eine bestimmte Gemüths- und Lebensrichtung den Strahlen des Witzes verleiht. Der Witz an sich ist ein geistiges Quecksilber, das in tausend Kügel¬ chen über die Papierfläche rollt, ein scherzender Schmetterling, der von Blume zu Blume fliegt, ein ungewisser Strahl, der sich in Luft und Was¬ ser bricht und das reinste Krystall, wie die trübste Glasscheibe durchflittert und vergoldet. Der Witz an sich ist der Diener aller Herren, der Dummen ausgenommen, aber nicht der Schlechten, nicht der Servilen; denn er kehrt sich nicht an Herz und Gesinnung, sondern nur an den Verstand und ein elender Saphir, ein Mensch, den man durch Furcht dahin bringen kann, die Peitsche zu küssen, die ihn gezüchtigt hat, kann einen Washing¬ ton, einen Lafayette an Witz besiegen und über¬ flügeln.
Nur wenn der Witz sich mit edlerem Ver¬ mögen paart, wenn er phantasiereichen und ge¬ müthvollen Menschen zu Gebot steht, wenn er ei¬ nem Jean Paul dient, Himmel und Erde, Ver¬ gangenheit und Zukunft mit einander zu verknüpfen, kann er dem ernsteren Deutschen gefallen: um uns am Witze nicht zu ärgern, muß uns der Charak¬ ter des Witzigen nicht ärgerlich sein, um uns am Spiel des Witzes zu ergötzen, müssen wir ihn über der Tiefe des Ernstes schweben sehen. Das
eine beſtimmte Gemuͤths- und Lebensrichtung den Strahlen des Witzes verleiht. Der Witz an ſich iſt ein geiſtiges Queckſilber, das in tauſend Kuͤgel¬ chen uͤber die Papierflaͤche rollt, ein ſcherzender Schmetterling, der von Blume zu Blume fliegt, ein ungewiſſer Strahl, der ſich in Luft und Waſ¬ ſer bricht und das reinſte Kryſtall, wie die truͤbſte Glasſcheibe durchflittert und vergoldet. Der Witz an ſich iſt der Diener aller Herren, der Dummen ausgenommen, aber nicht der Schlechten, nicht der Servilen; denn er kehrt ſich nicht an Herz und Geſinnung, ſondern nur an den Verſtand und ein elender Saphir, ein Menſch, den man durch Furcht dahin bringen kann, die Peitſche zu kuͤſſen, die ihn gezuͤchtigt hat, kann einen Waſhing¬ ton, einen Lafayette an Witz beſiegen und uͤber¬ fluͤgeln.
Nur wenn der Witz ſich mit edlerem Ver¬ moͤgen paart, wenn er phantaſiereichen und ge¬ muͤthvollen Menſchen zu Gebot ſteht, wenn er ei¬ nem Jean Paul dient, Himmel und Erde, Ver¬ gangenheit und Zukunft mit einander zu verknuͤpfen, kann er dem ernſteren Deutſchen gefallen: um uns am Witze nicht zu aͤrgern, muß uns der Charak¬ ter des Witzigen nicht aͤrgerlich ſein, um uns am Spiel des Witzes zu ergoͤtzen, muͤſſen wir ihn uͤber der Tiefe des Ernſtes ſchweben ſehen. Das
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0318"n="304"/>
eine beſtimmte Gemuͤths- und Lebensrichtung den<lb/>
Strahlen des Witzes verleiht. Der Witz an ſich<lb/>
iſt ein geiſtiges Queckſilber, das in tauſend Kuͤgel¬<lb/>
chen uͤber die Papierflaͤche rollt, ein ſcherzender<lb/>
Schmetterling, der von Blume zu Blume fliegt,<lb/>
ein ungewiſſer Strahl, der ſich in Luft und Waſ¬<lb/>ſer bricht und das reinſte Kryſtall, wie die truͤbſte<lb/>
Glasſcheibe durchflittert und vergoldet. Der Witz<lb/>
an ſich iſt der Diener aller Herren, der Dummen<lb/>
ausgenommen, aber nicht der Schlechten, nicht<lb/>
der Servilen; denn er kehrt ſich nicht an Herz<lb/>
und Geſinnung, ſondern nur an den Verſtand<lb/>
und ein elender Saphir, ein Menſch, den man<lb/>
durch Furcht dahin bringen kann, die Peitſche zu<lb/>
kuͤſſen, die ihn gezuͤchtigt hat, kann einen Waſhing¬<lb/>
ton, einen Lafayette an <hirendition="#g">Witz</hi> beſiegen und uͤber¬<lb/>
fluͤgeln.</p><lb/><p>Nur wenn der Witz ſich mit edlerem Ver¬<lb/>
moͤgen paart, wenn er phantaſiereichen und ge¬<lb/>
muͤthvollen Menſchen zu Gebot ſteht, wenn er ei¬<lb/>
nem Jean Paul dient, Himmel und Erde, Ver¬<lb/>
gangenheit und Zukunft mit einander zu verknuͤpfen,<lb/>
kann er dem ernſteren Deutſchen gefallen: um uns<lb/>
am Witze nicht zu aͤrgern, muß uns der Charak¬<lb/>
ter des Witzigen nicht aͤrgerlich ſein, um uns am<lb/>
Spiel des Witzes zu ergoͤtzen, muͤſſen wir ihn<lb/>
uͤber der Tiefe des Ernſtes ſchweben ſehen. Das<lb/></p></div></body></text></TEI>
[304/0318]
eine beſtimmte Gemuͤths- und Lebensrichtung den
Strahlen des Witzes verleiht. Der Witz an ſich
iſt ein geiſtiges Queckſilber, das in tauſend Kuͤgel¬
chen uͤber die Papierflaͤche rollt, ein ſcherzender
Schmetterling, der von Blume zu Blume fliegt,
ein ungewiſſer Strahl, der ſich in Luft und Waſ¬
ſer bricht und das reinſte Kryſtall, wie die truͤbſte
Glasſcheibe durchflittert und vergoldet. Der Witz
an ſich iſt der Diener aller Herren, der Dummen
ausgenommen, aber nicht der Schlechten, nicht
der Servilen; denn er kehrt ſich nicht an Herz
und Geſinnung, ſondern nur an den Verſtand
und ein elender Saphir, ein Menſch, den man
durch Furcht dahin bringen kann, die Peitſche zu
kuͤſſen, die ihn gezuͤchtigt hat, kann einen Waſhing¬
ton, einen Lafayette an Witz beſiegen und uͤber¬
fluͤgeln.
Nur wenn der Witz ſich mit edlerem Ver¬
moͤgen paart, wenn er phantaſiereichen und ge¬
muͤthvollen Menſchen zu Gebot ſteht, wenn er ei¬
nem Jean Paul dient, Himmel und Erde, Ver¬
gangenheit und Zukunft mit einander zu verknuͤpfen,
kann er dem ernſteren Deutſchen gefallen: um uns
am Witze nicht zu aͤrgern, muß uns der Charak¬
ter des Witzigen nicht aͤrgerlich ſein, um uns am
Spiel des Witzes zu ergoͤtzen, muͤſſen wir ihn
uͤber der Tiefe des Ernſtes ſchweben ſehen. Das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/318>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.