Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.
33. Auf einmal grauet ihr vor diesen düstern schlünden,Worinn sie einst sich gern gefangen sah; Schnell muß aus ihrem aug' ein theil der klippen schwinden, Und ein Elysium steht blühend vor ihr da. Auf ihren leisen ruf erschienen Drey liebliche Sylfiden, die ihr dienen; Ein schwesterliches Drey, das ihren gram zerstreut, Und der Verlaßnen', mehr aus lieb als pflicht, sich weiht. 34. Das Paradies, das sich die ElfenköniginIn diese felsen schuf, war eben das; worinn Alfonso schon seit dreyßig jahren wohnte; Und, ihm unwissend, war's die grotte, wo sie thronte, Woraus ihm, durchs gebüsch vom nachtwind zugeführt, Der liebliche gesang, gleich Engelsstimmen, hallte; Sie war's, die ungesehn bey ihm vorüber wallte, Wenn er an seiner wang' ein geistig weh'n verspürt. 35. Auch unsre Liebenden, vom tag an, da die wogenAn dieses Eyland sie getragen, hatte sie Bemerkt, und täglich spät und früh Erkundigung von ihnen eingezogen. Oft stand sie selbst, wenn jene sich allein Vermeynten, ungesehn, sich näher zu belehren; Und was sie hört und sah gab ihr den zweifel ein, Ob sie vielleicht das paar, das sie erwartet, wären. 36. Je O 3
33. Auf einmal grauet ihr vor dieſen duͤſtern ſchluͤnden,Worinn ſie einſt ſich gern gefangen ſah; Schnell muß aus ihrem aug' ein theil der klippen ſchwinden, Und ein Elyſium ſteht bluͤhend vor ihr da. Auf ihren leiſen ruf erſchienen Drey liebliche Sylfiden, die ihr dienen; Ein ſchweſterliches Drey, das ihren gram zerſtreut, Und der Verlaßnen', mehr aus lieb als pflicht, ſich weiht. 34. Das Paradies, das ſich die ElfenkoͤniginIn dieſe felſen ſchuf, war eben das; worinn Alfonſo ſchon ſeit dreyßig jahren wohnte; Und, ihm unwiſſend, war's die grotte, wo ſie thronte, Woraus ihm, durchs gebuͤſch vom nachtwind zugefuͤhrt, Der liebliche geſang, gleich Engelsſtimmen, hallte; Sie war's, die ungeſehn bey ihm voruͤber wallte, Wenn er an ſeiner wang' ein geiſtig weh'n verſpuͤrt. 35. Auch unſre Liebenden, vom tag an, da die wogenAn dieſes Eyland ſie getragen, hatte ſie Bemerkt, und taͤglich ſpaͤt und fruͤh Erkundigung von ihnen eingezogen. Oft ſtand ſie ſelbſt, wenn jene ſich allein Vermeynten, ungeſehn, ſich naͤher zu belehren; Und was ſie hoͤrt und ſah gab ihr den zweifel ein, Ob ſie vielleicht das paar, das ſie erwartet, waͤren. 36. Je O 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0219"/> <lg n="33"> <head> <hi rendition="#c">33.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">A</hi>uf einmal grauet ihr vor dieſen duͤſtern ſchluͤnden,</l><lb/> <l>Worinn ſie einſt ſich gern gefangen ſah;</l><lb/> <l>Schnell muß aus ihrem aug' ein theil der klippen ſchwinden,</l><lb/> <l>Und ein Elyſium ſteht bluͤhend vor ihr da.</l><lb/> <l>Auf ihren leiſen ruf erſchienen</l><lb/> <l>Drey liebliche Sylfiden, die ihr dienen;</l><lb/> <l>Ein ſchweſterliches Drey, das ihren gram zerſtreut,</l><lb/> <l>Und der Verlaßnen', mehr aus lieb als pflicht, ſich weiht.</l> </lg><lb/> <lg n="34"> <head> <hi rendition="#c">34.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">D</hi>as Paradies, das ſich die Elfenkoͤnigin</l><lb/> <l>In dieſe felſen ſchuf, war eben das; worinn</l><lb/> <l>Alfonſo ſchon ſeit dreyßig jahren wohnte;</l><lb/> <l>Und, ihm unwiſſend, war's die grotte, wo ſie thronte,</l><lb/> <l>Woraus ihm, durchs gebuͤſch vom nachtwind zugefuͤhrt,</l><lb/> <l>Der liebliche geſang, gleich Engelsſtimmen, hallte;</l><lb/> <l>Sie war's, die ungeſehn bey ihm voruͤber wallte,</l><lb/> <l>Wenn er an ſeiner wang' ein geiſtig weh'n verſpuͤrt.</l> </lg><lb/> <lg n="35"> <head> <hi rendition="#c">35.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">A</hi>uch unſre Liebenden, vom tag an, da die wogen</l><lb/> <l>An dieſes Eyland ſie getragen, hatte ſie</l><lb/> <l>Bemerkt, und taͤglich ſpaͤt und fruͤh</l><lb/> <l>Erkundigung von ihnen eingezogen.</l><lb/> <l>Oft ſtand ſie ſelbſt, wenn jene ſich allein</l><lb/> <l>Vermeynten, ungeſehn, ſich naͤher zu belehren;</l><lb/> <l>Und was ſie hoͤrt und ſah gab ihr den zweifel ein,</l><lb/> <l>Ob ſie vielleicht das paar, das ſie erwartet, waͤren.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="sig">O 3</fw> <fw place="bottom" type="catch">36. Je</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0219]
33.
Auf einmal grauet ihr vor dieſen duͤſtern ſchluͤnden,
Worinn ſie einſt ſich gern gefangen ſah;
Schnell muß aus ihrem aug' ein theil der klippen ſchwinden,
Und ein Elyſium ſteht bluͤhend vor ihr da.
Auf ihren leiſen ruf erſchienen
Drey liebliche Sylfiden, die ihr dienen;
Ein ſchweſterliches Drey, das ihren gram zerſtreut,
Und der Verlaßnen', mehr aus lieb als pflicht, ſich weiht.
34.
Das Paradies, das ſich die Elfenkoͤnigin
In dieſe felſen ſchuf, war eben das; worinn
Alfonſo ſchon ſeit dreyßig jahren wohnte;
Und, ihm unwiſſend, war's die grotte, wo ſie thronte,
Woraus ihm, durchs gebuͤſch vom nachtwind zugefuͤhrt,
Der liebliche geſang, gleich Engelsſtimmen, hallte;
Sie war's, die ungeſehn bey ihm voruͤber wallte,
Wenn er an ſeiner wang' ein geiſtig weh'n verſpuͤrt.
35.
Auch unſre Liebenden, vom tag an, da die wogen
An dieſes Eyland ſie getragen, hatte ſie
Bemerkt, und taͤglich ſpaͤt und fruͤh
Erkundigung von ihnen eingezogen.
Oft ſtand ſie ſelbſt, wenn jene ſich allein
Vermeynten, ungeſehn, ſich naͤher zu belehren;
Und was ſie hoͤrt und ſah gab ihr den zweifel ein,
Ob ſie vielleicht das paar, das ſie erwartet, waͤren.
36. Je
O 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/219 |
| Zitationshilfe: | Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/219>, abgerufen am 16.05.2024. |
