Künste aber mitsammt den Schönheiten der Na¬ tur, schönen Weibern, schönen Blumen den gan¬ zen Inbegriff des Schönen ausfüllen.
Unsere Aesthetiker, wenn sie die Frage, was ist die Schönheit, aufwerfen, haben dabei fast nur die Proportionen des Gesichts und der mensch¬ lichen Gestalt vor Augen, und wenn sie diese be¬ sondere Schönheit in eine Definition gezwängt ha¬ ben, so glauben sie die Weihe der Aesthetik damit ertheilt zu haben, noch dazu schlug der Gott der Schönheit die Meisten mit Blindheit.
Uebereinstimmung der Theile erklären Viele als das Mysterium der Schönheit; wobei noch dazu die kläglichste Verirrung zur Einseitigkeit hinzutritt; denn die Theile eines Kamschadalen stimmen eben so gut überein, wie die Theile eines Antinous und überhaupt ist Proportion nichts weiter, als Maaß. Man kann alle Ver¬ hältnisse beobachten, jede Figur in so und so viel Kopflängen eintheilen, ohne doch eine schöne Gestalt zu Stande zu bringen. Die Schönheit liegt auch da wieder in etwas, was in der Defi¬ nition nicht liegt. Andere sprachen von der An¬ gemessenheit jedes einzelnen Theils zum Zweck des Ganzen. Aber Polyphems großes Stirnauge ist eben so gut zum Sehen geschickt, als Apolls, und so zweckmäßig auch und harmonisch mit dem gan¬
10 *
Kuͤnſte aber mitſammt den Schoͤnheiten der Na¬ tur, ſchoͤnen Weibern, ſchoͤnen Blumen den gan¬ zen Inbegriff des Schoͤnen ausfuͤllen.
Unſere Aeſthetiker, wenn ſie die Frage, was iſt die Schoͤnheit, aufwerfen, haben dabei faſt nur die Proportionen des Geſichts und der menſch¬ lichen Geſtalt vor Augen, und wenn ſie dieſe be¬ ſondere Schoͤnheit in eine Definition gezwaͤngt ha¬ ben, ſo glauben ſie die Weihe der Aeſthetik damit ertheilt zu haben, noch dazu ſchlug der Gott der Schoͤnheit die Meiſten mit Blindheit.
Uebereinſtimmung der Theile erklaͤren Viele als das Myſterium der Schoͤnheit; wobei noch dazu die klaͤglichſte Verirrung zur Einſeitigkeit hinzutritt; denn die Theile eines Kamſchadalen ſtimmen eben ſo gut uͤberein, wie die Theile eines Antinous und uͤberhaupt iſt Proportion nichts weiter, als Maaß. Man kann alle Ver¬ haͤltniſſe beobachten, jede Figur in ſo und ſo viel Kopflaͤngen eintheilen, ohne doch eine ſchoͤne Geſtalt zu Stande zu bringen. Die Schoͤnheit liegt auch da wieder in etwas, was in der Defi¬ nition nicht liegt. Andere ſprachen von der An¬ gemeſſenheit jedes einzelnen Theils zum Zweck des Ganzen. Aber Polyphems großes Stirnauge iſt eben ſo gut zum Sehen geſchickt, als Apolls, und ſo zweckmaͤßig auch und harmoniſch mit dem gan¬
10 *
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0161"n="147"/>
Kuͤnſte aber mitſammt den Schoͤnheiten der Na¬<lb/>
tur, ſchoͤnen Weibern, ſchoͤnen Blumen den gan¬<lb/>
zen Inbegriff des Schoͤnen ausfuͤllen.</p><lb/><p>Unſere Aeſthetiker, wenn ſie die Frage, was<lb/>
iſt die Schoͤnheit, aufwerfen, haben dabei faſt<lb/>
nur die Proportionen des Geſichts und der menſch¬<lb/>
lichen Geſtalt vor Augen, und wenn ſie dieſe be¬<lb/>ſondere Schoͤnheit in eine Definition gezwaͤngt ha¬<lb/>
ben, ſo glauben ſie die Weihe der Aeſthetik damit<lb/>
ertheilt zu haben, noch dazu ſchlug der Gott der<lb/>
Schoͤnheit die Meiſten mit Blindheit.</p><lb/><p>Uebereinſtimmung der Theile erklaͤren Viele<lb/>
als das Myſterium der Schoͤnheit; wobei noch<lb/>
dazu die klaͤglichſte Verirrung zur Einſeitigkeit<lb/>
hinzutritt; denn die Theile eines Kamſchadalen<lb/>ſtimmen eben ſo gut uͤberein, wie die Theile<lb/>
eines Antinous und uͤberhaupt iſt Proportion<lb/>
nichts weiter, als Maaß. Man kann alle Ver¬<lb/>
haͤltniſſe beobachten, jede Figur in ſo und ſo<lb/>
viel Kopflaͤngen eintheilen, ohne doch eine ſchoͤne<lb/>
Geſtalt zu Stande zu bringen. Die Schoͤnheit<lb/>
liegt auch da wieder in etwas, was in der Defi¬<lb/>
nition nicht liegt. <hirendition="#g">Andere</hi>ſprachen von der An¬<lb/>
gemeſſenheit jedes einzelnen Theils zum Zweck des<lb/>
Ganzen. Aber Polyphems großes Stirnauge iſt<lb/>
eben ſo gut zum Sehen geſchickt, als Apolls, und<lb/>ſo zweckmaͤßig auch und harmoniſch mit dem gan¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">10 *<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[147/0161]
Kuͤnſte aber mitſammt den Schoͤnheiten der Na¬
tur, ſchoͤnen Weibern, ſchoͤnen Blumen den gan¬
zen Inbegriff des Schoͤnen ausfuͤllen.
Unſere Aeſthetiker, wenn ſie die Frage, was
iſt die Schoͤnheit, aufwerfen, haben dabei faſt
nur die Proportionen des Geſichts und der menſch¬
lichen Geſtalt vor Augen, und wenn ſie dieſe be¬
ſondere Schoͤnheit in eine Definition gezwaͤngt ha¬
ben, ſo glauben ſie die Weihe der Aeſthetik damit
ertheilt zu haben, noch dazu ſchlug der Gott der
Schoͤnheit die Meiſten mit Blindheit.
Uebereinſtimmung der Theile erklaͤren Viele
als das Myſterium der Schoͤnheit; wobei noch
dazu die klaͤglichſte Verirrung zur Einſeitigkeit
hinzutritt; denn die Theile eines Kamſchadalen
ſtimmen eben ſo gut uͤberein, wie die Theile
eines Antinous und uͤberhaupt iſt Proportion
nichts weiter, als Maaß. Man kann alle Ver¬
haͤltniſſe beobachten, jede Figur in ſo und ſo
viel Kopflaͤngen eintheilen, ohne doch eine ſchoͤne
Geſtalt zu Stande zu bringen. Die Schoͤnheit
liegt auch da wieder in etwas, was in der Defi¬
nition nicht liegt. Andere ſprachen von der An¬
gemeſſenheit jedes einzelnen Theils zum Zweck des
Ganzen. Aber Polyphems großes Stirnauge iſt
eben ſo gut zum Sehen geſchickt, als Apolls, und
ſo zweckmaͤßig auch und harmoniſch mit dem gan¬
10 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/161>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.