Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite
36.
Sogleich erkennt der Held den mann von gestern,
Der sich verwog der Christen Gott zu lästern;
Er ists, der links am goldnen stuhle sizt
Und seinen nacken selbst als wie zur strafe bieget.
Rasch, wie des Himmels flamme, blizt
Der reiche säbel auf; der kopf des Heiden flieget,
Und hochaufbrausend übersprizt
Sein blut den tisch und den der ihm zur seite lieget.
37.
Wie der Gorgone furchtbars haupt
In Perseus faust den wildempörten schaaren
Das leben straks durch seinen anblik raubt;
Noch dampft die Königsburg, noch schwillt der aufruhr, schnaubt
Die mordlust ungezähmt im busen der Barbaren;
Doch Perseus schüttelt kaum den kopf mit schlangenhaaren,
So starrt der dolch in jeder blutgen hand,
Und jeder mörder steht zum felsen hingebannt:
38.
So stokt auch hier, beym anblik solcher kecken
Verrätherischen that, des frohen blutes lauf
In jedem gast. Sie fuhren allzuhauf,
Gespenstern gleich, von ihren sitzen auf,
Und griffen nach dem schwert. Allein, gelähmt von schrecken,
Erschlafft im ziehn der arm, und jedes schwert blieb stecken;
Ohnmächt'ge wut im starren blik,
Sank sprachlos der Kalif in seinem stuhl zurück.
39. Der
36.
Sogleich erkennt der Held den mann von geſtern,
Der ſich verwog der Chriſten Gott zu laͤſtern;
Er iſts, der links am goldnen ſtuhle ſizt
Und ſeinen nacken ſelbſt als wie zur ſtrafe bieget.
Raſch, wie des Himmels flamme, blizt
Der reiche ſaͤbel auf; der kopf des Heiden flieget,
Und hochaufbrauſend uͤberſprizt
Sein blut den tiſch und den der ihm zur ſeite lieget.
37.
Wie der Gorgone furchtbars haupt
In Perſeus fauſt den wildempoͤrten ſchaaren
Das leben ſtraks durch ſeinen anblik raubt;
Noch dampft die Koͤnigsburg, noch ſchwillt der aufruhr, ſchnaubt
Die mordluſt ungezaͤhmt im buſen der Barbaren;
Doch Perſeus ſchuͤttelt kaum den kopf mit ſchlangenhaaren,
So ſtarrt der dolch in jeder blutgen hand,
Und jeder moͤrder ſteht zum felſen hingebannt:
38.
So ſtokt auch hier, beym anblik ſolcher kecken
Verraͤtheriſchen that, des frohen blutes lauf
In jedem gaſt. Sie fuhren allzuhauf,
Geſpenſtern gleich, von ihren ſitzen auf,
Und griffen nach dem ſchwert. Allein, gelaͤhmt von ſchrecken,
Erſchlafft im ziehn der arm, und jedes ſchwert blieb ſtecken;
Ohnmaͤcht'ge wut im ſtarren blik,
Sank ſprachlos der Kalif in ſeinem ſtuhl zuruͤck.
39. Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0110"/>
            <lg n="36">
              <head> <hi rendition="#c">36.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">S</hi>ogleich erkennt der Held den mann von ge&#x017F;tern,</l><lb/>
              <l>Der &#x017F;ich verwog der Chri&#x017F;ten Gott zu la&#x0364;&#x017F;tern;</l><lb/>
              <l>Er i&#x017F;ts, der links am goldnen &#x017F;tuhle &#x017F;izt</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;einen nacken &#x017F;elb&#x017F;t als wie zur &#x017F;trafe bieget.</l><lb/>
              <l>Ra&#x017F;ch, wie des Himmels flamme, blizt</l><lb/>
              <l>Der reiche &#x017F;a&#x0364;bel auf; der kopf des Heiden flieget,</l><lb/>
              <l>Und hochaufbrau&#x017F;end u&#x0364;ber&#x017F;prizt</l><lb/>
              <l>Sein blut den ti&#x017F;ch und den der ihm zur &#x017F;eite lieget.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="37">
              <head> <hi rendition="#c">37.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">W</hi>ie der Gorgone furchtbars haupt</l><lb/>
              <l>In Per&#x017F;eus fau&#x017F;t den wildempo&#x0364;rten &#x017F;chaaren</l><lb/>
              <l>Das leben &#x017F;traks durch &#x017F;einen anblik raubt;</l><lb/>
              <l>Noch dampft die Ko&#x0364;nigsburg, noch &#x017F;chwillt der aufruhr, &#x017F;chnaubt</l><lb/>
              <l>Die mordlu&#x017F;t ungeza&#x0364;hmt im bu&#x017F;en der Barbaren;</l><lb/>
              <l>Doch Per&#x017F;eus &#x017F;chu&#x0364;ttelt kaum den kopf mit &#x017F;chlangenhaaren,</l><lb/>
              <l>So &#x017F;tarrt der dolch in jeder blutgen hand,</l><lb/>
              <l>Und jeder mo&#x0364;rder &#x017F;teht zum fel&#x017F;en hingebannt:</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="38">
              <head> <hi rendition="#c">38.</hi> </head><lb/>
              <l><hi rendition="#in">S</hi>o &#x017F;tokt auch hier, beym anblik &#x017F;olcher kecken</l><lb/>
              <l>Verra&#x0364;theri&#x017F;chen that, des frohen blutes lauf</l><lb/>
              <l>In jedem ga&#x017F;t. Sie fuhren allzuhauf,</l><lb/>
              <l>Ge&#x017F;pen&#x017F;tern gleich, von ihren &#x017F;itzen auf,</l><lb/>
              <l>Und griffen nach dem &#x017F;chwert. Allein, gela&#x0364;hmt von &#x017F;chrecken,</l><lb/>
              <l>Er&#x017F;chlafft im ziehn der arm, und jedes &#x017F;chwert blieb &#x017F;tecken;</l><lb/>
              <l>Ohnma&#x0364;cht'ge wut im &#x017F;tarren blik,</l><lb/>
              <l>Sank &#x017F;prachlos der Kalif in &#x017F;einem &#x017F;tuhl zuru&#x0364;ck.</l>
            </lg><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">39. Der</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] 36. Sogleich erkennt der Held den mann von geſtern, Der ſich verwog der Chriſten Gott zu laͤſtern; Er iſts, der links am goldnen ſtuhle ſizt Und ſeinen nacken ſelbſt als wie zur ſtrafe bieget. Raſch, wie des Himmels flamme, blizt Der reiche ſaͤbel auf; der kopf des Heiden flieget, Und hochaufbrauſend uͤberſprizt Sein blut den tiſch und den der ihm zur ſeite lieget. 37. Wie der Gorgone furchtbars haupt In Perſeus fauſt den wildempoͤrten ſchaaren Das leben ſtraks durch ſeinen anblik raubt; Noch dampft die Koͤnigsburg, noch ſchwillt der aufruhr, ſchnaubt Die mordluſt ungezaͤhmt im buſen der Barbaren; Doch Perſeus ſchuͤttelt kaum den kopf mit ſchlangenhaaren, So ſtarrt der dolch in jeder blutgen hand, Und jeder moͤrder ſteht zum felſen hingebannt: 38. So ſtokt auch hier, beym anblik ſolcher kecken Verraͤtheriſchen that, des frohen blutes lauf In jedem gaſt. Sie fuhren allzuhauf, Geſpenſtern gleich, von ihren ſitzen auf, Und griffen nach dem ſchwert. Allein, gelaͤhmt von ſchrecken, Erſchlafft im ziehn der arm, und jedes ſchwert blieb ſtecken; Ohnmaͤcht'ge wut im ſtarren blik, Sank ſprachlos der Kalif in ſeinem ſtuhl zuruͤck. 39. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/110
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/110>, abgerufen am 15.05.2024.