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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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42.
Zum leztenmal beklemmt ihr höherschlagend herz
Ein kurzer sanftgedämpfter schmerz;
Die bilder schwinden weg, und sie verliert sich wieder.
Doch bald, erwekt vom nachklang süßer lieder
Der halbverweht aus ihrem ohr entflieht,
Schlägt sie die augen auf, und sieht
Die drey nicht mehr, sieht nur die Königin der Feen
In ihrem rosenglanz sanftlächelnd vor ihr stehen.
43.
Auf ihren armen lag ein neugeboren kind.
Sie reichts Amanden hin, und, wie verweht vom wind,
Entschwebt die Göttin ihrem blicke;
Doch blieb noch lang ein rosenduft zurücke.
Im gleichen Nu erwacht Amand' aus ihrem traum,
Und strekt den arm empor, als wollte sie den saum
Des rosigten gewandes noch erfassen;
Umsonst! sie greift nach luft, und ist allein gelassen.
44.
Doch, einen pulsschlag noch, und wie unnennbar groß
Ist ihr erstaunen, ihr entzücken?
Kaum glaubt sie dem gefühl, kaum traut sie ihren blicken!
Sie fühlt sich ihrer bürde los,
Und zappelnd liegt auf ihrem sanften schoos
Der schönste Knabe, frisch wie ein morgenros'
Und wie die Liebe schön! Mit wonnevollem beben
Fühlt sie ihr herz sich ihm entgegenheben.
45. Sie
42.
Zum leztenmal beklemmt ihr hoͤherſchlagend herz
Ein kurzer ſanftgedaͤmpfter ſchmerz;
Die bilder ſchwinden weg, und ſie verliert ſich wieder.
Doch bald, erwekt vom nachklang ſuͤßer lieder
Der halbverweht aus ihrem ohr entflieht,
Schlaͤgt ſie die augen auf, und ſieht
Die drey nicht mehr, ſieht nur die Koͤnigin der Feen
In ihrem roſenglanz ſanftlaͤchelnd vor ihr ſtehen.
43.
Auf ihren armen lag ein neugeboren kind.
Sie reichts Amanden hin, und, wie verweht vom wind,
Entſchwebt die Goͤttin ihrem blicke;
Doch blieb noch lang ein roſenduft zuruͤcke.
Im gleichen Nu erwacht Amand' aus ihrem traum,
Und ſtrekt den arm empor, als wollte ſie den ſaum
Des roſigten gewandes noch erfaſſen;
Umſonſt! ſie greift nach luft, und iſt allein gelaſſen.
44.
Doch, einen pulsſchlag noch, und wie unnennbar groß
Iſt ihr erſtaunen, ihr entzuͤcken?
Kaum glaubt ſie dem gefuͤhl, kaum traut ſie ihren blicken!
Sie fuͤhlt ſich ihrer buͤrde los,
Und zappelnd liegt auf ihrem ſanften ſchoos
Der ſchoͤnſte Knabe, friſch wie ein morgenroſ'
Und wie die Liebe ſchoͤn! Mit wonnevollem beben
Fuͤhlt ſie ihr herz ſich ihm entgegenheben.
45. Sie
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[0222] 42. Zum leztenmal beklemmt ihr hoͤherſchlagend herz Ein kurzer ſanftgedaͤmpfter ſchmerz; Die bilder ſchwinden weg, und ſie verliert ſich wieder. Doch bald, erwekt vom nachklang ſuͤßer lieder Der halbverweht aus ihrem ohr entflieht, Schlaͤgt ſie die augen auf, und ſieht Die drey nicht mehr, ſieht nur die Koͤnigin der Feen In ihrem roſenglanz ſanftlaͤchelnd vor ihr ſtehen. 43. Auf ihren armen lag ein neugeboren kind. Sie reichts Amanden hin, und, wie verweht vom wind, Entſchwebt die Goͤttin ihrem blicke; Doch blieb noch lang ein roſenduft zuruͤcke. Im gleichen Nu erwacht Amand' aus ihrem traum, Und ſtrekt den arm empor, als wollte ſie den ſaum Des roſigten gewandes noch erfaſſen; Umſonſt! ſie greift nach luft, und iſt allein gelaſſen. 44. Doch, einen pulsſchlag noch, und wie unnennbar groß Iſt ihr erſtaunen, ihr entzuͤcken? Kaum glaubt ſie dem gefuͤhl, kaum traut ſie ihren blicken! Sie fuͤhlt ſich ihrer buͤrde los, Und zappelnd liegt auf ihrem ſanften ſchoos Der ſchoͤnſte Knabe, friſch wie ein morgenroſ' Und wie die Liebe ſchoͤn! Mit wonnevollem beben Fuͤhlt ſie ihr herz ſich ihm entgegenheben. 45. Sie

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/222>, abgerufen am 16.05.2024.