tik schrieb, der deutschen Nation mehr als diese. Nationalgefühl, muß dem Gefühl fürs Schöne, politische Bildung der ästhetischen vorausgehen. Ohne Kraft gibt es keine Gewandheit, ohne Cha¬ rakter keinen Ausdruck, ohne Ausdruck keine Schön¬ heit, weder im Stil des Bildhauers, noch im Stil des Schriftstellers. Beglückter war das grie¬ chische Volk, als wir. Es besaß freilich keine Aesthetik, aber dafür platonische Dialogen, worun¬ ter wahre Opfer an die Göttin der Schönheit, behandelten sie auch nicht, wie sie thun, das ka¬ lon kagathon als ihren Hauptgegenstand und iden¬ tifizirte ihr Urheber auch nicht, wie er thut, das Schöne mit dem ewig Einen, mit Gott selber. Unsere neuere Aesthetik beschränkt sich daher auch, aus Mangel an Lebensfülle, gänzlich auf das Schöne oder die Schönheiten in Poesie und Kunst und sind, wie auch viele den Namen führen, bloße Theorien der sogenannten schönen Künste und Wissenschaften, die zu Anfang einige vorläu¬ fige Definizionen vom Schönen, Erhabenen, An¬ muthigen, Witzigen u. s. w. aufstellen und dann allerlei und mancherlei aus der Geschichte und Technik der schönen Künste und Wissenschaften fol¬ gen lassen. Es gibt nur eine einzige Schrift über gewöhnliche Aesthetik, die genial und ästhetisch ist, die Jean Paulische, wie nur ein einziges Werk,
tik ſchrieb, der deutſchen Nation mehr als dieſe. Nationalgefuͤhl, muß dem Gefuͤhl fuͤrs Schoͤne, politiſche Bildung der aͤſthetiſchen vorausgehen. Ohne Kraft gibt es keine Gewandheit, ohne Cha¬ rakter keinen Ausdruck, ohne Ausdruck keine Schoͤn¬ heit, weder im Stil des Bildhauers, noch im Stil des Schriftſtellers. Begluͤckter war das grie¬ chiſche Volk, als wir. Es beſaß freilich keine Aeſthetik, aber dafuͤr platoniſche Dialogen, worun¬ ter wahre Opfer an die Goͤttin der Schoͤnheit, behandelten ſie auch nicht, wie ſie thun, das κα¬ λον κἀγαϑον als ihren Hauptgegenſtand und iden¬ tifizirte ihr Urheber auch nicht, wie er thut, das Schoͤne mit dem ewig Einen, mit Gott ſelber. Unſere neuere Aeſthetik beſchraͤnkt ſich daher auch, aus Mangel an Lebensfuͤlle, gaͤnzlich auf das Schoͤne oder die Schoͤnheiten in Poeſie und Kunſt und ſind, wie auch viele den Namen fuͤhren, bloße Theorien der ſogenannten ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, die zu Anfang einige vorlaͤu¬ fige Definizionen vom Schoͤnen, Erhabenen, An¬ muthigen, Witzigen u. ſ. w. aufſtellen und dann allerlei und mancherlei aus der Geſchichte und Technik der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften fol¬ gen laſſen. Es gibt nur eine einzige Schrift uͤber gewoͤhnliche Aeſthetik, die genial und aͤſthetiſch iſt, die Jean Pauliſche, wie nur ein einziges Werk,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0023"n="9"/>
tik ſchrieb, der deutſchen Nation mehr als dieſe.<lb/>
Nationalgefuͤhl, muß dem Gefuͤhl fuͤrs Schoͤne,<lb/>
politiſche Bildung der aͤſthetiſchen vorausgehen.<lb/>
Ohne Kraft gibt es keine Gewandheit, ohne Cha¬<lb/>
rakter keinen Ausdruck, ohne Ausdruck keine Schoͤn¬<lb/>
heit, weder im Stil des Bildhauers, noch im<lb/>
Stil des Schriftſtellers. Begluͤckter war das grie¬<lb/>
chiſche Volk, als wir. Es beſaß freilich keine<lb/>
Aeſthetik, aber dafuͤr platoniſche Dialogen, worun¬<lb/>
ter wahre Opfer an die Goͤttin der Schoͤnheit,<lb/>
behandelten ſie auch nicht, wie ſie thun, das κα¬<lb/>λονκἀγαϑον als ihren Hauptgegenſtand und iden¬<lb/>
tifizirte ihr Urheber auch nicht, wie er thut, das<lb/>
Schoͤne mit dem ewig Einen, mit Gott ſelber.<lb/>
Unſere neuere Aeſthetik beſchraͤnkt ſich daher auch,<lb/>
aus Mangel an Lebensfuͤlle, gaͤnzlich auf das<lb/>
Schoͤne oder die Schoͤnheiten in Poeſie und Kunſt<lb/>
und ſind, wie auch viele den Namen fuͤhren,<lb/>
bloße Theorien der ſogenannten ſchoͤnen Kuͤnſte<lb/>
und Wiſſenſchaften, die zu Anfang einige vorlaͤu¬<lb/>
fige Definizionen vom Schoͤnen, Erhabenen, An¬<lb/>
muthigen, Witzigen u. ſ. w. aufſtellen und dann<lb/>
allerlei und mancherlei aus der Geſchichte und<lb/>
Technik der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften fol¬<lb/>
gen laſſen. Es gibt nur eine einzige Schrift uͤber<lb/>
gewoͤhnliche Aeſthetik, die genial und aͤſthetiſch iſt,<lb/>
die Jean Pauliſche, wie nur ein einziges Werk,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[9/0023]
tik ſchrieb, der deutſchen Nation mehr als dieſe.
Nationalgefuͤhl, muß dem Gefuͤhl fuͤrs Schoͤne,
politiſche Bildung der aͤſthetiſchen vorausgehen.
Ohne Kraft gibt es keine Gewandheit, ohne Cha¬
rakter keinen Ausdruck, ohne Ausdruck keine Schoͤn¬
heit, weder im Stil des Bildhauers, noch im
Stil des Schriftſtellers. Begluͤckter war das grie¬
chiſche Volk, als wir. Es beſaß freilich keine
Aeſthetik, aber dafuͤr platoniſche Dialogen, worun¬
ter wahre Opfer an die Goͤttin der Schoͤnheit,
behandelten ſie auch nicht, wie ſie thun, das κα¬
λον κἀγαϑον als ihren Hauptgegenſtand und iden¬
tifizirte ihr Urheber auch nicht, wie er thut, das
Schoͤne mit dem ewig Einen, mit Gott ſelber.
Unſere neuere Aeſthetik beſchraͤnkt ſich daher auch,
aus Mangel an Lebensfuͤlle, gaͤnzlich auf das
Schoͤne oder die Schoͤnheiten in Poeſie und Kunſt
und ſind, wie auch viele den Namen fuͤhren,
bloße Theorien der ſogenannten ſchoͤnen Kuͤnſte
und Wiſſenſchaften, die zu Anfang einige vorlaͤu¬
fige Definizionen vom Schoͤnen, Erhabenen, An¬
muthigen, Witzigen u. ſ. w. aufſtellen und dann
allerlei und mancherlei aus der Geſchichte und
Technik der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften fol¬
gen laſſen. Es gibt nur eine einzige Schrift uͤber
gewoͤhnliche Aeſthetik, die genial und aͤſthetiſch iſt,
die Jean Pauliſche, wie nur ein einziges Werk,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/23>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.