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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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3.
Und bricht der süßen frucht, soviel in seine taschen
Sich fassen ließ, springt dann herab, und fliegt,
Als gält's ein Reh in vollem lauf zu haschen,
Das holde Weib, das stets in seinem sinne liegt,
So wie sie munter wird, damit zu überraschen.
Noch lag sie, als er kam, schön in sich selbst geschmiegt,
In sanftem schlaf; ihr glühn wie rosen ihre wangen,
Und kaum hält ihr gewand den busen halb gefangen.
4.
Entzükt in süßes schau'n, den reinsten lieb'sgenuß,
Steht Hüon da, als wie der Genius
Der schönen Schläferin; betrachtet,
Auf sie herabgebükt, mit liebevollem geiz,
Das engelgleiche bild, den immer neuen reiz;
Dies ist, die, ihm zu lieb, ein glük für nichts geachtet,
Dem, wer's erreichen mag, sonst alles, unbedingt
Was theu'r und heilig ist, zum opfer bringt!
5.
"Um einen Thron hat Liebe dich betrogen!
Und, ach! wofür? Du, auf dem weichen schoos
Der Asiat'schen pracht wollüstig auferzogen,
Liegst nun auf hartem fels, der weite himmelsbogen
Dein Baldakin, dein bett' ein wenig moos;
Vor wittrung unbeschüzt, und jedem zufall bloß,
Noch glüklich, hier, wo disteln kaum bekleiben,
Mit etwas wilder frucht den hunger zu betäuben!"
6. Und
M 2
3.
Und bricht der ſuͤßen frucht, ſoviel in ſeine taſchen
Sich faſſen ließ, ſpringt dann herab, und fliegt,
Als gaͤlt's ein Reh in vollem lauf zu haſchen,
Das holde Weib, das ſtets in ſeinem ſinne liegt,
So wie ſie munter wird, damit zu uͤberraſchen.
Noch lag ſie, als er kam, ſchoͤn in ſich ſelbſt geſchmiegt,
In ſanftem ſchlaf; ihr gluͤhn wie roſen ihre wangen,
Und kaum haͤlt ihr gewand den buſen halb gefangen.
4.
Entzuͤkt in ſuͤßes ſchau'n, den reinſten lieb'sgenuß,
Steht Huͤon da, als wie der Genius
Der ſchoͤnen Schlaͤferin; betrachtet,
Auf ſie herabgebuͤkt, mit liebevollem geiz,
Das engelgleiche bild, den immer neuen reiz;
Dies iſt, die, ihm zu lieb, ein gluͤk fuͤr nichts geachtet,
Dem, wer's erreichen mag, ſonſt alles, unbedingt
Was theu'r und heilig iſt, zum opfer bringt!
5.
Um einen Thron hat Liebe dich betrogen!
Und, ach! wofuͤr? Du, auf dem weichen ſchoos
Der Aſiat'ſchen pracht wolluͤſtig auferzogen,
Liegſt nun auf hartem fels, der weite himmelsbogen
Dein Baldakin, dein bett' ein wenig moos;
Vor wittrung unbeſchuͤzt, und jedem zufall bloß,
Noch gluͤklich, hier, wo diſteln kaum bekleiben,
Mit etwas wilder frucht den hunger zu betaͤuben!“
6. Und
M 2
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[0185] 3. Und bricht der ſuͤßen frucht, ſoviel in ſeine taſchen Sich faſſen ließ, ſpringt dann herab, und fliegt, Als gaͤlt's ein Reh in vollem lauf zu haſchen, Das holde Weib, das ſtets in ſeinem ſinne liegt, So wie ſie munter wird, damit zu uͤberraſchen. Noch lag ſie, als er kam, ſchoͤn in ſich ſelbſt geſchmiegt, In ſanftem ſchlaf; ihr gluͤhn wie roſen ihre wangen, Und kaum haͤlt ihr gewand den buſen halb gefangen. 4. Entzuͤkt in ſuͤßes ſchau'n, den reinſten lieb'sgenuß, Steht Huͤon da, als wie der Genius Der ſchoͤnen Schlaͤferin; betrachtet, Auf ſie herabgebuͤkt, mit liebevollem geiz, Das engelgleiche bild, den immer neuen reiz; Dies iſt, die, ihm zu lieb, ein gluͤk fuͤr nichts geachtet, Dem, wer's erreichen mag, ſonſt alles, unbedingt Was theu'r und heilig iſt, zum opfer bringt! 5. „Um einen Thron hat Liebe dich betrogen! Und, ach! wofuͤr? Du, auf dem weichen ſchoos Der Aſiat'ſchen pracht wolluͤſtig auferzogen, Liegſt nun auf hartem fels, der weite himmelsbogen Dein Baldakin, dein bett' ein wenig moos; Vor wittrung unbeſchuͤzt, und jedem zufall bloß, Noch gluͤklich, hier, wo diſteln kaum bekleiben, Mit etwas wilder frucht den hunger zu betaͤuben!“ 6. Und M 2

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/185>, abgerufen am 22.12.2024.