eine, der vorhandenen unsichern Beurtheilung des Schönen in der Natur und Kunst vorgescho¬ bene und zum Dienst derselben bestimmte Wis¬ senschaft. Sehr richtig. Jeder abstrahirte nun die Gesetze des guten Geschmacks (ein Wort, das den Alten natürlicherweise nicht bekannt war, da ihr Schönheitssinn nicht allein guten Geschmack an Artistik und Poeterei, sondern auch am Leben bezeichnete, mit dem unser guter Geschmack gar nichts zu schaffen hat, Jeder, sage ich, abstrahirte die Gesetze des guten Geschmacks aus den ihm bekannten Poeten und Künstlern. Da nun das vorige Jahrhundert die Livree von Ludwig XIV. trug, so war man anfangs ziemlich einig über die echten Muster der Poesie und Kunst, und da¬ her auch über die Kunsterzeugnisse, welche bei der Abfassung jener steifzierlichen, französisch antiken Meisterwerke zur Richtschnur dienen sollten.
In Deutschland wurde solche Kritik des Ge¬ schmacks Aesthetik, und nur etwas langweiliger, gelehrter, philosophischer unter diesem Namen auf den Universitäten dozirt. Das durch Winckelmann wieder aufblühende Studium der Antike, die Be¬ kanntschaft mit Shakspeare, mit Kalderon und andern ausländischen Dichtern, mit dem romanti¬ schen Mittelalter, mit Indien und Persien zuletzt, alles dieses, was zur neuern Geschmacksbildung,
eine, der vorhandenen unſichern Beurtheilung des Schoͤnen in der Natur und Kunſt vorgeſcho¬ bene und zum Dienſt derſelben beſtimmte Wiſ¬ ſenſchaft. Sehr richtig. Jeder abſtrahirte nun die Geſetze des guten Geſchmacks (ein Wort, das den Alten natuͤrlicherweiſe nicht bekannt war, da ihr Schoͤnheitsſinn nicht allein guten Geſchmack an Artiſtik und Poeterei, ſondern auch am Leben bezeichnete, mit dem unſer guter Geſchmack gar nichts zu ſchaffen hat, Jeder, ſage ich, abſtrahirte die Geſetze des guten Geſchmacks aus den ihm bekannten Poeten und Kuͤnſtlern. Da nun das vorige Jahrhundert die Livree von Ludwig XIV. trug, ſo war man anfangs ziemlich einig uͤber die echten Muſter der Poeſie und Kunſt, und da¬ her auch uͤber die Kunſterzeugniſſe, welche bei der Abfaſſung jener ſteifzierlichen, franzoͤſiſch antiken Meiſterwerke zur Richtſchnur dienen ſollten.
In Deutſchland wurde ſolche Kritik des Ge¬ ſchmacks Aeſthetik, und nur etwas langweiliger, gelehrter, philoſophiſcher unter dieſem Namen auf den Univerſitaͤten dozirt. Das durch Winckelmann wieder aufbluͤhende Studium der Antike, die Be¬ kanntſchaft mit Shakſpeare, mit Kalderon und andern auslaͤndiſchen Dichtern, mit dem romanti¬ ſchen Mittelalter, mit Indien und Perſien zuletzt, alles dieſes, was zur neuern Geſchmacksbildung,
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eine, der vorhandenen unſichern Beurtheilung des
Schoͤnen in der Natur und Kunſt vorgeſcho¬
bene und zum Dienſt derſelben beſtimmte Wiſ¬
ſenſchaft. Sehr richtig. Jeder abſtrahirte nun
die Geſetze des guten Geſchmacks (ein Wort, das
den Alten natuͤrlicherweiſe nicht bekannt war, da
ihr Schoͤnheitsſinn nicht allein guten Geſchmack
an Artiſtik und Poeterei, ſondern auch am Leben
bezeichnete, mit dem unſer guter Geſchmack gar
nichts zu ſchaffen hat, Jeder, ſage ich, abſtrahirte
die Geſetze des guten Geſchmacks aus den ihm
bekannten Poeten und Kuͤnſtlern. Da nun das
vorige Jahrhundert die Livree von Ludwig XIV.
trug, ſo war man anfangs ziemlich einig uͤber
die echten Muſter der Poeſie und Kunſt, und da¬
her auch uͤber die Kunſterzeugniſſe, welche bei der
Abfaſſung jener ſteifzierlichen, franzoͤſiſch antiken
Meiſterwerke zur Richtſchnur dienen ſollten.
In Deutſchland wurde ſolche Kritik des Ge¬
ſchmacks Aeſthetik, und nur etwas langweiliger,
gelehrter, philoſophiſcher unter dieſem Namen auf
den Univerſitaͤten dozirt. Das durch Winckelmann
wieder aufbluͤhende Studium der Antike, die Be¬
kanntſchaft mit Shakſpeare, mit Kalderon und
andern auslaͤndiſchen Dichtern, mit dem romanti¬
ſchen Mittelalter, mit Indien und Perſien zuletzt,
alles dieſes, was zur neuern Geſchmacksbildung,
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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/151>, abgerufen am 21.11.2024.
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