Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.30. Schon siebenmal, seitdem TitaniaDies traurige leben führt, verjüngte sich die erde Ihr unbemerkt. Als wie auf einem opferheerde Liegt sie auf einem stein, den Tod erwartend, da; Der tag geht auf und sinkt; die holde schattensonne Beleuchtet zauberisch die felsen um sie her; Vergebens! Strömten auch die quellen aller wonne Auf einmal über sie, ihr herz blieb' wonneleer. 31. Das einz'ge, was ihr noch mit einem traum des schattensVon trost ihr ewig leid versüßt, Ist, daß vielleicht der zustand ihres Gattens Dem Ihren gleicht, und Er vielleicht noch härter büßt. Gewiß, noch liebt er sie, und o! wofern er liebet, Er, durch sich selbst verdammt zum schöpfer Ihrer pein Und seiner eignen quaal, wie elend muß er seyn! So elend, daß sie gern ihm ihren theil vergiebet! 32. Doch, da für jede seelenwundeWie tief sie brennt, die Zeit, die große trösterin, Den wahren balsam hat: so kam zulezt die stunde Auch bey Titania, da ihr verdumpfter sinn Sich allgemach entwölkt, ihr herz geduldiger leidet, Und ihre Fantasie in grün sich wieder kleidet: Sie giebt den schmeicheleyn der Hoffnung wieder raum, Und was unmöglich schien wird izt ihr Morgentraum. 33. Auf
30. Schon ſiebenmal, ſeitdem TitaniaDies traurige leben fuͤhrt, verjuͤngte ſich die erde Ihr unbemerkt. Als wie auf einem opferheerde Liegt ſie auf einem ſtein, den Tod erwartend, da; Der tag geht auf und ſinkt; die holde ſchattenſonne Beleuchtet zauberiſch die felſen um ſie her; Vergebens! Stroͤmten auch die quellen aller wonne Auf einmal uͤber ſie, ihr herz blieb' wonneleer. 31. Das einz'ge, was ihr noch mit einem traum des ſchattensVon troſt ihr ewig leid verſuͤßt, Iſt, daß vielleicht der zuſtand ihres Gattens Dem Ihren gleicht, und Er vielleicht noch haͤrter buͤßt. Gewiß, noch liebt er ſie, und o! wofern er liebet, Er, durch ſich ſelbſt verdammt zum ſchoͤpfer Ihrer pein Und ſeiner eignen quaal, wie elend muß er ſeyn! So elend, daß ſie gern ihm ihren theil vergiebet! 32. Doch, da fuͤr jede ſeelenwundeWie tief ſie brennt, die Zeit, die große troͤſterin, Den wahren balſam hat: ſo kam zulezt die ſtunde Auch bey Titania, da ihr verdumpfter ſinn Sich allgemach entwoͤlkt, ihr herz geduldiger leidet, Und ihre Fantaſie in gruͤn ſich wieder kleidet: Sie giebt den ſchmeicheleyn der Hoffnung wieder raum, Und was unmoͤglich ſchien wird izt ihr Morgentraum. 33. Auf
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0218"/> <lg n="30"> <head> <hi rendition="#c">30.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">S</hi>chon ſiebenmal, ſeitdem Titania</l><lb/> <l>Dies traurige leben fuͤhrt, verjuͤngte ſich die erde</l><lb/> <l>Ihr unbemerkt. Als wie auf einem opferheerde</l><lb/> <l>Liegt ſie auf einem ſtein, den Tod erwartend, da;</l><lb/> <l>Der tag geht auf und ſinkt; die holde ſchattenſonne</l><lb/> <l>Beleuchtet zauberiſch die felſen um ſie her;</l><lb/> <l>Vergebens! Stroͤmten auch die quellen aller wonne</l><lb/> <l>Auf einmal uͤber ſie, ihr herz blieb' wonneleer.</l> </lg><lb/> <lg n="31"> <head> <hi rendition="#c">31.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">D</hi>as einz'ge, was ihr noch mit einem traum des ſchattens</l><lb/> <l>Von troſt ihr ewig leid verſuͤßt,</l><lb/> <l>Iſt, daß vielleicht der zuſtand ihres Gattens</l><lb/> <l>Dem Ihren gleicht, und Er vielleicht noch haͤrter buͤßt.</l><lb/> <l>Gewiß, noch liebt er ſie, und o! wofern er liebet,</l><lb/> <l>Er, durch ſich ſelbſt verdammt zum ſchoͤpfer Ihrer pein</l><lb/> <l>Und ſeiner eignen quaal, wie elend muß er ſeyn!</l><lb/> <l>So elend, daß ſie gern ihm ihren theil vergiebet!</l> </lg><lb/> <lg n="32"> <head> <hi rendition="#c">32.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">D</hi>och, da fuͤr jede ſeelenwunde</l><lb/> <l>Wie tief ſie brennt, die Zeit, die große troͤſterin,</l><lb/> <l>Den wahren balſam hat: ſo kam zulezt die ſtunde</l><lb/> <l>Auch bey Titania, da ihr verdumpfter ſinn</l><lb/> <l>Sich allgemach entwoͤlkt, ihr herz geduldiger leidet,</l><lb/> <l>Und ihre Fantaſie in gruͤn ſich wieder kleidet:</l><lb/> <l>Sie giebt den ſchmeicheleyn der Hoffnung wieder raum,</l><lb/> <l>Und was unmoͤglich ſchien wird izt ihr Morgentraum.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">33. Auf</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0218]
30.
Schon ſiebenmal, ſeitdem Titania
Dies traurige leben fuͤhrt, verjuͤngte ſich die erde
Ihr unbemerkt. Als wie auf einem opferheerde
Liegt ſie auf einem ſtein, den Tod erwartend, da;
Der tag geht auf und ſinkt; die holde ſchattenſonne
Beleuchtet zauberiſch die felſen um ſie her;
Vergebens! Stroͤmten auch die quellen aller wonne
Auf einmal uͤber ſie, ihr herz blieb' wonneleer.
31.
Das einz'ge, was ihr noch mit einem traum des ſchattens
Von troſt ihr ewig leid verſuͤßt,
Iſt, daß vielleicht der zuſtand ihres Gattens
Dem Ihren gleicht, und Er vielleicht noch haͤrter buͤßt.
Gewiß, noch liebt er ſie, und o! wofern er liebet,
Er, durch ſich ſelbſt verdammt zum ſchoͤpfer Ihrer pein
Und ſeiner eignen quaal, wie elend muß er ſeyn!
So elend, daß ſie gern ihm ihren theil vergiebet!
32.
Doch, da fuͤr jede ſeelenwunde
Wie tief ſie brennt, die Zeit, die große troͤſterin,
Den wahren balſam hat: ſo kam zulezt die ſtunde
Auch bey Titania, da ihr verdumpfter ſinn
Sich allgemach entwoͤlkt, ihr herz geduldiger leidet,
Und ihre Fantaſie in gruͤn ſich wieder kleidet:
Sie giebt den ſchmeicheleyn der Hoffnung wieder raum,
Und was unmoͤglich ſchien wird izt ihr Morgentraum.
33. Auf
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |