Burg und sein festestes Prachtgebäude, die Kirche, nur sein eignes Mausoleum sei.
Meine Herren, man hat es unserm Luther verdacht und ich kann große Männer dafür an¬ führen, daß er beim Werk der Reformation so wenig auf der einmal gegebenen historischen Basis fortbaute, daß er der Kirche, welche er stiftete, so wenig aus der Nachlassenschaft der alten zertrüm¬ merten aneignete, daß er das ehrwürdige Erbe der Väter zu unbedenklich Preis gegeben, die Tradi¬ tion verworfen, die Zeremonien und Aeußerlichkei¬ ten verachtet habe; allein dieser Vorwurf beruht auf Mißverständniß sowohl der Reformation, als überhaupt der geschichtlichen Fortbildung der Mensch¬ heit, wie sie uns eben in der Geschichte selbst zu Tage liegt, wenn wir unsere Augen nicht durch willkührliche Vorurtheile blenden. Die Reforma¬ toren waren begreiflicher Weise keine Anhänger der historischen Schule, welche gerade in unserer Zeit so viele Häupter und Verfechter findet und deren Prinzip der allmähligen, schrittweisen Entwicklung des Positiven, des Staats, des Rechts u. s. w. zu kleinlichen und engherzigen Ansichten und Irr¬ thümern Veranlassung gibt. Hätte Luther das traditionelle Prinzip zugegeben, so hätte er es nicht wagen dürfen, auch nur einen Stein an
Burg und ſein feſteſtes Prachtgebaͤude, die Kirche, nur ſein eignes Mauſoleum ſei.
Meine Herren, man hat es unſerm Luther verdacht und ich kann große Maͤnner dafuͤr an¬ fuͤhren, daß er beim Werk der Reformation ſo wenig auf der einmal gegebenen hiſtoriſchen Baſis fortbaute, daß er der Kirche, welche er ſtiftete, ſo wenig aus der Nachlaſſenſchaft der alten zertruͤm¬ merten aneignete, daß er das ehrwuͤrdige Erbe der Vaͤter zu unbedenklich Preis gegeben, die Tradi¬ tion verworfen, die Zeremonien und Aeußerlichkei¬ ten verachtet habe; allein dieſer Vorwurf beruht auf Mißverſtaͤndniß ſowohl der Reformation, als uͤberhaupt der geſchichtlichen Fortbildung der Menſch¬ heit, wie ſie uns eben in der Geſchichte ſelbſt zu Tage liegt, wenn wir unſere Augen nicht durch willkuͤhrliche Vorurtheile blenden. Die Reforma¬ toren waren begreiflicher Weiſe keine Anhaͤnger der hiſtoriſchen Schule, welche gerade in unſerer Zeit ſo viele Haͤupter und Verfechter findet und deren Prinzip der allmaͤhligen, ſchrittweiſen Entwicklung des Poſitiven, des Staats, des Rechts u. ſ. w. zu kleinlichen und engherzigen Anſichten und Irr¬ thuͤmern Veranlaſſung gibt. Haͤtte Luther das traditionelle Prinzip zugegeben, ſo haͤtte er es nicht wagen duͤrfen, auch nur einen Stein an
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0045"n="31"/>
Burg und ſein feſteſtes Prachtgebaͤude, die Kirche,<lb/>
nur ſein eignes Mauſoleum ſei.</p><lb/><p>Meine Herren, man hat es unſerm Luther<lb/>
verdacht und ich kann große Maͤnner dafuͤr an¬<lb/>
fuͤhren, daß er beim Werk der Reformation ſo<lb/>
wenig auf der einmal gegebenen hiſtoriſchen Baſis<lb/>
fortbaute, daß er der Kirche, welche er ſtiftete, ſo<lb/>
wenig aus der Nachlaſſenſchaft der alten zertruͤm¬<lb/>
merten aneignete, daß er das ehrwuͤrdige Erbe der<lb/>
Vaͤter zu unbedenklich Preis gegeben, die Tradi¬<lb/>
tion verworfen, die Zeremonien und Aeußerlichkei¬<lb/>
ten verachtet habe; allein dieſer Vorwurf beruht<lb/>
auf Mißverſtaͤndniß ſowohl der Reformation, als<lb/>
uͤberhaupt der geſchichtlichen Fortbildung der Menſch¬<lb/>
heit, wie ſie uns eben in der Geſchichte ſelbſt zu<lb/>
Tage liegt, wenn wir unſere Augen nicht durch<lb/>
willkuͤhrliche Vorurtheile blenden. Die Reforma¬<lb/>
toren waren begreiflicher Weiſe keine Anhaͤnger der<lb/>
hiſtoriſchen Schule, welche gerade in unſerer Zeit<lb/>ſo viele Haͤupter und Verfechter findet und deren<lb/>
Prinzip der allmaͤhligen, ſchrittweiſen Entwicklung<lb/>
des Poſitiven, des Staats, des Rechts u. ſ. w.<lb/>
zu kleinlichen und engherzigen Anſichten und Irr¬<lb/>
thuͤmern Veranlaſſung gibt. Haͤtte Luther das<lb/>
traditionelle Prinzip zugegeben, ſo haͤtte er es<lb/>
nicht wagen duͤrfen, auch nur einen Stein an<lb/></p></div></body></text></TEI>
[31/0045]
Burg und ſein feſteſtes Prachtgebaͤude, die Kirche,
nur ſein eignes Mauſoleum ſei.
Meine Herren, man hat es unſerm Luther
verdacht und ich kann große Maͤnner dafuͤr an¬
fuͤhren, daß er beim Werk der Reformation ſo
wenig auf der einmal gegebenen hiſtoriſchen Baſis
fortbaute, daß er der Kirche, welche er ſtiftete, ſo
wenig aus der Nachlaſſenſchaft der alten zertruͤm¬
merten aneignete, daß er das ehrwuͤrdige Erbe der
Vaͤter zu unbedenklich Preis gegeben, die Tradi¬
tion verworfen, die Zeremonien und Aeußerlichkei¬
ten verachtet habe; allein dieſer Vorwurf beruht
auf Mißverſtaͤndniß ſowohl der Reformation, als
uͤberhaupt der geſchichtlichen Fortbildung der Menſch¬
heit, wie ſie uns eben in der Geſchichte ſelbſt zu
Tage liegt, wenn wir unſere Augen nicht durch
willkuͤhrliche Vorurtheile blenden. Die Reforma¬
toren waren begreiflicher Weiſe keine Anhaͤnger der
hiſtoriſchen Schule, welche gerade in unſerer Zeit
ſo viele Haͤupter und Verfechter findet und deren
Prinzip der allmaͤhligen, ſchrittweiſen Entwicklung
des Poſitiven, des Staats, des Rechts u. ſ. w.
zu kleinlichen und engherzigen Anſichten und Irr¬
thuͤmern Veranlaſſung gibt. Haͤtte Luther das
traditionelle Prinzip zugegeben, ſo haͤtte er es
nicht wagen duͤrfen, auch nur einen Stein an
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/45>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.