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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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12.
Amand' erwacht, erkennt an ihrem duft
Und rosenglanz, die nur allmählich schwanden,
Die göttergleiche Frau, die in der felsengruft
Gleich unverhofft ihr ehmals beygestanden.
Gerührt, beschämt von diesem neuen schuz,
Ergreift ihr herz mit dankbarlichem beben
Dies pfand von ihres sohns und ihres Hüons leben,
Und beut mit ihm nun jedem schiksal truz.
13.
Ach! wüßte sie, was ihr (zu ihrem glücke)
Verborgen bleibt, wie trostlos diese nacht
Ihr unglükselger Freund, mit siebenfachem stricke
An einen eichenstamm gebunden, zugebracht,
Wie bräch ihr herz! -- Und Er, vor dessen augenblitze
Nichts dunkel ist, der gute Schuzgeist, weilt?
Er steht, am quell des Nils, auf einer felsenspitze
Die, ewig unbewölkt, die reinsten lüfte theilt.
14.
Den ernsten blik dem Eyland zugekehrt,
Wo Hüon schmachtet, steht der Geisterfürst, und hört
Sein leises ächzen, das aus tiefer ferne
Zu ihm herüberbebt -- schaut nach dem Morgensterne,
Und hüllt sich seufzend ein. Da nähert, aus der Schaar
Der Geister, die theils einzeln, theils in Ringen,
Ihn überall begleiten und umschwingen,
Sich einer ihm, der sein Vertrauter war.
15. Er-
12.
Amand' erwacht, erkennt an ihrem duft
Und roſenglanz, die nur allmaͤhlich ſchwanden,
Die goͤttergleiche Frau, die in der felſengruft
Gleich unverhofft ihr ehmals beygeſtanden.
Geruͤhrt, beſchaͤmt von dieſem neuen ſchuz,
Ergreift ihr herz mit dankbarlichem beben
Dies pfand von ihres ſohns und ihres Huͤons leben,
Und beut mit ihm nun jedem ſchikſal truz.
13.
Ach! wuͤßte ſie, was ihr (zu ihrem gluͤcke)
Verborgen bleibt, wie troſtlos dieſe nacht
Ihr ungluͤkſelger Freund, mit ſiebenfachem ſtricke
An einen eichenſtamm gebunden, zugebracht,
Wie braͤch ihr herz! — Und Er, vor deſſen augenblitze
Nichts dunkel iſt, der gute Schuzgeiſt, weilt?
Er ſteht, am quell des Nils, auf einer felſenſpitze
Die, ewig unbewoͤlkt, die reinſten luͤfte theilt.
14.
Den ernſten blik dem Eyland zugekehrt,
Wo Huͤon ſchmachtet, ſteht der Geiſterfuͤrſt, und hoͤrt
Sein leiſes aͤchzen, das aus tiefer ferne
Zu ihm heruͤberbebt — ſchaut nach dem Morgenſterne,
Und huͤllt ſich ſeufzend ein. Da naͤhert, aus der Schaar
Der Geiſter, die theils einzeln, theils in Ringen,
Ihn uͤberall begleiten und umſchwingen,
Sich einer ihm, der ſein Vertrauter war.
15. Er-
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[0250] 12. Amand' erwacht, erkennt an ihrem duft Und roſenglanz, die nur allmaͤhlich ſchwanden, Die goͤttergleiche Frau, die in der felſengruft Gleich unverhofft ihr ehmals beygeſtanden. Geruͤhrt, beſchaͤmt von dieſem neuen ſchuz, Ergreift ihr herz mit dankbarlichem beben Dies pfand von ihres ſohns und ihres Huͤons leben, Und beut mit ihm nun jedem ſchikſal truz. 13. Ach! wuͤßte ſie, was ihr (zu ihrem gluͤcke) Verborgen bleibt, wie troſtlos dieſe nacht Ihr ungluͤkſelger Freund, mit ſiebenfachem ſtricke An einen eichenſtamm gebunden, zugebracht, Wie braͤch ihr herz! — Und Er, vor deſſen augenblitze Nichts dunkel iſt, der gute Schuzgeiſt, weilt? Er ſteht, am quell des Nils, auf einer felſenſpitze Die, ewig unbewoͤlkt, die reinſten luͤfte theilt. 14. Den ernſten blik dem Eyland zugekehrt, Wo Huͤon ſchmachtet, ſteht der Geiſterfuͤrſt, und hoͤrt Sein leiſes aͤchzen, das aus tiefer ferne Zu ihm heruͤberbebt — ſchaut nach dem Morgenſterne, Und huͤllt ſich ſeufzend ein. Da naͤhert, aus der Schaar Der Geiſter, die theils einzeln, theils in Ringen, Ihn uͤberall begleiten und umſchwingen, Sich einer ihm, der ſein Vertrauter war. 15. Er-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/250>, abgerufen am 16.05.2024.