hervorrief. Ueber dem alten Götterhimmel wölbte sich ein neuer Himmel, und wenn einst der sinn¬ lich glückliche Grieche sich von seinen Göttern selbst über die irdische Seligkeit beneiden ließ, so schlug nun die Sehnsucht ihren Blick in die Höhe und die himmlische Seligkeit überstrahlte die irdi¬ sche, welche keine mehr war, sondern eine Prü¬ fung, ein vergänglicher Wandel, ein Leben im Fleisch, in dem das Böse wohnt und das ge¬ kreuzigt werden muß, damit das Leben im Geist beginne. Drängt sich uns danach die resigni¬ rende Natur der christlichen Weltanschauung auf, so gerathen wir doch nicht auf die irrthümliche Verwechselung der christlichen Resignation mit der indischen Negation des Sinnlichen. Diese hob nicht allein das Sinnliche, sondern mit dem Sinn¬ lichen das verwandte Geistige auf, während der resignirende Christ nur noch energischer und kräfti¬ ger die höhere Welt anstrebte und die gedemüthigte Seele wieder erhob und zu reineren Regionen mit sich fortriß. Balsam war sie für ihre Zeit; die gesunkene Menschheit richtete sich an ihr wieder auf und die Millionen Sclaven warfen ihre Fes¬ seln hin, um mit ihren Herren vor den Altar des Herrn aller Herren zu treten. So bemäch¬ tigte sie sich anfangs aller Geister, die hienieden nichts zu hoffen hatten, im Fortgang der irdi¬
hervorrief. Ueber dem alten Goͤtterhimmel woͤlbte ſich ein neuer Himmel, und wenn einſt der ſinn¬ lich gluͤckliche Grieche ſich von ſeinen Goͤttern ſelbſt uͤber die irdiſche Seligkeit beneiden ließ, ſo ſchlug nun die Sehnſucht ihren Blick in die Hoͤhe und die himmliſche Seligkeit uͤberſtrahlte die irdi¬ ſche, welche keine mehr war, ſondern eine Pruͤ¬ fung, ein vergaͤnglicher Wandel, ein Leben im Fleiſch, in dem das Boͤſe wohnt und das ge¬ kreuzigt werden muß, damit das Leben im Geiſt beginne. Draͤngt ſich uns danach die reſigni¬ rende Natur der chriſtlichen Weltanſchauung auf, ſo gerathen wir doch nicht auf die irrthuͤmliche Verwechſelung der chriſtlichen Reſignation mit der indiſchen Negation des Sinnlichen. Dieſe hob nicht allein das Sinnliche, ſondern mit dem Sinn¬ lichen das verwandte Geiſtige auf, waͤhrend der reſignirende Chriſt nur noch energiſcher und kraͤfti¬ ger die hoͤhere Welt anſtrebte und die gedemuͤthigte Seele wieder erhob und zu reineren Regionen mit ſich fortriß. Balſam war ſie fuͤr ihre Zeit; die geſunkene Menſchheit richtete ſich an ihr wieder auf und die Millionen Sclaven warfen ihre Feſ¬ ſeln hin, um mit ihren Herren vor den Altar des Herrn aller Herren zu treten. So bemaͤch¬ tigte ſie ſich anfangs aller Geiſter, die hienieden nichts zu hoffen hatten, im Fortgang der irdi¬
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hervorrief. Ueber dem alten Goͤtterhimmel woͤlbte
ſich ein neuer Himmel, und wenn einſt der ſinn¬
lich gluͤckliche Grieche ſich von ſeinen Goͤttern
ſelbſt uͤber die irdiſche Seligkeit beneiden ließ, ſo
ſchlug nun die Sehnſucht ihren Blick in die Hoͤhe
und die himmliſche Seligkeit uͤberſtrahlte die irdi¬
ſche, welche keine mehr war, ſondern eine Pruͤ¬
fung, ein vergaͤnglicher Wandel, ein Leben im
Fleiſch, in dem das Boͤſe wohnt und das ge¬
kreuzigt werden muß, damit das Leben im Geiſt
beginne. Draͤngt ſich uns danach die reſigni¬
rende Natur der chriſtlichen Weltanſchauung auf,
ſo gerathen wir doch nicht auf die irrthuͤmliche
Verwechſelung der chriſtlichen Reſignation mit der
indiſchen Negation des Sinnlichen. Dieſe hob
nicht allein das Sinnliche, ſondern mit dem Sinn¬
lichen das verwandte Geiſtige auf, waͤhrend der
reſignirende Chriſt nur noch energiſcher und kraͤfti¬
ger die hoͤhere Welt anſtrebte und die gedemuͤthigte
Seele wieder erhob und zu reineren Regionen mit
ſich fortriß. Balſam war ſie fuͤr ihre Zeit; die
geſunkene Menſchheit richtete ſich an ihr wieder
auf und die Millionen Sclaven warfen ihre Feſ¬
ſeln hin, um mit ihren Herren vor den Altar
des Herrn aller Herren zu treten. So bemaͤch¬
tigte ſie ſich anfangs aller Geiſter, die hienieden
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/124>, abgerufen am 24.11.2024.
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