Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Achtes Buch, siebentes Capitel. die Gedanken waren, welche seine Seele schwellten; sosehr er, um alles mit einem Wort zu sagen, wider Agathon war: So hatte er doch Stunden, wo er sich selbst gestehen mußte, daß er mitten in der Schwär- merey der Liebe und in den Armen der schönen Da- nae --- glüklich gewesen sey. Es mag immer viel Ver- blendung, viel Ueberspanntes und Schimärisches in der Liebe seyn, sagte er zu sich selbst, so sind doch gewiß ihre Freuden keine Einbildung --- ich fühlte es, und fühl' es noch, so wie ich mein Daseyn fühle, daß es wahre Freuden sind, so wahr in ihrer Art, als die Freuden der Tugend --- und warum sollt' es unmöglich seyn, Liebe und Tugend mit einander zu verbinden? Sie beyde zu geniessen, das würde erst eine vollkommne Glük- seligkeit seyn. Hier müssen wir zu Verhütung eines besorglichen genossen E 4
Achtes Buch, ſiebentes Capitel. die Gedanken waren, welche ſeine Seele ſchwellten; ſoſehr er, um alles mit einem Wort zu ſagen, wider Agathon war: So hatte er doch Stunden, wo er ſich ſelbſt geſtehen mußte, daß er mitten in der Schwaͤr- merey der Liebe und in den Armen der ſchoͤnen Da- nae ‒‒‒ gluͤklich geweſen ſey. Es mag immer viel Ver- blendung, viel Ueberſpanntes und Schimaͤriſches in der Liebe ſeyn, ſagte er zu ſich ſelbſt, ſo ſind doch gewiß ihre Freuden keine Einbildung ‒‒‒ ich fuͤhlte es, und fuͤhl’ es noch, ſo wie ich mein Daſeyn fuͤhle, daß es wahre Freuden ſind, ſo wahr in ihrer Art, als die Freuden der Tugend ‒‒‒ und warum ſollt’ es unmoͤglich ſeyn, Liebe und Tugend mit einander zu verbinden? Sie beyde zu genieſſen, das wuͤrde erſt eine vollkommne Gluͤk- ſeligkeit ſeyn. Hier muͤſſen wir zu Verhuͤtung eines beſorglichen genoſſen E 4
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Achtes Buch, ſiebentes Capitel.
die Gedanken waren, welche ſeine Seele ſchwellten; ſo
ſehr er, um alles mit einem Wort zu ſagen, wider
Agathon war: So hatte er doch Stunden, wo er ſich
ſelbſt geſtehen mußte, daß er mitten in der Schwaͤr-
merey der Liebe und in den Armen der ſchoͤnen Da-
nae ‒‒‒ gluͤklich geweſen ſey. Es mag immer viel Ver-
blendung, viel Ueberſpanntes und Schimaͤriſches in der
Liebe ſeyn, ſagte er zu ſich ſelbſt, ſo ſind doch gewiß
ihre Freuden keine Einbildung ‒‒‒ ich fuͤhlte es, und
fuͤhl’ es noch, ſo wie ich mein Daſeyn fuͤhle, daß es
wahre Freuden ſind, ſo wahr in ihrer Art, als die
Freuden der Tugend ‒‒‒ und warum ſollt’ es unmoͤglich
ſeyn, Liebe und Tugend mit einander zu verbinden? Sie
beyde zu genieſſen, das wuͤrde erſt eine vollkommne Gluͤk-
ſeligkeit ſeyn.
Hier muͤſſen wir zu Verhuͤtung eines beſorglichen
Mißverſtandes eine kleine Parentheſe machen, um denen,
die keine andre Sitten kennen, als die Sitten des Lan-
des oder Ortes, worinn ſie gebohren ſind, zu ſagen,
daß ein vertrauter Umgang mit Frauenzimmern von
einer gewiſſen Claſſe, oder (nicht ſo franzoͤſiſch, aber
weniger zweydeutig zu reden) welche mit dem was man
etwas uneigentlich Liebe zu nennen pflegt, ein Gewerbe
treiben, bey den Griechen eine ſo erlaubte Sache war,
daß die ſtrengeſten Vaͤter ſich laͤcherlich gemacht haben
wuͤrden, wenn ſie ihren Soͤhnen, ſo lange ſie unter
ihrer Gewalt ſtunden, eine Liebſte aus der bemeldten
Claſſe haͤtten verwehren wollen. Frauen und Jungfrauen
genoſſen
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Zitationshilfe: | Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/73>, abgerufen am 16.07.2024. |