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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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then und Früchten durchwächst. Goethe vergleicht
daher sehr richtig die französische Sprache mit
ausgeprägter Scheidemünze, die Jeder in der
Tasche bei sich trägt und der er sich auf das
Schnellste im Handel und Wandel bedienen kann,
die deutsche aber mit einer Goldbarre, die sich ein
Jeder erst münzen und prägen muß; woher es
auch ein gewöhnlicher Fall, daß der gemeinste
Franzose rasch und fließend spricht, da er seine
Wörter ungezählt nur so ausgibt, der Deutsche
aber, selbst der gebildete, sich nur selten so rund
und voll auszudrücken vermag, als er wohl wünscht.
Demselben Umstande hat die französische Prosa
ihre Vollkommenheit zu verdanken und sie, die
Prosa, ist es vor allen Dingen, was den Ruhm
und auch den Werth der französischen Literatur ge¬
gründet hat, obwohl darüber noch Manche im
Unklaren sind und die französische Poesie, die
Trauerspiele eines Corneille, Racine, die gereimten
Lustspiele eines Moliere, die Henriade eines Vol¬
taire u. s. w. für die einflußreichsten und am mei¬
sten klassischen Produkte der französischen Literatur
erachten. Ich weiß nicht, ob die Franzosen ein
rein poetisches Produkt zu Stande gebracht haben,
ich wüßte keins, wo nicht der Redner den Poe¬
ten überwöge, oder wenigstens ihm den Rang ab¬
zulaufen versuchte; selbst in der neuesten roman¬

then und Fruͤchten durchwaͤchſt. Goethe vergleicht
daher ſehr richtig die franzoͤſiſche Sprache mit
ausgepraͤgter Scheidemuͤnze, die Jeder in der
Taſche bei ſich traͤgt und der er ſich auf das
Schnellſte im Handel und Wandel bedienen kann,
die deutſche aber mit einer Goldbarre, die ſich ein
Jeder erſt muͤnzen und praͤgen muß; woher es
auch ein gewoͤhnlicher Fall, daß der gemeinſte
Franzoſe raſch und fließend ſpricht, da er ſeine
Woͤrter ungezaͤhlt nur ſo ausgibt, der Deutſche
aber, ſelbſt der gebildete, ſich nur ſelten ſo rund
und voll auszudruͤcken vermag, als er wohl wuͤnſcht.
Demſelben Umſtande hat die franzoͤſiſche Proſa
ihre Vollkommenheit zu verdanken und ſie, die
Proſa, iſt es vor allen Dingen, was den Ruhm
und auch den Werth der franzoͤſiſchen Literatur ge¬
gruͤndet hat, obwohl daruͤber noch Manche im
Unklaren ſind und die franzoͤſiſche Poeſie, die
Trauerſpiele eines Corneille, Racine, die gereimten
Luſtſpiele eines Moliere, die Henriade eines Vol¬
taire u. ſ. w. fuͤr die einflußreichſten und am mei¬
ſten klaſſiſchen Produkte der franzoͤſiſchen Literatur
erachten. Ich weiß nicht, ob die Franzoſen ein
rein poetiſches Produkt zu Stande gebracht haben,
ich wuͤßte keins, wo nicht der Redner den Poe¬
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[226/0240] then und Fruͤchten durchwaͤchſt. Goethe vergleicht daher ſehr richtig die franzoͤſiſche Sprache mit ausgepraͤgter Scheidemuͤnze, die Jeder in der Taſche bei ſich traͤgt und der er ſich auf das Schnellſte im Handel und Wandel bedienen kann, die deutſche aber mit einer Goldbarre, die ſich ein Jeder erſt muͤnzen und praͤgen muß; woher es auch ein gewoͤhnlicher Fall, daß der gemeinſte Franzoſe raſch und fließend ſpricht, da er ſeine Woͤrter ungezaͤhlt nur ſo ausgibt, der Deutſche aber, ſelbſt der gebildete, ſich nur ſelten ſo rund und voll auszudruͤcken vermag, als er wohl wuͤnſcht. Demſelben Umſtande hat die franzoͤſiſche Proſa ihre Vollkommenheit zu verdanken und ſie, die Proſa, iſt es vor allen Dingen, was den Ruhm und auch den Werth der franzoͤſiſchen Literatur ge¬ gruͤndet hat, obwohl daruͤber noch Manche im Unklaren ſind und die franzoͤſiſche Poeſie, die Trauerſpiele eines Corneille, Racine, die gereimten Luſtſpiele eines Moliere, die Henriade eines Vol¬ taire u. ſ. w. fuͤr die einflußreichſten und am mei¬ ſten klaſſiſchen Produkte der franzoͤſiſchen Literatur erachten. Ich weiß nicht, ob die Franzoſen ein rein poetiſches Produkt zu Stande gebracht haben, ich wuͤßte keins, wo nicht der Redner den Poe¬ ten uͤberwoͤge, oder wenigſtens ihm den Rang ab¬ zulaufen verſuchte; ſelbſt in der neueſten roman¬

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/240>, abgerufen am 24.11.2024.