digten, sie können die Natur nicht über die Kunst vergessen machen, sie können nicht immer so zart und ätherisch dahinschweben, die Wahrheit und Wirklichkeit hat sich ihnen zu gewaltig aufgedrun¬ gen, und mit dieser, das ist ihre Schicksalsauf¬ gabe, mit dieser muß ihre Kraft so lange ringen, bis das Wirkliche nicht mehr das Gemeine, das dem Ideellen feindlich Entgegengesetzte ist. Daher begreifen sie auch, woher diese Quelle der Behag¬ lichkeit, welche über Goethe's Kunstprosa, über Jean Pauls Humor so ruhig und lieblich hin¬ fließt, und der selbst diesem, so unkünstlerisch er auch zu Werke geht, weit mehr die Empfindung der Ruhe und Befriedigung mittheilt, welche mit dem Anschauen klassischer Werke verknüpft ist, als den Heineschen Kunstprodukten.
Ich würde in Verlegenheit gerathen, sollte ich im einzelsten Einzelnen an einem Satz, einer Periode das Gesagte nachweisen, nichtsdestoweni¬ ger ist eben dieser verschiedene Charakter im Gan¬ zen, Großen, allen prosaischen Werken dieser und jener Zeit aufgedrückt. Die neue Prosa ist von der einen Seite vulgairer geworden, sie verräth ihren Ursprung aus, ihre Gemeinschaft mit dem Leben, von der andern Seite aber kühner, schär¬ fer, neuer an Wendungen, sie verräth ihren krie¬ gerischen Charakter, ihren Kampf mit der Wirk¬
digten, ſie koͤnnen die Natur nicht uͤber die Kunſt vergeſſen machen, ſie koͤnnen nicht immer ſo zart und aͤtheriſch dahinſchweben, die Wahrheit und Wirklichkeit hat ſich ihnen zu gewaltig aufgedrun¬ gen, und mit dieſer, das iſt ihre Schickſalsauf¬ gabe, mit dieſer muß ihre Kraft ſo lange ringen, bis das Wirkliche nicht mehr das Gemeine, das dem Ideellen feindlich Entgegengeſetzte iſt. Daher begreifen ſie auch, woher dieſe Quelle der Behag¬ lichkeit, welche uͤber Goethe's Kunſtproſa, uͤber Jean Pauls Humor ſo ruhig und lieblich hin¬ fließt, und der ſelbſt dieſem, ſo unkuͤnſtleriſch er auch zu Werke geht, weit mehr die Empfindung der Ruhe und Befriedigung mittheilt, welche mit dem Anſchauen klaſſiſcher Werke verknuͤpft iſt, als den Heineſchen Kunſtprodukten.
Ich wuͤrde in Verlegenheit gerathen, ſollte ich im einzelſten Einzelnen an einem Satz, einer Periode das Geſagte nachweiſen, nichtsdeſtoweni¬ ger iſt eben dieſer verſchiedene Charakter im Gan¬ zen, Großen, allen proſaiſchen Werken dieſer und jener Zeit aufgedruͤckt. Die neue Proſa iſt von der einen Seite vulgairer geworden, ſie verraͤth ihren Urſprung aus, ihre Gemeinſchaft mit dem Leben, von der andern Seite aber kuͤhner, ſchaͤr¬ fer, neuer an Wendungen, ſie verraͤth ihren krie¬ geriſchen Charakter, ihren Kampf mit der Wirk¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0313"n="299"/>
digten, ſie koͤnnen die Natur nicht uͤber die Kunſt<lb/>
vergeſſen machen, ſie koͤnnen nicht immer ſo zart<lb/>
und aͤtheriſch dahinſchweben, die Wahrheit und<lb/>
Wirklichkeit hat ſich ihnen zu gewaltig aufgedrun¬<lb/>
gen, und mit dieſer, das iſt ihre Schickſalsauf¬<lb/>
gabe, mit dieſer muß ihre Kraft ſo lange ringen,<lb/>
bis das Wirkliche nicht mehr das Gemeine, das<lb/>
dem Ideellen feindlich Entgegengeſetzte iſt. Daher<lb/>
begreifen ſie auch, woher dieſe Quelle der Behag¬<lb/>
lichkeit, welche uͤber Goethe's Kunſtproſa, uͤber<lb/>
Jean Pauls Humor ſo ruhig und lieblich hin¬<lb/>
fließt, und der ſelbſt dieſem, ſo unkuͤnſtleriſch er<lb/>
auch zu Werke geht, weit mehr die Empfindung<lb/>
der Ruhe und Befriedigung mittheilt, welche mit<lb/>
dem Anſchauen klaſſiſcher Werke verknuͤpft iſt, als<lb/>
den Heineſchen Kunſtprodukten.</p><lb/><p>Ich wuͤrde in Verlegenheit gerathen, ſollte<lb/>
ich im einzelſten Einzelnen an einem Satz, einer<lb/>
Periode das Geſagte nachweiſen, nichtsdeſtoweni¬<lb/>
ger iſt eben dieſer verſchiedene Charakter im Gan¬<lb/>
zen, Großen, allen proſaiſchen Werken dieſer und<lb/>
jener Zeit aufgedruͤckt. Die neue Proſa iſt von<lb/>
der einen Seite vulgairer geworden, ſie verraͤth<lb/>
ihren Urſprung aus, ihre Gemeinſchaft mit dem<lb/>
Leben, von der andern Seite aber kuͤhner, ſchaͤr¬<lb/>
fer, neuer an Wendungen, ſie verraͤth ihren krie¬<lb/>
geriſchen Charakter, ihren Kampf mit der Wirk¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[299/0313]
digten, ſie koͤnnen die Natur nicht uͤber die Kunſt
vergeſſen machen, ſie koͤnnen nicht immer ſo zart
und aͤtheriſch dahinſchweben, die Wahrheit und
Wirklichkeit hat ſich ihnen zu gewaltig aufgedrun¬
gen, und mit dieſer, das iſt ihre Schickſalsauf¬
gabe, mit dieſer muß ihre Kraft ſo lange ringen,
bis das Wirkliche nicht mehr das Gemeine, das
dem Ideellen feindlich Entgegengeſetzte iſt. Daher
begreifen ſie auch, woher dieſe Quelle der Behag¬
lichkeit, welche uͤber Goethe's Kunſtproſa, uͤber
Jean Pauls Humor ſo ruhig und lieblich hin¬
fließt, und der ſelbſt dieſem, ſo unkuͤnſtleriſch er
auch zu Werke geht, weit mehr die Empfindung
der Ruhe und Befriedigung mittheilt, welche mit
dem Anſchauen klaſſiſcher Werke verknuͤpft iſt, als
den Heineſchen Kunſtprodukten.
Ich wuͤrde in Verlegenheit gerathen, ſollte
ich im einzelſten Einzelnen an einem Satz, einer
Periode das Geſagte nachweiſen, nichtsdeſtoweni¬
ger iſt eben dieſer verſchiedene Charakter im Gan¬
zen, Großen, allen proſaiſchen Werken dieſer und
jener Zeit aufgedruͤckt. Die neue Proſa iſt von
der einen Seite vulgairer geworden, ſie verraͤth
ihren Urſprung aus, ihre Gemeinſchaft mit dem
Leben, von der andern Seite aber kuͤhner, ſchaͤr¬
fer, neuer an Wendungen, ſie verraͤth ihren krie¬
geriſchen Charakter, ihren Kampf mit der Wirk¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/313>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.