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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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56.
Auch sterben ist an deinem herzen süß;
Und dank dem Rächer, der in seinem grimme,
So streng er ist, doch diesen trost mir ließ!
Sie sagts mit schwacher halberstikter stimme,
Und sinkt an seine brust: so sinkt im sturm zerknikt
Der Lilie sterbend haupt. Von lieb und angst verrükt
Springt Hüon auf, und schließt die theure Seele
In seinen arm, und trägt sie nach der Höle.
57.
Ach! Einen tropfen wassers nur,
Gerechter Gott! schreyt er, halb ungeduldig,
Halbflehend, auf -- ich, ich allein, bin schuldig!
Mich treff allein dein zorn! mir werde die Natur
Ringsum zum grab, zum ofnen höllenrachen,
Nur schone Sie! O leit' auf einer Quelle spur
Den dunkeln fuß! Ein wenig Wassers nur
Ihr leben wieder anzufachen!
58.
Er geht aufs neu zu suchen aus, und schwört,
Sich eher selbst, von durst und hunger aufgezehrt,
In diesen felsen zu begraben,
Eh er mit leerer hand zur höle wiederkehrt.
Er, ruft er weinend, der die jungen raben
Die zu ihm schreyen, mit erbarmen hört,
Er kann sein schönstes werk, sein eigen bild, nicht hassen,
Er wird gewiß, gewiß, dich nicht verschmachten lassen!
59. Kaum
56.
Auch ſterben iſt an deinem herzen ſuͤß;
Und dank dem Raͤcher, der in ſeinem grimme,
So ſtreng er iſt, doch dieſen troſt mir ließ!
Sie ſagts mit ſchwacher halberſtikter ſtimme,
Und ſinkt an ſeine bruſt: ſo ſinkt im ſturm zerknikt
Der Lilie ſterbend haupt. Von lieb und angſt verruͤkt
Springt Huͤon auf, und ſchließt die theure Seele
In ſeinen arm, und traͤgt ſie nach der Hoͤle.
57.
Ach! Einen tropfen waſſers nur,
Gerechter Gott! ſchreyt er, halb ungeduldig,
Halbflehend, auf — ich, ich allein, bin ſchuldig!
Mich treff allein dein zorn! mir werde die Natur
Ringsum zum grab, zum ofnen hoͤllenrachen,
Nur ſchone Sie! O leit' auf einer Quelle ſpur
Den dunkeln fuß! Ein wenig Waſſers nur
Ihr leben wieder anzufachen!
58.
Er geht aufs neu zu ſuchen aus, und ſchwoͤrt,
Sich eher ſelbſt, von durſt und hunger aufgezehrt,
In dieſen felſen zu begraben,
Eh er mit leerer hand zur hoͤle wiederkehrt.
Er, ruft er weinend, der die jungen raben
Die zu ihm ſchreyen, mit erbarmen hoͤrt,
Er kann ſein ſchoͤnſtes werk, ſein eigen bild, nicht haſſen,
Er wird gewiß, gewiß, dich nicht verſchmachten laſſen!
59. Kaum
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[0182] 56. Auch ſterben iſt an deinem herzen ſuͤß; Und dank dem Raͤcher, der in ſeinem grimme, So ſtreng er iſt, doch dieſen troſt mir ließ! Sie ſagts mit ſchwacher halberſtikter ſtimme, Und ſinkt an ſeine bruſt: ſo ſinkt im ſturm zerknikt Der Lilie ſterbend haupt. Von lieb und angſt verruͤkt Springt Huͤon auf, und ſchließt die theure Seele In ſeinen arm, und traͤgt ſie nach der Hoͤle. 57. Ach! Einen tropfen waſſers nur, Gerechter Gott! ſchreyt er, halb ungeduldig, Halbflehend, auf — ich, ich allein, bin ſchuldig! Mich treff allein dein zorn! mir werde die Natur Ringsum zum grab, zum ofnen hoͤllenrachen, Nur ſchone Sie! O leit' auf einer Quelle ſpur Den dunkeln fuß! Ein wenig Waſſers nur Ihr leben wieder anzufachen! 58. Er geht aufs neu zu ſuchen aus, und ſchwoͤrt, Sich eher ſelbſt, von durſt und hunger aufgezehrt, In dieſen felſen zu begraben, Eh er mit leerer hand zur hoͤle wiederkehrt. Er, ruft er weinend, der die jungen raben Die zu ihm ſchreyen, mit erbarmen hoͤrt, Er kann ſein ſchoͤnſtes werk, ſein eigen bild, nicht haſſen, Er wird gewiß, gewiß, dich nicht verſchmachten laſſen! 59. Kaum

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/182>, abgerufen am 16.05.2024.