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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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57.
Er sprichts und schweigt, und steht gelassen
Des Sultans antwort abzupassen.
Allein, wo nehm ich athem her, den grimm
Des alten Herrn mit worten euch zu schildern?
Wie seine züge sich verwildern,
Wie seine nase schnaubt? Mit welchem ungestümm
Er auf vom throne springt? Wie seine augen klotzen,
Und wie vor ungeduld ihm alle adern strotzen?
58.
Er starrt umher, will fluchen, und die wut
Bricht schäumend jedes wort an seinen blauen lippen.
Auf, sclaven! reißt das herz ihm aus den rippen!
Zerhakt ihn glied vor glied! zapft sein verruchtes blut
Mit pfriemen ab! weg mit ihm in die flammen!
Die asche streut in alle winde aus!
Und seinen Kayser Karl, den möge Gott verdammen!
Was? Solchen antrag? Mir? In meinem eignen Haus?
59.
Wer ist der Karl, der gegen mich sich brüstet?
Und warum kömmt er nicht, wenn's ihn
So sehr nach meinem bart und meinen zähnen lüstet,
Und wagts, sie selber auszuziehn?
Der mensch muß unter seiner mütze
Nicht richtig seyn, versezt ein alter Kan;
So etwas allenfalls begehrt man an der spitze
Von dreymal hundert tausend mann.
60. Kalif
57.
Er ſprichts und ſchweigt, und ſteht gelaſſen
Des Sultans antwort abzupaſſen.
Allein, wo nehm ich athem her, den grimm
Des alten Herrn mit worten euch zu ſchildern?
Wie ſeine zuͤge ſich verwildern,
Wie ſeine naſe ſchnaubt? Mit welchem ungeſtuͤmm
Er auf vom throne ſpringt? Wie ſeine augen klotzen,
Und wie vor ungeduld ihm alle adern ſtrotzen?
58.
Er ſtarrt umher, will fluchen, und die wut
Bricht ſchaͤumend jedes wort an ſeinen blauen lippen.
Auf, ſclaven! reißt das herz ihm aus den rippen!
Zerhakt ihn glied vor glied! zapft ſein verruchtes blut
Mit pfriemen ab! weg mit ihm in die flammen!
Die aſche ſtreut in alle winde aus!
Und ſeinen Kayſer Karl, den moͤge Gott verdammen!
Was? Solchen antrag? Mir? In meinem eignen Haus?
59.
Wer iſt der Karl, der gegen mich ſich bruͤſtet?
Und warum koͤmmt er nicht, wenn's ihn
So ſehr nach meinem bart und meinen zaͤhnen luͤſtet,
Und wagts, ſie ſelber auszuziehn?
Der menſch muß unter ſeiner muͤtze
Nicht richtig ſeyn, verſezt ein alter Kan;
So etwas allenfalls begehrt man an der ſpitze
Von dreymal hundert tauſend mann.
60. Kalif
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[0117] 57. Er ſprichts und ſchweigt, und ſteht gelaſſen Des Sultans antwort abzupaſſen. Allein, wo nehm ich athem her, den grimm Des alten Herrn mit worten euch zu ſchildern? Wie ſeine zuͤge ſich verwildern, Wie ſeine naſe ſchnaubt? Mit welchem ungeſtuͤmm Er auf vom throne ſpringt? Wie ſeine augen klotzen, Und wie vor ungeduld ihm alle adern ſtrotzen? 58. Er ſtarrt umher, will fluchen, und die wut Bricht ſchaͤumend jedes wort an ſeinen blauen lippen. Auf, ſclaven! reißt das herz ihm aus den rippen! Zerhakt ihn glied vor glied! zapft ſein verruchtes blut Mit pfriemen ab! weg mit ihm in die flammen! Die aſche ſtreut in alle winde aus! Und ſeinen Kayſer Karl, den moͤge Gott verdammen! Was? Solchen antrag? Mir? In meinem eignen Haus? 59. Wer iſt der Karl, der gegen mich ſich bruͤſtet? Und warum koͤmmt er nicht, wenn's ihn So ſehr nach meinem bart und meinen zaͤhnen luͤſtet, Und wagts, ſie ſelber auszuziehn? Der menſch muß unter ſeiner muͤtze Nicht richtig ſeyn, verſezt ein alter Kan; So etwas allenfalls begehrt man an der ſpitze Von dreymal hundert tauſend mann. 60. Kalif

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/117>, abgerufen am 15.05.2024.