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Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

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Knechte, Dome, Pfaffen, galanten Frauendienst,
Minnegesang und alle jene Denk- und Lebensfor¬
men, wodurch sich das Mittelalter auszeichnete.
Und da glaubten wir mit Nein antworten zu
müssen, und ich denke, Alles was jung ist in
Deutschland, steht auf unserer Seite und lebt der
frohen Hoffnung, daß auch ohne Verjüngung mit¬
telaltriger Formen eine Wiedergebärung der Na¬
tion, eine poetische Umgestaltung des Lebens, eine
Ergießung des heiligen Geistes, eine freie, natür¬
liche, zwanglose Entfaltung alles Göttlichen und
Menschlichen in uns möglich sei.

Das Mittelalter hat sich überlebt, sein Geist
ist ein Schatten der Geschichte, der auf verwit¬
terten Ruinen einherwandelt. Poesie mag ihn
beschwören, mag ihn in romantischem Mondlicht
unserm Auge vorüberführen, der helle Tag sieht
und kennt ihn nicht mehr. Schon zur Zeit der
Reformation gehörte er zu den Abgeschiedenen, die
Erfindung des Pulvers, der erste Kanonenschuß,
die Entdeckung der griechischen und lateinischen
Klassiker, die Entdeckung von Amerika hatten ihn
in Europa, und hauptsächlich in Deutschland all¬
mählig geschwächt und vernichtet, als Luther auf¬
trat und durch den Erfolg seiner kühnen Worte
und Unternehmungen darthat, daß seine älteste

Knechte, Dome, Pfaffen, galanten Frauendienſt,
Minnegeſang und alle jene Denk- und Lebensfor¬
men, wodurch ſich das Mittelalter auszeichnete.
Und da glaubten wir mit Nein antworten zu
muͤſſen, und ich denke, Alles was jung iſt in
Deutſchland, ſteht auf unſerer Seite und lebt der
frohen Hoffnung, daß auch ohne Verjuͤngung mit¬
telaltriger Formen eine Wiedergebaͤrung der Na¬
tion, eine poetiſche Umgeſtaltung des Lebens, eine
Ergießung des heiligen Geiſtes, eine freie, natuͤr¬
liche, zwangloſe Entfaltung alles Goͤttlichen und
Menſchlichen in uns moͤglich ſei.

Das Mittelalter hat ſich uͤberlebt, ſein Geiſt
iſt ein Schatten der Geſchichte, der auf verwit¬
terten Ruinen einherwandelt. Poeſie mag ihn
beſchwoͤren, mag ihn in romantiſchem Mondlicht
unſerm Auge voruͤberfuͤhren, der helle Tag ſieht
und kennt ihn nicht mehr. Schon zur Zeit der
Reformation gehoͤrte er zu den Abgeſchiedenen, die
Erfindung des Pulvers, der erſte Kanonenſchuß,
die Entdeckung der griechiſchen und lateiniſchen
Klaſſiker, die Entdeckung von Amerika hatten ihn
in Europa, und hauptſaͤchlich in Deutſchland all¬
maͤhlig geſchwaͤcht und vernichtet, als Luther auf¬
trat und durch den Erfolg ſeiner kuͤhnen Worte
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[30/0044] Knechte, Dome, Pfaffen, galanten Frauendienſt, Minnegeſang und alle jene Denk- und Lebensfor¬ men, wodurch ſich das Mittelalter auszeichnete. Und da glaubten wir mit Nein antworten zu muͤſſen, und ich denke, Alles was jung iſt in Deutſchland, ſteht auf unſerer Seite und lebt der frohen Hoffnung, daß auch ohne Verjuͤngung mit¬ telaltriger Formen eine Wiedergebaͤrung der Na¬ tion, eine poetiſche Umgeſtaltung des Lebens, eine Ergießung des heiligen Geiſtes, eine freie, natuͤr¬ liche, zwangloſe Entfaltung alles Goͤttlichen und Menſchlichen in uns moͤglich ſei. Das Mittelalter hat ſich uͤberlebt, ſein Geiſt iſt ein Schatten der Geſchichte, der auf verwit¬ terten Ruinen einherwandelt. Poeſie mag ihn beſchwoͤren, mag ihn in romantiſchem Mondlicht unſerm Auge voruͤberfuͤhren, der helle Tag ſieht und kennt ihn nicht mehr. Schon zur Zeit der Reformation gehoͤrte er zu den Abgeſchiedenen, die Erfindung des Pulvers, der erſte Kanonenſchuß, die Entdeckung der griechiſchen und lateiniſchen Klaſſiker, die Entdeckung von Amerika hatten ihn in Europa, und hauptſaͤchlich in Deutſchland all¬ maͤhlig geſchwaͤcht und vernichtet, als Luther auf¬ trat und durch den Erfolg ſeiner kuͤhnen Worte und Unternehmungen darthat, daß ſeine aͤlteſte

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Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/44>, abgerufen am 21.11.2024.