der schönsten Strahlen aus dem Leben dieser wun¬ derbaren Zeit.
War, frage ich mit Herder, war jene An¬ dacht des Mittelalters, ich spreche nur von der reinen und uneigennützigen, von der hohen, mysti¬ schen Andacht und nicht von der pfäffischen mit ihrem Klingklang und ihrer Selbstsucht, jene An¬ dacht, welche die ungeheuren Dome baute, welche sich unermeßlichen und unnennbaren Gefühlen hin¬ gab, war sie rein menschlich, oder lag nicht etwas Uebertriebenes, Ungestaltetes und Falsches darin? Ich glaube, ja. Das Unermeßliche, sagt Herder, hat kein Maß, das Unendliche keinen Ausdruck. Je länger man an diesen Tiefen schwindelt, desto mehr verwirret sich die Zunge, Du sagst nichts, wenn Du vorhattest, etwas Unaussprechliches zu sagen.
Und jene Frauenliebe, jene Galanterie der Liebe, war sie nicht ein falscher Geschmack, war es die Sprache des Herzens, der rein menschliche Erguß des Gefühls und natürlicher Neigungen, welche in diesen Bildern, Schwüren, Worten, Witzen und Wendungen der mittelaltrigen Ge¬ dichte (das Nibelungenlied ist überall auszunehmen) spielt. -- Ich denke ja, und dasselbe denke ich von der übertriebenen Ritterwürde. Alles Geklirr,
der ſchoͤnſten Strahlen aus dem Leben dieſer wun¬ derbaren Zeit.
War, frage ich mit Herder, war jene An¬ dacht des Mittelalters, ich ſpreche nur von der reinen und uneigennuͤtzigen, von der hohen, myſti¬ ſchen Andacht und nicht von der pfaͤffiſchen mit ihrem Klingklang und ihrer Selbſtſucht, jene An¬ dacht, welche die ungeheuren Dome baute, welche ſich unermeßlichen und unnennbaren Gefuͤhlen hin¬ gab, war ſie rein menſchlich, oder lag nicht etwas Uebertriebenes, Ungeſtaltetes und Falſches darin? Ich glaube, ja. Das Unermeßliche, ſagt Herder, hat kein Maß, das Unendliche keinen Ausdruck. Je laͤnger man an dieſen Tiefen ſchwindelt, deſto mehr verwirret ſich die Zunge, Du ſagſt nichts, wenn Du vorhatteſt, etwas Unausſprechliches zu ſagen.
Und jene Frauenliebe, jene Galanterie der Liebe, war ſie nicht ein falſcher Geſchmack, war es die Sprache des Herzens, der rein menſchliche Erguß des Gefuͤhls und natuͤrlicher Neigungen, welche in dieſen Bildern, Schwuͤren, Worten, Witzen und Wendungen der mittelaltrigen Ge¬ dichte (das Nibelungenlied iſt uͤberall auszunehmen) ſpielt. — Ich denke ja, und daſſelbe denke ich von der uͤbertriebenen Ritterwuͤrde. Alles Geklirr,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0040"n="26"/>
der ſchoͤnſten Strahlen aus dem Leben dieſer wun¬<lb/>
derbaren Zeit.</p><lb/><p>War, frage ich mit Herder, war jene An¬<lb/>
dacht des Mittelalters, ich ſpreche nur von der<lb/>
reinen und uneigennuͤtzigen, von der hohen, myſti¬<lb/>ſchen Andacht und nicht von der pfaͤffiſchen mit<lb/>
ihrem Klingklang und ihrer Selbſtſucht, jene An¬<lb/>
dacht, welche die ungeheuren Dome baute, welche<lb/>ſich unermeßlichen und <choice><sic>unennbaren</sic><corr>unnennbaren</corr></choice> Gefuͤhlen hin¬<lb/>
gab, war ſie rein menſchlich, oder lag nicht etwas<lb/>
Uebertriebenes, Ungeſtaltetes und Falſches darin?<lb/>
Ich glaube, ja. Das Unermeßliche, ſagt Herder,<lb/>
hat kein Maß, das Unendliche keinen Ausdruck.<lb/>
Je laͤnger man an dieſen Tiefen ſchwindelt, deſto<lb/>
mehr verwirret ſich die Zunge, Du ſagſt nichts,<lb/>
wenn Du vorhatteſt, etwas Unausſprechliches zu<lb/>ſagen.</p><lb/><p>Und jene Frauenliebe, jene Galanterie der<lb/>
Liebe, war ſie nicht ein falſcher Geſchmack, war<lb/>
es die Sprache des Herzens, der rein menſchliche<lb/>
Erguß des Gefuͤhls und natuͤrlicher Neigungen,<lb/>
welche in dieſen Bildern, Schwuͤren, Worten,<lb/>
Witzen und Wendungen der mittelaltrigen Ge¬<lb/>
dichte (das Nibelungenlied iſt uͤberall auszunehmen)<lb/>ſpielt. — Ich denke ja, und daſſelbe denke ich<lb/>
von der uͤbertriebenen Ritterwuͤrde. Alles Geklirr,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[26/0040]
der ſchoͤnſten Strahlen aus dem Leben dieſer wun¬
derbaren Zeit.
War, frage ich mit Herder, war jene An¬
dacht des Mittelalters, ich ſpreche nur von der
reinen und uneigennuͤtzigen, von der hohen, myſti¬
ſchen Andacht und nicht von der pfaͤffiſchen mit
ihrem Klingklang und ihrer Selbſtſucht, jene An¬
dacht, welche die ungeheuren Dome baute, welche
ſich unermeßlichen und unnennbaren Gefuͤhlen hin¬
gab, war ſie rein menſchlich, oder lag nicht etwas
Uebertriebenes, Ungeſtaltetes und Falſches darin?
Ich glaube, ja. Das Unermeßliche, ſagt Herder,
hat kein Maß, das Unendliche keinen Ausdruck.
Je laͤnger man an dieſen Tiefen ſchwindelt, deſto
mehr verwirret ſich die Zunge, Du ſagſt nichts,
wenn Du vorhatteſt, etwas Unausſprechliches zu
ſagen.
Und jene Frauenliebe, jene Galanterie der
Liebe, war ſie nicht ein falſcher Geſchmack, war
es die Sprache des Herzens, der rein menſchliche
Erguß des Gefuͤhls und natuͤrlicher Neigungen,
welche in dieſen Bildern, Schwuͤren, Worten,
Witzen und Wendungen der mittelaltrigen Ge¬
dichte (das Nibelungenlied iſt uͤberall auszunehmen)
ſpielt. — Ich denke ja, und daſſelbe denke ich
von der uͤbertriebenen Ritterwuͤrde. Alles Geklirr,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/40>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.