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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
Nicht wahr, ich errathe es, daß ihnen bey diesem
Worte die punctirte Seele in Comenii Orbe picto ein-
fällt? Aber das ist nicht was ich meyne; es ist darum
zu thun, daß uns das Jnnerste seiner Seele aufge-
schlossen werde; daß wir die geheimern Bewegungen
seines Herzens, die verborgenern Triebfedern seiner Hand-
lungen kennen lernen --- "Eine schöne Kenntniß! und
"die etwan viel Kopfzerbrechens braucht? --- Ein Herz
"zu kennen, von dem ich Jhnen, kraft meines Sy-
"stems, gleich bey der ersten Ziele Jhres Buchs hätte
"vorhersagen können, daß es durch und durch nichts
"taugt" --- Jch bitte Sie, Herr Theogiton, nichts
mehr; Sie mögen wol Jhr System nicht recht gelernt
haben, oder --- das muß ein System seyn! Aber; in
unserm Leben nichts mehr, wenn ich bitten darf. Jch
sehe, die Natur hat Jhnen das Werkzeug versagt, wo-
durch wir uns gegen einander erklären könnten. Jch
hatte Unrecht, Jhnen von geheimen Triebfedern zu
sprechen --- Sie kennen nur eine einzige Gattung der-
selben, die in der Classe der guten Seelen liegt, die sich
Jhrer Führung überlassen haben; und diese rechtferti-
get freylich Jhr System besser als alles was Sie zu
seinem Behuf sagen könnten --- Also zu unserm Aga-
thon zurük!

Nach den gewöhnlichen Begriffen seiner Zeit wäre es
so schwer nicht gewesen, Liebe und Tugend mit einan-
der zu verbinden; auch unsre jungen Moralisten hätten
hierzu gleich ein Recipe fertig, oder es wimmelt viel-

mehr

Agathon.
Nicht wahr, ich errathe es, daß ihnen bey dieſem
Worte die punctirte Seele in Comenii Orbe picto ein-
faͤllt? Aber das iſt nicht was ich meyne; es iſt darum
zu thun, daß uns das Jnnerſte ſeiner Seele aufge-
ſchloſſen werde; daß wir die geheimern Bewegungen
ſeines Herzens, die verborgenern Triebfedern ſeiner Hand-
lungen kennen lernen ‒‒‒ „Eine ſchoͤne Kenntniß! und
„die etwan viel Kopfzerbrechens braucht? ‒‒‒ Ein Herz
„zu kennen, von dem ich Jhnen, kraft meines Sy-
„ſtems, gleich bey der erſten Ziele Jhres Buchs haͤtte
„vorherſagen koͤnnen, daß es durch und durch nichts
„taugt„ ‒‒‒ Jch bitte Sie, Herr Theogiton, nichts
mehr; Sie moͤgen wol Jhr Syſtem nicht recht gelernt
haben, oder ‒‒‒ das muß ein Syſtem ſeyn! Aber; in
unſerm Leben nichts mehr, wenn ich bitten darf. Jch
ſehe, die Natur hat Jhnen das Werkzeug verſagt, wo-
durch wir uns gegen einander erklaͤren koͤnnten. Jch
hatte Unrecht, Jhnen von geheimen Triebfedern zu
ſprechen ‒‒‒ Sie kennen nur eine einzige Gattung der-
ſelben, die in der Claſſe der guten Seelen liegt, die ſich
Jhrer Fuͤhrung uͤberlaſſen haben; und dieſe rechtferti-
get freylich Jhr Syſtem beſſer als alles was Sie zu
ſeinem Behuf ſagen koͤnnten ‒‒‒ Alſo zu unſerm Aga-
thon zuruͤk!

Nach den gewoͤhnlichen Begriffen ſeiner Zeit waͤre es
ſo ſchwer nicht geweſen, Liebe und Tugend mit einan-
der zu verbinden; auch unſre jungen Moraliſten haͤtten
hierzu gleich ein Recipe fertig, oder es wimmelt viel-

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[80/0082] Agathon. Nicht wahr, ich errathe es, daß ihnen bey dieſem Worte die punctirte Seele in Comenii Orbe picto ein- faͤllt? Aber das iſt nicht was ich meyne; es iſt darum zu thun, daß uns das Jnnerſte ſeiner Seele aufge- ſchloſſen werde; daß wir die geheimern Bewegungen ſeines Herzens, die verborgenern Triebfedern ſeiner Hand- lungen kennen lernen ‒‒‒ „Eine ſchoͤne Kenntniß! und „die etwan viel Kopfzerbrechens braucht? ‒‒‒ Ein Herz „zu kennen, von dem ich Jhnen, kraft meines Sy- „ſtems, gleich bey der erſten Ziele Jhres Buchs haͤtte „vorherſagen koͤnnen, daß es durch und durch nichts „taugt„ ‒‒‒ Jch bitte Sie, Herr Theogiton, nichts mehr; Sie moͤgen wol Jhr Syſtem nicht recht gelernt haben, oder ‒‒‒ das muß ein Syſtem ſeyn! Aber; in unſerm Leben nichts mehr, wenn ich bitten darf. Jch ſehe, die Natur hat Jhnen das Werkzeug verſagt, wo- durch wir uns gegen einander erklaͤren koͤnnten. Jch hatte Unrecht, Jhnen von geheimen Triebfedern zu ſprechen ‒‒‒ Sie kennen nur eine einzige Gattung der- ſelben, die in der Claſſe der guten Seelen liegt, die ſich Jhrer Fuͤhrung uͤberlaſſen haben; und dieſe rechtferti- get freylich Jhr Syſtem beſſer als alles was Sie zu ſeinem Behuf ſagen koͤnnten ‒‒‒ Alſo zu unſerm Aga- thon zuruͤk! Nach den gewoͤhnlichen Begriffen ſeiner Zeit waͤre es ſo ſchwer nicht geweſen, Liebe und Tugend mit einan- der zu verbinden; auch unſre jungen Moraliſten haͤtten hierzu gleich ein Recipe fertig, oder es wimmelt viel- mehr

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/82>, abgerufen am 22.11.2024.