the's Geist verkörperte sich auch in einen Wilhelm Meister, in einen Schenken Hafis und Gott weiß in welcherlei bunte Gestalten, die mit Faust's Tiefe nichts zu schaffen haben. Als Goethe den Faust empfunden und geschrieben hatte, schien es, als wüßte er nichts mehr von ihm, als kenne er ihn nicht mehr, als suche er ihn zu verläugnen und Alles auf jugendliche Ueberspannung zu schie¬ ben. Goethe's Fortsetzung des Faust paßt auf seinen frühern Faust, wie die Faust auf's Auge, und muß Einen, wenn man diesen zweiten Theil durchblättert, jene unendliche Wehmuth ergreifen, die das ganz veränderte und entstellte Bild einer Geliebten erregt, wenn man sie nach jahrelangem Zwischenraum wieder sieht. Faust ist der Hiob und das hohe Lied der Deutschen, er ist, wie ich diese Worte Heine's schon einmal angeführt, das deutsche Volk selbst, das geplagt und durchgemar¬ tert vom Wissen, Glauben und Entsagung an die Rechte des Fleisches appellirt, aus einem Schatten der Geschichte ein lebendiges Wesen, aus einem Träumer ein wachender, genießender Mensch wer¬ den will. Faust, der seine Studirstube und seine Studien historischer Pergamente verläßt, um sich der Welt zu nähern und der Welt Lust und Schmerzen in seiner Brust zu häufen, er ist der Deutsche, der den Staub des Mittelalters von
the's Geiſt verkoͤrperte ſich auch in einen Wilhelm Meiſter, in einen Schenken Hafis und Gott weiß in welcherlei bunte Geſtalten, die mit Fauſt's Tiefe nichts zu ſchaffen haben. Als Goethe den Fauſt empfunden und geſchrieben hatte, ſchien es, als wuͤßte er nichts mehr von ihm, als kenne er ihn nicht mehr, als ſuche er ihn zu verlaͤugnen und Alles auf jugendliche Ueberſpannung zu ſchie¬ ben. Goethe's Fortſetzung des Fauſt paßt auf ſeinen fruͤhern Fauſt, wie die Fauſt auf's Auge, und muß Einen, wenn man dieſen zweiten Theil durchblaͤttert, jene unendliche Wehmuth ergreifen, die das ganz veraͤnderte und entſtellte Bild einer Geliebten erregt, wenn man ſie nach jahrelangem Zwiſchenraum wieder ſieht. Fauſt iſt der Hiob und das hohe Lied der Deutſchen, er iſt, wie ich dieſe Worte Heine's ſchon einmal angefuͤhrt, das deutſche Volk ſelbſt, das geplagt und durchgemar¬ tert vom Wiſſen, Glauben und Entſagung an die Rechte des Fleiſches appellirt, aus einem Schatten der Geſchichte ein lebendiges Weſen, aus einem Traͤumer ein wachender, genießender Menſch wer¬ den will. Fauſt, der ſeine Studirſtube und ſeine Studien hiſtoriſcher Pergamente verlaͤßt, um ſich der Welt zu naͤhern und der Welt Luſt und Schmerzen in ſeiner Bruſt zu haͤufen, er iſt der Deutſche, der den Staub des Mittelalters von
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0281"n="267"/>
the's Geiſt verkoͤrperte ſich auch in einen Wilhelm<lb/>
Meiſter, in einen Schenken Hafis und Gott weiß<lb/>
in welcherlei bunte Geſtalten, die mit Fauſt's<lb/>
Tiefe nichts zu ſchaffen haben. Als Goethe den<lb/>
Fauſt empfunden und geſchrieben hatte, ſchien es,<lb/>
als wuͤßte er nichts mehr von ihm, als kenne er<lb/>
ihn nicht mehr, als ſuche er ihn zu verlaͤugnen<lb/>
und Alles auf jugendliche Ueberſpannung zu ſchie¬<lb/>
ben. Goethe's Fortſetzung des Fauſt paßt auf<lb/>ſeinen fruͤhern Fauſt, wie die Fauſt auf's Auge,<lb/>
und muß Einen, wenn man dieſen zweiten Theil<lb/>
durchblaͤttert, jene unendliche Wehmuth ergreifen,<lb/>
die das ganz veraͤnderte und entſtellte Bild einer<lb/>
Geliebten erregt, wenn man ſie nach jahrelangem<lb/>
Zwiſchenraum wieder ſieht. Fauſt iſt der Hiob<lb/>
und das hohe Lied der Deutſchen, er iſt, wie ich<lb/>
dieſe Worte Heine's ſchon einmal angefuͤhrt, das<lb/>
deutſche Volk ſelbſt, das geplagt und durchgemar¬<lb/>
tert vom Wiſſen, Glauben und Entſagung an die<lb/>
Rechte des Fleiſches appellirt, aus einem Schatten<lb/>
der Geſchichte ein lebendiges Weſen, aus einem<lb/>
Traͤumer ein wachender, genießender Menſch wer¬<lb/>
den will. Fauſt, der ſeine Studirſtube und ſeine<lb/>
Studien hiſtoriſcher Pergamente verlaͤßt, um ſich<lb/>
der Welt zu naͤhern und der Welt Luſt und<lb/>
Schmerzen in ſeiner Bruſt zu haͤufen, er iſt der<lb/>
Deutſche, der den Staub des Mittelalters von<lb/></p></div></body></text></TEI>
[267/0281]
the's Geiſt verkoͤrperte ſich auch in einen Wilhelm
Meiſter, in einen Schenken Hafis und Gott weiß
in welcherlei bunte Geſtalten, die mit Fauſt's
Tiefe nichts zu ſchaffen haben. Als Goethe den
Fauſt empfunden und geſchrieben hatte, ſchien es,
als wuͤßte er nichts mehr von ihm, als kenne er
ihn nicht mehr, als ſuche er ihn zu verlaͤugnen
und Alles auf jugendliche Ueberſpannung zu ſchie¬
ben. Goethe's Fortſetzung des Fauſt paßt auf
ſeinen fruͤhern Fauſt, wie die Fauſt auf's Auge,
und muß Einen, wenn man dieſen zweiten Theil
durchblaͤttert, jene unendliche Wehmuth ergreifen,
die das ganz veraͤnderte und entſtellte Bild einer
Geliebten erregt, wenn man ſie nach jahrelangem
Zwiſchenraum wieder ſieht. Fauſt iſt der Hiob
und das hohe Lied der Deutſchen, er iſt, wie ich
dieſe Worte Heine's ſchon einmal angefuͤhrt, das
deutſche Volk ſelbſt, das geplagt und durchgemar¬
tert vom Wiſſen, Glauben und Entſagung an die
Rechte des Fleiſches appellirt, aus einem Schatten
der Geſchichte ein lebendiges Weſen, aus einem
Traͤumer ein wachender, genießender Menſch wer¬
den will. Fauſt, der ſeine Studirſtube und ſeine
Studien hiſtoriſcher Pergamente verlaͤßt, um ſich
der Welt zu naͤhern und der Welt Luſt und
Schmerzen in ſeiner Bruſt zu haͤufen, er iſt der
Deutſche, der den Staub des Mittelalters von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/281>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.