Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.
39. Die Bilder, die ihm stets im sinne lagen,Beleben sich; er glaubt mit einem schwarm Von feinden sich ergrimmt herumzuschlagen; Dann sinkt er kraftlos hin, und drükt im kalten arm Die leiche seines Sohn's! Bald kämpft er mit den fluten, Hält die versinkende Geliebte nur am saum Des kleides noch; bald, fest an einen baum Gebunden, sieht er sie in Räuberarmen bluten. 40. Erschöpft von grimm und angst stürzt er aufs lager hinMit starrem blik. Dem treuen Scherasmin Kömmt seine Wissenschaft in dieser noth zu statten. Denn dazumal war's eines Knappen amt Die Heilkunst mit der kunst der Ritterschaft zu gatten, Ihm war sie schon vom Vater angestammt, Und viel geheimes ward auf seinen langen Reisen Ihm mitgetheilt von Rittern und von Weisen. 41. Er eilt, sobald der schöne morgensternAm himmel bleicht (indeß bey dem geliebten herrn Als wärterin sich Fatme emsig zeiget) Den gärten zu, worinn noch alles ruht und schweiget; Sucht kräuter auf, von deren wunderkraft Ein Eremit auf Horeb ihn belehret, Und drükt sie aus, und mischet einen saft, Der binnen kurzer frist dem stärksten fieber wehret. 24. Ein
39. Die Bilder, die ihm ſtets im ſinne lagen,Beleben ſich; er glaubt mit einem ſchwarm Von feinden ſich ergrimmt herumzuſchlagen; Dann ſinkt er kraftlos hin, und druͤkt im kalten arm Die leiche ſeines Sohn's! Bald kaͤmpft er mit den fluten, Haͤlt die verſinkende Geliebte nur am ſaum Des kleides noch; bald, feſt an einen baum Gebunden, ſieht er ſie in Raͤuberarmen bluten. 40. Erſchoͤpft von grimm und angſt ſtuͤrzt er aufs lager hinMit ſtarrem blik. Dem treuen Scherasmin Koͤmmt ſeine Wiſſenſchaft in dieſer noth zu ſtatten. Denn dazumal war's eines Knappen amt Die Heilkunſt mit der kunſt der Ritterſchaft zu gatten, Ihm war ſie ſchon vom Vater angeſtammt, Und viel geheimes ward auf ſeinen langen Reiſen Ihm mitgetheilt von Rittern und von Weiſen. 41. Er eilt, ſobald der ſchoͤne morgenſternAm himmel bleicht (indeß bey dem geliebten herrn Als waͤrterin ſich Fatme emſig zeiget) Den gaͤrten zu, worinn noch alles ruht und ſchweiget; Sucht kraͤuter auf, von deren wunderkraft Ein Eremit auf Horeb ihn belehret, Und druͤkt ſie aus, und miſchet einen ſaft, Der binnen kurzer friſt dem ſtaͤrkſten fieber wehret. 24. Ein
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0259"/> <lg n="39"> <head> <hi rendition="#c">39.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">D</hi>ie Bilder, die ihm ſtets im ſinne lagen,</l><lb/> <l>Beleben ſich; er glaubt mit einem ſchwarm</l><lb/> <l>Von feinden ſich ergrimmt herumzuſchlagen;</l><lb/> <l>Dann ſinkt er kraftlos hin, und druͤkt im kalten arm</l><lb/> <l>Die leiche ſeines Sohn's! Bald kaͤmpft er mit den fluten,</l><lb/> <l>Haͤlt die verſinkende Geliebte nur am ſaum</l><lb/> <l>Des kleides noch; bald, feſt an einen baum</l><lb/> <l>Gebunden, ſieht er ſie in Raͤuberarmen bluten.</l> </lg><lb/> <lg n="40"> <head> <hi rendition="#c">40.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">E</hi>rſchoͤpft von grimm und angſt ſtuͤrzt er aufs lager hin</l><lb/> <l>Mit ſtarrem blik. Dem treuen Scherasmin</l><lb/> <l>Koͤmmt ſeine Wiſſenſchaft in dieſer noth zu ſtatten.</l><lb/> <l>Denn dazumal war's eines Knappen amt</l><lb/> <l>Die Heilkunſt mit der kunſt der Ritterſchaft zu gatten,</l><lb/> <l>Ihm war ſie ſchon vom Vater angeſtammt,</l><lb/> <l>Und viel geheimes ward auf ſeinen langen Reiſen</l><lb/> <l>Ihm mitgetheilt von Rittern und von Weiſen.</l> </lg><lb/> <lg n="41"> <head> <hi rendition="#c">41.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">E</hi>r eilt, ſobald der ſchoͤne morgenſtern</l><lb/> <l>Am himmel bleicht (indeß bey dem geliebten herrn</l><lb/> <l>Als waͤrterin ſich Fatme emſig zeiget)</l><lb/> <l>Den gaͤrten zu, worinn noch alles ruht und ſchweiget;</l><lb/> <l>Sucht kraͤuter auf, von deren wunderkraft</l><lb/> <l>Ein Eremit auf Horeb ihn belehret,</l><lb/> <l>Und druͤkt ſie aus, und miſchet einen ſaft,</l><lb/> <l>Der binnen kurzer friſt dem ſtaͤrkſten fieber wehret.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">24. Ein</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0259]
39.
Die Bilder, die ihm ſtets im ſinne lagen,
Beleben ſich; er glaubt mit einem ſchwarm
Von feinden ſich ergrimmt herumzuſchlagen;
Dann ſinkt er kraftlos hin, und druͤkt im kalten arm
Die leiche ſeines Sohn's! Bald kaͤmpft er mit den fluten,
Haͤlt die verſinkende Geliebte nur am ſaum
Des kleides noch; bald, feſt an einen baum
Gebunden, ſieht er ſie in Raͤuberarmen bluten.
40.
Erſchoͤpft von grimm und angſt ſtuͤrzt er aufs lager hin
Mit ſtarrem blik. Dem treuen Scherasmin
Koͤmmt ſeine Wiſſenſchaft in dieſer noth zu ſtatten.
Denn dazumal war's eines Knappen amt
Die Heilkunſt mit der kunſt der Ritterſchaft zu gatten,
Ihm war ſie ſchon vom Vater angeſtammt,
Und viel geheimes ward auf ſeinen langen Reiſen
Ihm mitgetheilt von Rittern und von Weiſen.
41.
Er eilt, ſobald der ſchoͤne morgenſtern
Am himmel bleicht (indeß bey dem geliebten herrn
Als waͤrterin ſich Fatme emſig zeiget)
Den gaͤrten zu, worinn noch alles ruht und ſchweiget;
Sucht kraͤuter auf, von deren wunderkraft
Ein Eremit auf Horeb ihn belehret,
Und druͤkt ſie aus, und miſchet einen ſaft,
Der binnen kurzer friſt dem ſtaͤrkſten fieber wehret.
24. Ein
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/259 |
| Zitationshilfe: | Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/259>, abgerufen am 22.12.2024. |
