lateinisch-deutschen Gelehrten, unter akademischen Kathedristen bekannt zu sein, bei seinem Eintritt ins große Publikum aber, so wie in gegenwärti¬ ger Zeit, von den Gelehrten fast verachtet, von süßlichen Schöngeistern erniedrigt und in der Mei¬ sten Munde bespöttelt zu werden. Es wäre in der That sehr zu wünschen, daß der Name und die ganze Behandlung dessen, was man unter die¬ sem Namen zusammenfaßte, in Deutschland gar nicht aufgekommen wäre. Das Gefühl des Schö¬ nen ist unter den Deutschen keineswegs so verbrei¬ tet, befestigt und veredelt, daß es geschützt und sicher genug wäre vor den erkältenden Einflüssen, womit dasselbe auf der einen Seite von dem höl¬ zernen Scepter der Schulgelehrsamkeit, auf der andern von dem leichtfertigen Geckenthum des Gallizismus bedroht wird. Die Aesthetik ist als Wissenschaft, für Deutschland viel zu früh gekom¬ men. Das Gefühl des Schönen muß sich vor Allem erst durch das Leben befruchten und bilden, wenn es in Büchern und Hörsälen würdig darge¬ stellt und ein wahrhaft integranter Theil der Phi¬ losophie werden soll. Das Schöne selbst aber schwebt nicht in der Luft, eben so wenig, wie die Blüthe und das Rosenblalt, es muß befestigt sein an einem Stamme, es muß Charakter haben und nichts fehlte zur Zeit, als Baumgarten seine Aesthe¬
lateiniſch-deutſchen Gelehrten, unter akademiſchen Kathedriſten bekannt zu ſein, bei ſeinem Eintritt ins große Publikum aber, ſo wie in gegenwaͤrti¬ ger Zeit, von den Gelehrten faſt verachtet, von ſuͤßlichen Schoͤngeiſtern erniedrigt und in der Mei¬ ſten Munde beſpoͤttelt zu werden. Es waͤre in der That ſehr zu wuͤnſchen, daß der Name und die ganze Behandlung deſſen, was man unter die¬ ſem Namen zuſammenfaßte, in Deutſchland gar nicht aufgekommen waͤre. Das Gefuͤhl des Schoͤ¬ nen iſt unter den Deutſchen keineswegs ſo verbrei¬ tet, befeſtigt und veredelt, daß es geſchuͤtzt und ſicher genug waͤre vor den erkaͤltenden Einfluͤſſen, womit daſſelbe auf der einen Seite von dem hoͤl¬ zernen Scepter der Schulgelehrſamkeit, auf der andern von dem leichtfertigen Geckenthum des Gallizismus bedroht wird. Die Aeſthetik iſt als Wiſſenſchaft, fuͤr Deutſchland viel zu fruͤh gekom¬ men. Das Gefuͤhl des Schoͤnen muß ſich vor Allem erſt durch das Leben befruchten und bilden, wenn es in Buͤchern und Hoͤrſaͤlen wuͤrdig darge¬ ſtellt und ein wahrhaft integranter Theil der Phi¬ loſophie werden ſoll. Das Schoͤne ſelbſt aber ſchwebt nicht in der Luft, eben ſo wenig, wie die Bluͤthe und das Roſenblalt, es muß befeſtigt ſein an einem Stamme, es muß Charakter haben und nichts fehlte zur Zeit, als Baumgarten ſeine Aeſthe¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0022"n="8"/>
lateiniſch-deutſchen Gelehrten, unter akademiſchen<lb/>
Kathedriſten bekannt zu ſein, bei ſeinem Eintritt<lb/>
ins große Publikum aber, ſo wie in gegenwaͤrti¬<lb/>
ger Zeit, von den Gelehrten faſt verachtet, von<lb/>ſuͤßlichen Schoͤngeiſtern erniedrigt und in der Mei¬<lb/>ſten Munde beſpoͤttelt zu werden. Es waͤre in<lb/>
der That ſehr zu wuͤnſchen, daß der Name und<lb/>
die ganze Behandlung deſſen, was man unter die¬<lb/>ſem Namen zuſammenfaßte, in Deutſchland gar<lb/>
nicht aufgekommen waͤre. Das Gefuͤhl des Schoͤ¬<lb/>
nen iſt unter den Deutſchen keineswegs ſo verbrei¬<lb/>
tet, befeſtigt und veredelt, daß es geſchuͤtzt und<lb/>ſicher genug waͤre vor den erkaͤltenden Einfluͤſſen,<lb/>
womit daſſelbe auf der einen Seite von dem hoͤl¬<lb/>
zernen Scepter der Schulgelehrſamkeit, auf der<lb/>
andern von dem leichtfertigen Geckenthum des<lb/>
Gallizismus bedroht wird. Die Aeſthetik iſt als<lb/>
Wiſſenſchaft, fuͤr Deutſchland viel zu fruͤh gekom¬<lb/>
men. Das Gefuͤhl des Schoͤnen muß ſich vor<lb/>
Allem erſt durch das Leben befruchten und bilden,<lb/>
wenn es in Buͤchern und Hoͤrſaͤlen wuͤrdig darge¬<lb/>ſtellt und ein wahrhaft integranter Theil der Phi¬<lb/>
loſophie werden ſoll. Das Schoͤne ſelbſt aber<lb/>ſchwebt nicht in der Luft, eben ſo wenig, wie die<lb/>
Bluͤthe und das Roſenblalt, es muß befeſtigt ſein<lb/>
an einem Stamme, es muß Charakter haben und<lb/>
nichts fehlte zur Zeit, als Baumgarten ſeine Aeſthe¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[8/0022]
lateiniſch-deutſchen Gelehrten, unter akademiſchen
Kathedriſten bekannt zu ſein, bei ſeinem Eintritt
ins große Publikum aber, ſo wie in gegenwaͤrti¬
ger Zeit, von den Gelehrten faſt verachtet, von
ſuͤßlichen Schoͤngeiſtern erniedrigt und in der Mei¬
ſten Munde beſpoͤttelt zu werden. Es waͤre in
der That ſehr zu wuͤnſchen, daß der Name und
die ganze Behandlung deſſen, was man unter die¬
ſem Namen zuſammenfaßte, in Deutſchland gar
nicht aufgekommen waͤre. Das Gefuͤhl des Schoͤ¬
nen iſt unter den Deutſchen keineswegs ſo verbrei¬
tet, befeſtigt und veredelt, daß es geſchuͤtzt und
ſicher genug waͤre vor den erkaͤltenden Einfluͤſſen,
womit daſſelbe auf der einen Seite von dem hoͤl¬
zernen Scepter der Schulgelehrſamkeit, auf der
andern von dem leichtfertigen Geckenthum des
Gallizismus bedroht wird. Die Aeſthetik iſt als
Wiſſenſchaft, fuͤr Deutſchland viel zu fruͤh gekom¬
men. Das Gefuͤhl des Schoͤnen muß ſich vor
Allem erſt durch das Leben befruchten und bilden,
wenn es in Buͤchern und Hoͤrſaͤlen wuͤrdig darge¬
ſtellt und ein wahrhaft integranter Theil der Phi¬
loſophie werden ſoll. Das Schoͤne ſelbſt aber
ſchwebt nicht in der Luft, eben ſo wenig, wie die
Bluͤthe und das Roſenblalt, es muß befeſtigt ſein
an einem Stamme, es muß Charakter haben und
nichts fehlte zur Zeit, als Baumgarten ſeine Aeſthe¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/22>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.