich unſre Seele in dieſem Zu-
ſtand eines immerwaͤhrenden moraliſchen Enthuſiasmus
verſprechen kan, wie derjenige, worinn die ſeinige zu
eben der Zeit war, als ſie in dem feingewebten Neze
der ſchoͤnen Danae gefangen wurde. Er rief alle Um-
ſtaͤnde in ſein Gemuͤthe zuruͤk, welche zuſammen gekom-
men waren, ihm dieſe reizungsvolle Schwaͤrmerey ſo
natuͤrlich zu machen; und erinnerte ſich der verſchied-
nen Gefahren, denen er ſich dadurch ausgeſezt geſehen
hatte. Zu Delphi fehlte es wenig, daß ſie ihn den
Nachſtellungen eines verkappten Apollo preiß gegeben
haͤtte — zu Athen hatte ſie ihn ſeinen argliſtigen
Feinden wuͤrklich in die Haͤnde geliefert. Doch, aus
dieſen beyden Gefahren hatte er ſeine Tugend da-
von gebracht; ein unſchaͤzbares Kleinod, deſſen Beſiz
ihn gegen den Verluſt alles andern, was ein Guͤnſtling
des Gluͤkes verliehren kan, unempfindlich machte. Aber
durch eben dieſen Enthuſiasmus unterlag ſie endlich den
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/62>, abgerufen am 22.11.2024.
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