ist, einen Mann von Verdiensten seines eignen Werths vergessen zu machen.
Eine alltägliche Anmerkung werden Kenner denken, welche weder mehr noch weniger sagt, als was Gay in einer seiner Fabeln tausend mal schöner gesagt hat, und was wir alle längst wissen --- daß die Eitelkeit die wahre Triebfeder aller Bewegungen des weiblichen Her- zens ist --- Wir erkennen unsern Fehler, ohne gleich- wohl den Kennern einzugestehn, daß unsre Anmerkung so viel sage. Aber nichts mehr hievon!
Hingegen können wir unsern besagten Leserinnen, um sie wieder gut zu machen, eine kleine Anecdote aus dem Herzen unsers Helden nicht verhalten, und wenn er auch gleich dadurch in Gefahr kommen sollte, die Hochachtung wieder zu verliehren, in die er sich bey den ehrwürdigen Damen, welche nie geliebt haben, und, Dank sey dem Himmel! nie geliebt worden sind, wieder zu sezen angefangen hat. Hier ist sie ---
So vergnügt Agathon über seine Entweichung aus seiner angenehmen Gefangenschaft in Smyrna, und in diesem Stüke mit sich selbst war; so wenig die Bezau- berung, unter welcher wir ihn gesehen haben, die characteristische Leidenschaft schöner Seelen, die Liebe der Tugend, in ihm zu erstiken vermocht hatte; so auf- richtig die Gelübde waren, die er that, ihr künftig nicht wieder ungetreu zu werden; so groß und wichtig
die
Agathon.
iſt, einen Mann von Verdienſten ſeines eignen Werths vergeſſen zu machen.
Eine alltaͤgliche Anmerkung werden Kenner denken, welche weder mehr noch weniger ſagt, als was Gay in einer ſeiner Fabeln tauſend mal ſchoͤner geſagt hat, und was wir alle laͤngſt wiſſen ‒‒‒ daß die Eitelkeit die wahre Triebfeder aller Bewegungen des weiblichen Her- zens iſt ‒‒‒ Wir erkennen unſern Fehler, ohne gleich- wohl den Kennern einzugeſtehn, daß unſre Anmerkung ſo viel ſage. Aber nichts mehr hievon!
Hingegen koͤnnen wir unſern beſagten Leſerinnen, um ſie wieder gut zu machen, eine kleine Anecdote aus dem Herzen unſers Helden nicht verhalten, und wenn er auch gleich dadurch in Gefahr kommen ſollte, die Hochachtung wieder zu verliehren, in die er ſich bey den ehrwuͤrdigen Damen, welche nie geliebt haben, und, Dank ſey dem Himmel! nie geliebt worden ſind, wieder zu ſezen angefangen hat. Hier iſt ſie ‒‒‒
So vergnuͤgt Agathon uͤber ſeine Entweichung aus ſeiner angenehmen Gefangenſchaft in Smyrna, und in dieſem Stuͤke mit ſich ſelbſt war; ſo wenig die Bezau- berung, unter welcher wir ihn geſehen haben, die characteriſtiſche Leidenſchaft ſchoͤner Seelen, die Liebe der Tugend, in ihm zu erſtiken vermocht hatte; ſo auf- richtig die Geluͤbde waren, die er that, ihr kuͤnftig nicht wieder ungetreu zu werden; ſo groß und wichtig
die
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Agathon.
iſt, einen Mann von Verdienſten ſeines eignen Werths
vergeſſen zu machen.
Eine alltaͤgliche Anmerkung werden Kenner denken,
welche weder mehr noch weniger ſagt, als was Gay
in einer ſeiner Fabeln tauſend mal ſchoͤner geſagt hat,
und was wir alle laͤngſt wiſſen ‒‒‒ daß die Eitelkeit die
wahre Triebfeder aller Bewegungen des weiblichen Her-
zens iſt ‒‒‒ Wir erkennen unſern Fehler, ohne gleich-
wohl den Kennern einzugeſtehn, daß unſre Anmerkung
ſo viel ſage. Aber nichts mehr hievon!
Hingegen koͤnnen wir unſern beſagten Leſerinnen,
um ſie wieder gut zu machen, eine kleine Anecdote
aus dem Herzen unſers Helden nicht verhalten, und
wenn er auch gleich dadurch in Gefahr kommen ſollte,
die Hochachtung wieder zu verliehren, in die er ſich bey
den ehrwuͤrdigen Damen, welche nie geliebt haben,
und, Dank ſey dem Himmel! nie geliebt worden ſind,
wieder zu ſezen angefangen hat. Hier iſt ſie ‒‒‒
So vergnuͤgt Agathon uͤber ſeine Entweichung aus
ſeiner angenehmen Gefangenſchaft in Smyrna, und in
dieſem Stuͤke mit ſich ſelbſt war; ſo wenig die Bezau-
berung, unter welcher wir ihn geſehen haben, die
characteriſtiſche Leidenſchaft ſchoͤner Seelen, die Liebe
der Tugend, in ihm zu erſtiken vermocht hatte; ſo auf-
richtig die Geluͤbde waren, die er that, ihr kuͤnftig
nicht wieder ungetreu zu werden; ſo groß und wichtig
die
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/72>, abgerufen am 16.07.2024.
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