sten Weisen. Noch nicht zufrieden damit, fängt er einen neuen Kursus an; hier kommt aber zu seinem Unglück ein schönes Mädchen (die Mutter der Sakontula) zu ihm und nimmt so sehr seine Sinne gefangen, daß er 25 Jahr mit ihr ver¬ tändelt. Erwachend aus dieser Vergessenheit fängt er ein neues Jahrtausend strenger Büßungen an. Die Götter gerathen schon in Bangigkeit, er werde ihnen durch seine stupende Frömmigkeit neues Un¬ glück bereiten. Brahma gesteht ihm darauf das Prinzipat unter den obersten Weisen zu. Auf des Königs Frage, warum er noch nicht zu einem Brahma-Weisen ernannt werde, erklärt Brahma: noch hast du deine Leidenschaften, Zorn, Lust und Liebe nicht unterjocht.
Abermals beginnt er seine Uebungen; aber vergebens sucht ihn Indra durch das schönste Mäd¬ chen zur Liebe und durch allerhand Schelmenstreiche zum Aerger zu reizen. Nachdem der Chef der Weisen tausend Jahr lang geschwiegen, wird dem Gott Indra im Himmel bang um den Himmel. Er wendet sich an Brahma. In diesem großen Weisen, sagt er, ist nicht der kleinste Schatten einer Sünde mehr -- wenn das Verlangen seines Geistes nicht gestillt wird, wird er mit seiner Ab¬ straktion das ganze Universum zerstören. Die Ex¬ treme der Welt sind in Verwirrung, das Meer
ſten Weiſen. Noch nicht zufrieden damit, faͤngt er einen neuen Kurſus an; hier kommt aber zu ſeinem Ungluͤck ein ſchoͤnes Maͤdchen (die Mutter der Sakontula) zu ihm und nimmt ſo ſehr ſeine Sinne gefangen, daß er 25 Jahr mit ihr ver¬ taͤndelt. Erwachend aus dieſer Vergeſſenheit faͤngt er ein neues Jahrtauſend ſtrenger Buͤßungen an. Die Goͤtter gerathen ſchon in Bangigkeit, er werde ihnen durch ſeine ſtupende Froͤmmigkeit neues Un¬ gluͤck bereiten. Brahma geſteht ihm darauf das Prinzipat unter den oberſten Weiſen zu. Auf des Koͤnigs Frage, warum er noch nicht zu einem Brahma-Weiſen ernannt werde, erklaͤrt Brahma: noch haſt du deine Leidenſchaften, Zorn, Luſt und Liebe nicht unterjocht.
Abermals beginnt er ſeine Uebungen; aber vergebens ſucht ihn Indra durch das ſchoͤnſte Maͤd¬ chen zur Liebe und durch allerhand Schelmenſtreiche zum Aerger zu reizen. Nachdem der Chef der Weiſen tauſend Jahr lang geſchwiegen, wird dem Gott Indra im Himmel bang um den Himmel. Er wendet ſich an Brahma. In dieſem großen Weiſen, ſagt er, iſt nicht der kleinſte Schatten einer Suͤnde mehr — wenn das Verlangen ſeines Geiſtes nicht geſtillt wird, wird er mit ſeiner Ab¬ ſtraktion das ganze Univerſum zerſtoͤren. Die Ex¬ treme der Welt ſind in Verwirrung, das Meer
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ſten Weiſen. Noch nicht zufrieden damit, faͤngt
er einen neuen Kurſus an; hier kommt aber zu
ſeinem Ungluͤck ein ſchoͤnes Maͤdchen (die Mutter
der Sakontula) zu ihm und nimmt ſo ſehr ſeine
Sinne gefangen, daß er 25 Jahr mit ihr ver¬
taͤndelt. Erwachend aus dieſer Vergeſſenheit faͤngt
er ein neues Jahrtauſend ſtrenger Buͤßungen an.
Die Goͤtter gerathen ſchon in Bangigkeit, er werde
ihnen durch ſeine ſtupende Froͤmmigkeit neues Un¬
gluͤck bereiten. Brahma geſteht ihm darauf das
Prinzipat unter den oberſten Weiſen zu. Auf des
Koͤnigs Frage, warum er noch nicht zu einem
Brahma-Weiſen ernannt werde, erklaͤrt Brahma:
noch haſt du deine Leidenſchaften, Zorn, Luſt und
Liebe nicht unterjocht.
Abermals beginnt er ſeine Uebungen; aber
vergebens ſucht ihn Indra durch das ſchoͤnſte Maͤd¬
chen zur Liebe und durch allerhand Schelmenſtreiche
zum Aerger zu reizen. Nachdem der Chef der
Weiſen tauſend Jahr lang geſchwiegen, wird dem
Gott Indra im Himmel bang um den Himmel.
Er wendet ſich an Brahma. In dieſem großen
Weiſen, ſagt er, iſt nicht der kleinſte Schatten
einer Suͤnde mehr — wenn das Verlangen ſeines
Geiſtes nicht geſtillt wird, wird er mit ſeiner Ab¬
ſtraktion das ganze Univerſum zerſtoͤren. Die Ex¬
treme der Welt ſind in Verwirrung, das Meer
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/112>, abgerufen am 24.11.2024.
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