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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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39.
Schnell überfiel sie dann ein wunderbares grauen,
Sie schlichen leise sich davon
Und keiner wollte sich der probe mehr getrauen.
Man weiß nicht, ob Amanda selbst es schon
Zuvor versucht; genug, sie konnte dem gedanken
Die erste, der's geglükt, zu seyn
Nicht widerstehn; sie schob die epheuranken
Mit leichter hand hinweg, und -- gieng hinein.
40.
Kaum sah sie sich darinn, so kam ein heimlich zittern
Sie an; sie sank auf einen weichen siz
Von rosen und von moos. Izt fühlt sie, bliz auf bliz,
Ein schneidend weh gebein und mark erschüttern.
Es gieng vorbey. Ein angenehm ermatten
Erfolgte drauf. Es ward wie mondenschein
Vor ihrem blik, der stets in tiefre schatten
Sich taucht', und, sanft sich selbst verlierend, schlief sie ein.
41.
Izt dämmern liebliche verworrene gestalten
In ihrem Innern auf, die bald vorüberfliehn,
Bald wunderbar sich in einander falten.
Ihr däucht, sie seh drey Engel vor ihr knien,
Und ihrverborgene Mysterien verwalten;
Und eine Frau, gehüllt in rosenfarbes licht,
Steh neben ihr, so oft der athem ihr gebricht
Ein büschel rosen ihr zum munde hinzuhalten.
42. Zum
O 4
39.
Schnell uͤberfiel ſie dann ein wunderbares grauen,
Sie ſchlichen leiſe ſich davon
Und keiner wollte ſich der probe mehr getrauen.
Man weiß nicht, ob Amanda ſelbſt es ſchon
Zuvor verſucht; genug, ſie konnte dem gedanken
Die erſte, der's gegluͤkt, zu ſeyn
Nicht widerſtehn; ſie ſchob die epheuranken
Mit leichter hand hinweg, und — gieng hinein.
40.
Kaum ſah ſie ſich darinn, ſo kam ein heimlich zittern
Sie an; ſie ſank auf einen weichen ſiz
Von roſen und von moos. Izt fuͤhlt ſie, bliz auf bliz,
Ein ſchneidend weh gebein und mark erſchuͤttern.
Es gieng vorbey. Ein angenehm ermatten
Erfolgte drauf. Es ward wie mondenſchein
Vor ihrem blik, der ſtets in tiefre ſchatten
Sich taucht', und, ſanft ſich ſelbſt verlierend, ſchlief ſie ein.
41.
Izt daͤmmern liebliche verworrene geſtalten
In ihrem Innern auf, die bald voruͤberfliehn,
Bald wunderbar ſich in einander falten.
Ihr daͤucht, ſie ſeh drey Engel vor ihr knien,
Und ihrverborgene Myſterien verwalten;
Und eine Frau, gehuͤllt in roſenfarbes licht,
Steh neben ihr, ſo oft der athem ihr gebricht
Ein buͤſchel roſen ihr zum munde hinzuhalten.
42. Zum
O 4
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[0221] 39. Schnell uͤberfiel ſie dann ein wunderbares grauen, Sie ſchlichen leiſe ſich davon Und keiner wollte ſich der probe mehr getrauen. Man weiß nicht, ob Amanda ſelbſt es ſchon Zuvor verſucht; genug, ſie konnte dem gedanken Die erſte, der's gegluͤkt, zu ſeyn Nicht widerſtehn; ſie ſchob die epheuranken Mit leichter hand hinweg, und — gieng hinein. 40. Kaum ſah ſie ſich darinn, ſo kam ein heimlich zittern Sie an; ſie ſank auf einen weichen ſiz Von roſen und von moos. Izt fuͤhlt ſie, bliz auf bliz, Ein ſchneidend weh gebein und mark erſchuͤttern. Es gieng vorbey. Ein angenehm ermatten Erfolgte drauf. Es ward wie mondenſchein Vor ihrem blik, der ſtets in tiefre ſchatten Sich taucht', und, ſanft ſich ſelbſt verlierend, ſchlief ſie ein. 41. Izt daͤmmern liebliche verworrene geſtalten In ihrem Innern auf, die bald voruͤberfliehn, Bald wunderbar ſich in einander falten. Ihr daͤucht, ſie ſeh drey Engel vor ihr knien, Und ihrverborgene Myſterien verwalten; Und eine Frau, gehuͤllt in roſenfarbes licht, Steh neben ihr, ſo oft der athem ihr gebricht Ein buͤſchel roſen ihr zum munde hinzuhalten. 42. Zum O 4

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/221>, abgerufen am 16.05.2024.