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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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und künftiger Pair des Reichs, früh bewundert
und beneidet war. Ich will kurz sein mit seiner
Geschichte, um Goethe, der den Gang seines Le¬
bens und Charakters geschildert hat, für mich re¬
den zu lassen. Es ist wunderbar, wie dasselbe
Land, Griechenland, des alten Meisters Leiden¬
schaft beschwichtigte und ihn zu Kunst und Alter¬
thum führte, was den Jünger erst in diese Leiden¬
schaft hineinriß, oder vielmehr die Leidenschaft, die
in ihm schlummerte, ihn bewußt werden ließ.
Erst als Byron kaum in den Zwanzigern die
Kreideküste Englands verlassen und in den griechi¬
schen Buchten und Inseln sich umhertrieb, kam jener
Geist der Poesie über ihn und ließ ihn in einer
Zunge reden, die er früher, unter den Lords und
Damen der englischen Gesellschaft kaum verstan¬
den hatte. Haß gegen Aristokratie, Tyrannei, Ka¬
stengeist, Unnatur der Sitte, Pfaffenthum, dage¬
gen Liebe zur Freiheit, ungebundenes Streben,
griechisch-heitre Ansicht des Lebens und der Liebe,
verbunden mit den Gefühlen der Ehre und Sitt¬
lichkeit, selbst mit dem Bewußtsein alten Adels
und vormaligen feudalen Geschlechtsglanzes bilde¬
ten die Grundelemente seiner Poesie, worin Goe¬
the mit tiefem Blick ein Kind des Griechenthums
und des Mittelalters gesehen hat. Byron war
der einzige revolutionaire Dichter, den Goethe an¬

und kuͤnftiger Pair des Reichs, fruͤh bewundert
und beneidet war. Ich will kurz ſein mit ſeiner
Geſchichte, um Goethe, der den Gang ſeines Le¬
bens und Charakters geſchildert hat, fuͤr mich re¬
den zu laſſen. Es iſt wunderbar, wie daſſelbe
Land, Griechenland, des alten Meiſters Leiden¬
ſchaft beſchwichtigte und ihn zu Kunſt und Alter¬
thum fuͤhrte, was den Juͤnger erſt in dieſe Leiden¬
ſchaft hineinriß, oder vielmehr die Leidenſchaft, die
in ihm ſchlummerte, ihn bewußt werden ließ.
Erſt als Byron kaum in den Zwanzigern die
Kreidekuͤſte Englands verlaſſen und in den griechi¬
ſchen Buchten und Inſeln ſich umhertrieb, kam jener
Geiſt der Poeſie uͤber ihn und ließ ihn in einer
Zunge reden, die er fruͤher, unter den Lords und
Damen der engliſchen Geſellſchaft kaum verſtan¬
den hatte. Haß gegen Ariſtokratie, Tyrannei, Ka¬
ſtengeiſt, Unnatur der Sitte, Pfaffenthum, dage¬
gen Liebe zur Freiheit, ungebundenes Streben,
griechiſch-heitre Anſicht des Lebens und der Liebe,
verbunden mit den Gefuͤhlen der Ehre und Sitt¬
lichkeit, ſelbſt mit dem Bewußtſein alten Adels
und vormaligen feudalen Geſchlechtsglanzes bilde¬
ten die Grundelemente ſeiner Poeſie, worin Goe¬
the mit tiefem Blick ein Kind des Griechenthums
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[278/0292] und kuͤnftiger Pair des Reichs, fruͤh bewundert und beneidet war. Ich will kurz ſein mit ſeiner Geſchichte, um Goethe, der den Gang ſeines Le¬ bens und Charakters geſchildert hat, fuͤr mich re¬ den zu laſſen. Es iſt wunderbar, wie daſſelbe Land, Griechenland, des alten Meiſters Leiden¬ ſchaft beſchwichtigte und ihn zu Kunſt und Alter¬ thum fuͤhrte, was den Juͤnger erſt in dieſe Leiden¬ ſchaft hineinriß, oder vielmehr die Leidenſchaft, die in ihm ſchlummerte, ihn bewußt werden ließ. Erſt als Byron kaum in den Zwanzigern die Kreidekuͤſte Englands verlaſſen und in den griechi¬ ſchen Buchten und Inſeln ſich umhertrieb, kam jener Geiſt der Poeſie uͤber ihn und ließ ihn in einer Zunge reden, die er fruͤher, unter den Lords und Damen der engliſchen Geſellſchaft kaum verſtan¬ den hatte. Haß gegen Ariſtokratie, Tyrannei, Ka¬ ſtengeiſt, Unnatur der Sitte, Pfaffenthum, dage¬ gen Liebe zur Freiheit, ungebundenes Streben, griechiſch-heitre Anſicht des Lebens und der Liebe, verbunden mit den Gefuͤhlen der Ehre und Sitt¬ lichkeit, ſelbſt mit dem Bewußtſein alten Adels und vormaligen feudalen Geſchlechtsglanzes bilde¬ ten die Grundelemente ſeiner Poeſie, worin Goe¬ the mit tiefem Blick ein Kind des Griechenthums und des Mittelalters geſehen hat. Byron war der einzige revolutionaire Dichter, den Goethe an¬

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/292>, abgerufen am 21.11.2024.