Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.44. Mit unermüdetem fuß besteigt der junge mannDie klippen ringsumher, und schaut soweit er kann; Ein schreckliches gemisch von felsen und von klüften Begegnet seinem blik, wohin er seufzend blinkt. Da lokt kein saftigs grün aus blumenvollen triften, Da ist kein baum, der ihm mit goldnen früchten winkt! Kaum daß noch heidekraut, und dünne brombeerhecken Und disteln hier und da den kahlen grund verstecken. 45. So soll ich, ruft er aus, und beißt vor wilder peinSich in die lippen, ach! so soll ich dann mit leeren Trostlosen händen wiederkehren, Zu ihr, für die mein leben noch allein Erhaltenswürdig war? Ich, ihre einzge stütze, Ich, der mit jedem herzensschlag Ihr angehört, bin nur um Einen tag Ihr leben noch zu fristen ihr nicht nütze! 46. Verschmachten soll ich dich vor meinem augen sehnDu Wunder der Natur, so liebevoll, so schön! Verschmachten! Dich, die bloß um meinetwillen So elend ist! für mich so viel verließ! Dir, der das schönste loos Natur und Glük verhieß Eh dich des Himmels zorn in meine arme stieß, Dir bleibt (hier fieng er an vor wut und angst zu brüllen) Bleibt nicht soviel -- den Hunger nur zu stillen! 47. Laut
44. Mit unermuͤdetem fuß beſteigt der junge mannDie klippen ringsumher, und ſchaut ſoweit er kann; Ein ſchreckliches gemiſch von felſen und von kluͤften Begegnet ſeinem blik, wohin er ſeufzend blinkt. Da lokt kein ſaftigs gruͤn aus blumenvollen triften, Da iſt kein baum, der ihm mit goldnen fruͤchten winkt! Kaum daß noch heidekraut, und duͤnne brombeerhecken Und diſteln hier und da den kahlen grund verſtecken. 45. So ſoll ich, ruft er aus, und beißt vor wilder peinSich in die lippen, ach! ſo ſoll ich dann mit leeren Troſtloſen haͤnden wiederkehren, Zu ihr, fuͤr die mein leben noch allein Erhaltenswuͤrdig war? Ich, ihre einzge ſtuͤtze, Ich, der mit jedem herzensſchlag Ihr angehoͤrt, bin nur um Einen tag Ihr leben noch zu friſten ihr nicht nuͤtze! 46. Verſchmachten ſoll ich dich vor meinem augen ſehnDu Wunder der Natur, ſo liebevoll, ſo ſchoͤn! Verſchmachten! Dich, die bloß um meinetwillen So elend iſt! fuͤr mich ſo viel verließ! Dir, der das ſchoͤnſte loos Natur und Gluͤk verhieß Eh dich des Himmels zorn in meine arme ſtieß, Dir bleibt (hier fieng er an vor wut und angſt zu bruͤllen) Bleibt nicht ſoviel — den Hunger nur zu ſtillen! 47. Laut
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0178"/> <lg n="44"> <head> <hi rendition="#c">44.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">M</hi>it unermuͤdetem fuß beſteigt der junge mann</l><lb/> <l>Die klippen ringsumher, und ſchaut ſoweit er kann;</l><lb/> <l>Ein ſchreckliches gemiſch von felſen und von kluͤften</l><lb/> <l>Begegnet ſeinem blik, wohin er ſeufzend blinkt.</l><lb/> <l>Da lokt kein ſaftigs gruͤn aus blumenvollen triften,</l><lb/> <l>Da iſt kein baum, der ihm mit goldnen fruͤchten winkt!</l><lb/> <l>Kaum daß noch heidekraut, und duͤnne brombeerhecken</l><lb/> <l>Und diſteln hier und da den kahlen grund verſtecken.</l> </lg><lb/> <lg n="45"> <head> <hi rendition="#c">45.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">S</hi>o ſoll ich, ruft er aus, und beißt vor wilder pein</l><lb/> <l>Sich in die lippen, ach! ſo ſoll ich dann mit leeren</l><lb/> <l>Troſtloſen haͤnden wiederkehren,</l><lb/> <l>Zu ihr, fuͤr die mein leben noch allein</l><lb/> <l>Erhaltenswuͤrdig war? Ich, ihre einzge ſtuͤtze,</l><lb/> <l>Ich, der mit jedem herzensſchlag</l><lb/> <l>Ihr angehoͤrt, bin nur um Einen tag</l><lb/> <l>Ihr leben noch zu friſten ihr nicht nuͤtze!</l> </lg><lb/> <lg n="46"> <head> <hi rendition="#c">46.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">V</hi>erſchmachten ſoll ich dich vor meinem augen ſehn</l><lb/> <l>Du Wunder der Natur, ſo liebevoll, ſo ſchoͤn!</l><lb/> <l>Verſchmachten! Dich, die bloß um meinetwillen</l><lb/> <l>So elend iſt! fuͤr mich ſo viel verließ!</l><lb/> <l>Dir, der das ſchoͤnſte loos Natur und Gluͤk verhieß</l><lb/> <l>Eh dich des Himmels zorn in meine arme ſtieß,</l><lb/> <l>Dir bleibt (hier fieng er an vor wut und angſt zu bruͤllen)</l><lb/> <l>Bleibt nicht ſoviel — den Hunger nur zu ſtillen!</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">47. Laut</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0178]
44.
Mit unermuͤdetem fuß beſteigt der junge mann
Die klippen ringsumher, und ſchaut ſoweit er kann;
Ein ſchreckliches gemiſch von felſen und von kluͤften
Begegnet ſeinem blik, wohin er ſeufzend blinkt.
Da lokt kein ſaftigs gruͤn aus blumenvollen triften,
Da iſt kein baum, der ihm mit goldnen fruͤchten winkt!
Kaum daß noch heidekraut, und duͤnne brombeerhecken
Und diſteln hier und da den kahlen grund verſtecken.
45.
So ſoll ich, ruft er aus, und beißt vor wilder pein
Sich in die lippen, ach! ſo ſoll ich dann mit leeren
Troſtloſen haͤnden wiederkehren,
Zu ihr, fuͤr die mein leben noch allein
Erhaltenswuͤrdig war? Ich, ihre einzge ſtuͤtze,
Ich, der mit jedem herzensſchlag
Ihr angehoͤrt, bin nur um Einen tag
Ihr leben noch zu friſten ihr nicht nuͤtze!
46.
Verſchmachten ſoll ich dich vor meinem augen ſehn
Du Wunder der Natur, ſo liebevoll, ſo ſchoͤn!
Verſchmachten! Dich, die bloß um meinetwillen
So elend iſt! fuͤr mich ſo viel verließ!
Dir, der das ſchoͤnſte loos Natur und Gluͤk verhieß
Eh dich des Himmels zorn in meine arme ſtieß,
Dir bleibt (hier fieng er an vor wut und angſt zu bruͤllen)
Bleibt nicht ſoviel — den Hunger nur zu ſtillen!
47. Laut
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |